Adé, verfluchtes Tränental !
Du Schauplatz herber Schmerzen !
Du Unglückshaus, du Jammersaal,
du Folter reiner Herzen !
Adé ! Mein Kerker bricht entzwei;
die Kette reißt, mein Geist wird frei,
die Schlösser sind zersprungen.
Willkommen, oft gewünschter Tod,
wo du ein Tod zu nennen.
Willkommen, süßer Liebesbot' !
Wer kann die Freud' erkennen,
in die uns Gott durch dich einführt,
den Schmuck, mit welchem Jesus ziert,
die standhaft hier gerungen !
Die Erden schau ich unter mir !
Ist 's dies, worum wir kämpfen
mit Schwert und Flammen? Welche wir
mit Blut und Leichen dämpfen?
Die Handvoll Graus, dies Häuflein Sand,
um welches Eitelkeit und Tand
und Fluch und Laster ringen?
Hilf Gott, was laß ich? Nichts als Weh,
als Zeter, Ach und Klagen,
als einen bittren Tränensee
und Höllen grause Plagen !
Heißt ihr dies Leben, die ihr lebt
und zwischen Furcht und Leiden schwebt,
die Angst und Grimm verzehret ?
Dort fällt ein Reich, das andre kracht,
und dies wird nicht gefunden.
Dort schluckt die Erd' ein ihre Pracht,
die da in Rauch verschwunden.
Was nicht der strenge Nord auslöscht,
was nicht die stolze Well' abwäscht,
wird durch sich selbst verkehret.
Und mag noch jemand sein, der mich
mit Zähren ruft zurücke,
denkt Liebste, wo ihr und wo ich !
Mißgönnt man mir mein Glücke ?
Ich lach', ihr weint; ich sieg', ihr kriegt;
ich herrsch', ihr dient; ich steh', ihr liegt;
ich leb', ihr müßt verschmachten.
Ihr seid, um die man trauern soll;
ich, den die Lust erquicket.
Ihr zagt, und mir ist ewig wohl.
Gott hat mich heimgeschicket,
der euch bald rufen wird zu mir.
Indessen lernt die falsche Zier
der eitlen Welt verachten.
Adé, ihr Liebsten! Ich muß fort,
laßt ab von euren Tränen.
Denkt, daß ich aussteig in den Port,
nach dem sich alle sehnen.
Dort war der Kampf, hier ist der Lohn;
dort war der Kerker, hier der Thron;
dort Wünschen, hier Erlangen.
Das reiche Schloß der Ewigkeit
geht auf. Ich bin ankommen.
Adé Welt, Hoffen, Schmerz und Streit !
Gott hat mich eingenommen.
Hier will ich ewig leben dir,
hier will mit Jauchzen für und für
ich dich, mein Gott, umfangen.
© Andreas Gryphius (1616-1664)