Freitag, 25. September 2015

Der Segen von Todesgedanken



Der stete Gedanke an Tod und Ewigkeit ist das Gewicht, welches das Uhrwerk unseres Lebens in guten Gang bringt und darin erhält; er bringt heilige Gedanken ins Herz, heilige Reden in den Mund, heilige Werke in die Hände, heilige Wege unter die Füße.

Er treibt die eitlen, hochfahrenden, fleischlichen, weltlichen Gedanken aus. Er lehrt uns Wächter stellen vor die Lippen, unsre Worte abwägen auf der Waage des Heiligtums, dass wir nichts reden, womit wir Gott beleidigen, unser Gewissen verletzen und unserm Nächsten Ärgernis geben; er lehrt uns, lieblich reden, wie Naftali (1. Mose 49, 21): "was wahrhaftig, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet" (Phil. 4, 8).

Er lehrt uns das Irdische gering achten, die Herrlichkeit der Welt für ein glänzendes Nichts taxieren, und bewahrt uns vor dem Esau-Sinn, der um das elende Gericht irdischer Genüsse das himmlische Erstgeburtsrecht verkauft.

Wer ernstlich den Tod bedenkt, ruft sich, wenn Satan, Welt oder das eigene Fleisch zum Bösen locken, das Wort eines alten Kirchenvaters zu: "Wenn du jetzt sterben würdest, würdest du auch noch diese oder jene Sünde tun?" Der Gedanke an den Tod bewahrt auch vor dem  Erkalten der Liebe. O wie weh tut 's, an einem Sterbebett oder Grab sich sagen zu müssen: "Der da liegt, den hast du oft betrübt, gekränkt, beleidigt." Dächten wir recht an Tod und Grab, dann ginge es uns viel tiefer zu Herzen, wenn uns der Apostel der Liebe zuruft: "Kindlein, liebet euch untereinander!"

O lieb, so lang du lieben kannst!
O lieb, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
wo du an Gräbern stehst und klagst.


(Pfarrer Heinrich Guth, 1829-1889)