Montag, 3. Oktober 2022

Betrachtung der Ewigkeit


 

O  Ewigkeit, du Donnerwort!

O  Schwert, das durch die Seele bohrt!

O  Anfang sonder Ende!

O  Ewigkeit, Zeit ohne Zeit!

Ich weiß für großer Traurigkeit

nicht, wo ich mich hinwende;

mein ganz erschrocknes Herz erbebt,

daß mir die Zung' am Gaumen klebt.


Kein Unglück ist in aller Welt,

das endlich mit der Zeit nicht fällt

und ganz wird aufgehoben:

die Ewigkeit hat nur kein Ziel.

Sie treibet fort und fort ihr Spiel,

läßt nimmer ab zu toben;

ja, wie mein Heiland selber spricht,

aus ihr ist kein Erlösung nicht.


O  Ewigkeit, du machst mir bang!

O  ewig, ewig ist zu lang:

hier gilt fürwahr kein Scherzen:

drum wann ich diese lange Nacht

zusammt der großen Pein betracht,

erschreck ich recht von Herzen.

Nichts ist zu finden weit und breit

so schrecklich als die Ewigkeit.


Liegt einer krank und ruhet gleich

im Bette, das von Golde reich

recht fürstlich ist gezieret,

so hasset er doch solche Pracht

auch so, daß er die ganze Nacht

ein kläglichs Leben führet:

er zählet aller Glocken Schlag

und seufzet nach dem lieben Tag.


Ach was ist das? Der Höllen Pein

wird nicht wie Liebeskrankheit sein

und mit der Zeit sich enden:

es wird sich der Verdammten Schar

im Feu'r und Schwefel immerdar

mit Zorn und Grimm umwenden;

und dies ihr unbegreiflich Leid

soll währen bis in Ewigkeit.


So lang ein Gott im Himmel lebt

und über alle Wolken schwebt,

wird solche Marter währen;

es wird sie plagen Kält' und Hitz',

Angst, Hunger, Schrecken, Feu'r und Blitz

und sie doch nie verzehren:

dann wird sich enden ihre Pein,

wenn Gott nicht mehr wird ewig sein.


Wach auf, o  Mensch, vom Sündenschlaf!

Ermuntre dich, verlornes Schaf,

und bessre bald dein Leben!

Wach auf! Es ist doch hohe Zeit:

es kommt heran die Ewigkeit,

dir deinen Lohn zu geben.

Vielleicht ist heut der letzte Tag:

wer weiß noch, wie man sterben mag?


O  du verfluchtes Menschenkind,

von Sinnen toll, von Herzen blind,

laß ab die Welt zu lieben!

Ach, ach, soll denn der Höllen Pein,

da mehr denn tausend Henker sein,

ohn Ende dich betrüben?

Wo lebt ein so beredter Mann,

der dieses Werk aussprechen kann?


O  Ewigkeit, du Donnerwort!

O  Schwert, das durch die Seele bohrt!

O  Anfang sonder Ende!

O  Ewigkeit, Zeit ohne Zeit!

Ich weiß für großer Traurigkeit

nicht, wo ich mich hinwende.

Herr Jesu, wenn es dir gefällt,

eil' ich zu dir ins Himmelszelt.



© Johann Rist (1607-1667)