Die Unsterblichkeit der Seele ist so vielfach bezweifelt worden, und eben jetzt kommen wieder Geister empor, die sich anstellen, als ob sie des Vergehens und der Vernichtung im Tode sicher wären, und doch sprechen alle Gründe für Fortdauer der Seele, keiner dagegen. Keiner!
Denn der einzige, den jene aufzubringen vermögen, ist keiner. Alles, was von dieser Seite aufgebracht wird, läuft nämlich auf das einfache Bekenntnis hinaus: Wir sehen nicht ein, w i e der Mensch nach dem Tode fortleben soll ! ---- Das ist aber offenbar kein Grund. Die meisten Menschen sehen das Meiste nicht ein: es wäre sehr schlimm, wenn das Meiste schon um deswegen nicht wahr wäre.
Gott, der uns auf Erden entstehen ließ, wird schon wissen, uns zu erhalten, was in Wahrheit kein größeres Wunder ist als das Hervorbringen. Wir können ihm das Vertrauen wohl schenken und ihm die Sorge überlassen!
Und es ist schön, wenn wir ihm vertrauen, schön, wenn wir glauben, ohne zu sehen.
Durch solchen Glauben ehren wir ihn, wie wir auch Menschen ehren, denen wir ohne Beweise glauben.
Der Glaube an Gott und seine Endzwecke ist edel und süß. Er ist eine Kraft und stammt aus der Tugend. Wir glauben an die Liebe, wenn wir selber Liebe haben. Wir glauben an das Heil, wenn wir es selber allen verschaffen möchten.
Wir m ü s s e n fortleben.
Ein Leben, das zu nichts vergeht, wäre sinnlos und wäre besser gar nicht entstanden. Ein Wesen, das wird und lebend sich bildet, muß sich ausbilden zur Vollkommenheit ---- dann allein hat sein Werden Sinn, und der vernünftige Mensch wird sagen: Nun begreif' ich es; dazu war 's der Mühe wert, ins Dasein zu treten!
Alles weist auf dieses Ziel hin und fordert es!
Die Natur strebt nach Glück, nach reinem Genuß des Daseins; Geist und Herz trachten nach Erkenntnis, nach sittlicher Vollendung und harmonischer Tätigkeit.
Alles das wird uns aber auf Erden nicht zuteil. Wir können hier nur suchen und ringen und werden nur durch unzulängliche Erfolge belohnt.
Welchen Sinn hätten jene Triebe nun, wenn dieses irdische Leben nicht boß der Anfang, sondern schon alles wäre, und sie nach der höchst unvolkommenen Befriedigung in diesem Leben nicht eine stets vollkommenere, sondern das Nichts erwartete?
Das Menschenleben wäre die kläglichste Erfindung, die trostloseste Gaukelei.
Was aber die Triebe des Menschen fordern, das fordern mächtiger noch die Triebe der Menschheit. Auch die Menschheit entwickelt sich und geht einem Ziele vollkommenen Lebens entgegen. Das lehrt die Geschichte, das lehren uns die übereinstimmenden Ideen ihrer edelsten Vorkämpfer.
Wird sie dieses Ziel der gegenwärtigen Ordnung der Dinge erreichen?
Auf das Ideal, das, wie die Geschichte es lehrt, der Menschheit vorschwebt, weisen alle Kräfte und Arbeiten des Menschengeschlechts hin: die Wissenschaft, die nach allseitiger Erkenntnis, die praktische Tätigkeit, die nach steter Verbesserung, die Kunst, die nach vollendeter Schönheit strebt.
Auch diese Mächte erreichen ihren Zweck auf Erden nur annähernd; die Weihe der Vernunft, die ganze Rechtfertigung ihres Strebens können sie also nur entfalten, wenn sie sich in einer Sphäre der Vollkommenheit vollkommen genügen dürfen.
Auch dort --- im Vollkommenen --- werden wir noch fortzuschreiten vermögen.
Der Unterschied zwischen den beiden Sphären des Himmels und der Erde ist nur, daß wir hier auf eine grobe und materielle Art fortschreiten, dort auf eine geistige. Hier mit der feindseligen Materie kämpfend, unter Leiden und Sorgen, dort von der freundlich gewordenen unterstützt mit Siegesgewißheit und mit Freude.
© Melchior Meyr (1810-1871)