Montag, 6. Oktober 2025

Der alte Landmann an seinen Sohn


 

Üb' immer Treu und Redlichkeit

bis an dein kühles Grab,

und weiche keinen Finger breit

von Gottes Wegen ab!

Dann wirst du wie auf grünen Au'n

durchs Pilgerleben geh'n,

dann kannst du sonder Furcht und Grau'n

dem Tod ins Auge seh'n.


Dann wird die Sichel und der Pflug

in deiner Hand so leicht;

dann singest du beim Wasserkrug,

als wär' dir Wein gereicht.

Dem Bösewicht wird alles schwer,

er tue, was er tu;

der Teufel treibt ihn hin und her

und lässt ihm keine Ruh'.


Der schöne Frühling lacht ihm nicht,

ihm lacht kein Ährenfeld;

er ist auf Lug und Trug erpicht

und wünscht sich nichts als Geld.

Der Wind im Hain, das Laub am Baum

saust ihm Entsetzen zu;

er findet nach des Lebens Traum

im Grabe keine Ruh'.


Dann muss er in der Geisterstund'

aus seinem Grabe geh'n

und oft als schwarzer Kettenhund

vor seiner Haustür steh'n.

Die Spinnerinnen, die, das Rad

im Arm, nach Hause geh'n,

erzittern wie ein Espenblatt,

wenn sie ihn liegen seh'n.


Und jede Spinnestube spricht

von diesem Abenteu'r.

Und wünscht den toten Bösewicht

ins tiefste Höllenfeu'r.

Der alte Kunz war bis ans Grab

ein rechter Höllenbrand;

er pflügte seinem Nachbar ab

und stahl ihm vieles Land.


Nun pflügt er als ein Feuermann

auf seines Nachbars Flur

und misst das Feld hinab hinan

mit einer glüh'nden Schnur.

Er brennet wie ein Schober Stroh

dem güldnen Pfluge nach

und pflügt und brennet lichterloh

bis an den hellen Tag.


Der Amtmann, der im Weine floss,

der Bauern schlug halb krumm,

trabt nun auf einem glüh'nden Ross

in jenem Wald herum.

Der Pfarrer, der aufs Tanzen schalt

und Filz und Wuchrer war,

steht nun als schwarze Spukgestalt

am nächtlichen Altar.


Üb immer Treu und Redlichkeit

bis an dein kühles Grab,

und weiche keinen Finger breit

von Gottes Wegen ab!

Dann suchen Enkel deine Gruft

und weinen Tränen drauf,

und Sommerblumen, voll von Duft,

blüh'n aus den Tränen auf.



(c) Ludwig Christoph Heinrich Hölty (1748-1776)