Mittwoch, 9. September 2015

Grabrede aus dem 18. Jahrhundert



Am Grab eines Kindes

"Lasset die Kleinen zu mir kommen, denn für solche ist das Himmelreich."
(Matt. 19,14)

Was für eine größere Wohlfahrt könnte einem Kleinen widerfahren, als der Tod, und nach dem Tod der Himmel? Ist ja doch in den himmlischen Gütern keine Bitterkeit, keine Beschwerde, keine Gefahr, keine Traurigkeit, kurz nicht der kleinste Tropfen Herbes mehr, sondern pure Freude und Wonne. Was für ein Gut ist die die entzückende Anschauung Gottes? Dagegen sind unsere irdischen Güter eitel Schattenwerk, eitel Jammer und Elend.
Dies erkennen die Greise, die sich lange genug in der Welt herumgeschlagen haben, nur zu gut. Ach, seufzen sie, wie glücklich wäre ich gewesen, wenn mich Gott in meiner frühesten Jugend und Unschuld zu sich abgefordert hätte! Dann würde ich meinen Gott nicht so vielfach beleidigt und ihm zuwider gehandelt haben; dann wäre ferne geblieben alle Sinnenlust, Unmäßigkeit und Ungerechtigkeit, der man sich vor aller Welt beim letzten Gericht so unendlich schämen muss! Demzufolge, teure Eltern, sage ich heute bei der Beerdigung dieses kleinen Kindes:

1) Jung und in Unschuld sterben ist ein Zeichen der Auserwählung durch Gottes Gnade.
2) Viele Jahre haben dagegen meist viele Sünden im Gefolge.

Wer wollte an der Seligkeit der kleinen Kinder zweifeln? Sind sie nicht in der heiligen Taufe Kinder Gottes geworden, und es geblieben? Sind sie nicht wirkliche Glieder der wahren Kirche geworden und haben Jesum Christum als ihren Erlöser zur Seite? Was Bosheit war, wussten sie nicht. Denn was tut ein Kind, auch wenn es noch größer wird, als das hier verhüllte? Wie kindlich lebt ein solches nicht dahin! Es baut Häuschen, Gärtchen aus Sand und Zweigen, reitet auf Stöcken, spielt mit Puppen und betet mit der Mutter gleich den lieben Engelein.
Was ist es, das uns selig macht? Ist es nicht ein unschuldiger Wandel? Ist es nicht die Meidung der Sünde, Lob und Liebe Gottes, eines jeden nach den Kräften seiner Jahre und seiner Seele? Nun aber, wer ist unschuldiger, reiner, wer ist weiter entfernt von Sünde und Fehl, wer lobt und liebt Gott mehr, als die kleinen Kinder? Und wenn nun ein solches Kind stirbt, ist es nicht glücklich zu preisen? Gewiss, es verlässt ja die Welt in aller Unschuld.

Darum trauert nicht zu sehr, betrübte Eltern! Ein solcher Tod in der kindlichen Unschuld ist ein großes Glück, das ihr eurem Kinde gönnen müsst. Viel mehr, als ihr verloren habt an Freude, hat euer Kind gewonnen. Denn es ist ein solcher Tod ein sicheres Merkmal, ja das sicherste Kennzeichen der Auserwählung und Himmelsseligkeit.

Wie denn auch, wenn euer Kleines eine hohe Altersstufe erreicht hätte? Viele und alte Jahre haben meist viele und alte, eingewurzelte und schwer auszurottende Sünden im Geleite. Wie viele gibt es, die ihre Unschuld sich erhalten bis in ihr Alter, ja was sage ich, bis in ihr 20. oder 30. Jahr nur? Schütztet doch selbst das Alter nicht vor Torheit und Sünde, wie wir ein Beispiel haben an den beiden Alten, welche der Susanna nachstellten (Bibel, Daniel, Kapitel 13). Man durchgehe die Welt und frage die Erwachsenen, man begebe sich an die Sterbebetten der Alten und frage, wo ihre schuldlosen Tage seien, wie bald und wie oft sie Gott beleidigt haben, man wird wahre Meister der Rechnungskunst vonnöten haben, um alle die vielen und langjährigen Sünden zusammenzuzählen, deren sich die meisten im Laufe der Zeit schuldig gemacht haben. Viele Jahre - viele Sünden ist deshalb ein meist richtiger Satz, so dass man wohl noch die Jahre zählen kann, die man verlebt, nicht aber die Sünden, die man begangen hat, und welche die Zahl der Haare unseres Hauptes oft übersteigen.

Ei denn, wäre es da nicht viel besser gewesen, in der Kindesunschuld und Engelsreinheit gestorben zu sein? Ohne Frage! Seid deshalb getrosten Mutes, traurige Eltern. Euer Kleines ist glückselig bei Gott, seinem Vater. Wäre es groß geworden, wie viele Gefahren würden sich ihm nicht da in den Weg gestellt haben, darin es zu Grunde gegangen wäre? Kleines Kind - kleines Leid; große Kinder - großes Leid, ist ein bewährtes Sprichwort. Wünschet euch deshalb nicht selbst ein größeres Leid!

Alt werden ist nur dann ein Segen, wenn man in Ehren und im tugendsamen Wandel alt wird. Wo dieses nicht der Fall, ist es ein Zeichen des Fluches und der Verdammung. Zählet deshalb nicht die Jahre des Lebens, sondern die Jahre des unschuldigen Lebens oder der Bekehrung zu Gott. Beweinet auch nicht unmäßig eure Kinder; ihr größtes Glück ist, früh von dieser Erde geschieden zu sein. Die Bosheit der Welt würde sie sicherlich früher oder später verderbt und zu Grunde gerichtet haben.

Lasset uns von diesem Grabe nicht anders hinweggehen, als getröstet, lächelnd durch Tränen, und im Gefühl der Freude und Lobpreisung Gottes. Es ist sicherer und vorzüglicher, den nächsten und geraden Weg zu Gott zu gehen, als den weiten, krummen und beschwerlichen durch ein langes mühseliges Leben. Der gerade Weg ist der beste, heißt es schon im Sprichwort, denn er ist der nächste und müheloseste. Dieser Weg ins Himmelreich aber ist - ein  f r ü h e r  Tod, das beste Kennzeichen der Auserwählung Gottes.

Doch bevor wir uns trennen, wollen wir in christlichem Gebete noch der Verwandten dieses Kindes und aller derjenigen, die hier in diesem Acker Gottes eingesäet liegen, gedenken und nicht von diesem geweihten Ort der Ruhe scheiden, ohne denen, welche im Reinigungsorte nach unserem Gebet schmachten, zu Hilfe gekommen zu sein mit einem andächtigen Vaterunser und Ave Maria!

Amen.



(P. Matthias Heimbach, Priester der Gesellschaft Jesu)