Was ist die größte Kunst auf Erden?
Mit frohem Herzen alt zu werden,
zu ruhen, wo man schaffen möchte,
zu schweigen, wo man ist im Rechte;
zu hoffen, wo man am Verzagen,
gehorsam still sein Kreuz zu tragen
und neidlos andere zu sehn,
die rüstig Gottes Wege gehen.
Die Hände in den Schoß zu legen
und sich in Ruhe lassen pflegen
und, wo man sonst gern hilfreich war,
sich nun in Demut machen klar,
daß uns die Schwachheit überkommen,
wir nichts mehr sind zu andrer Frommen,
und dabei still und freundlich doch
zu gehn im gottgesandten Joch.
Was kann uns diesen Frieden geben?
Wenn wir des festen Glaubens leben,
daß solche Last, von Gott gesandt,
uns bilden soll fürs Heimatland,
ein letzter Schliff fürs alte Herz,
zu lösen uns von allem Schmerz
und von den Banden dieser Welt,
die uns so fest umfangen hält.
Die Kunst lernt keiner völlig aus,
drum gibt 's noch manchen harten Strauß
in alten Tagen durchzukämpfen,
bis wir des Herzens Unruh' dämpfen
und willig uns ergeben drein,
in stiller Demut nichts zu sein.
Dann hat uns Gott nach Gnadenart
die beste Arbeit aufgespart:
Kannst du nicht regen mehr die Hände,
kannst du sie falten ohne Ende,
herabziehn lauter Himmelssegen
auf all die Deinen allerwegen;
und ist die Arbeit auch getan,
und naht die letzte Stund' heran,
von oben eine Stimme spricht:
"Komm, du bist mein; ich laß dich nicht!"
© Elise Averdieck (1808-1907)