Freitag, 31. Oktober 2025

Das kleine Leben


 

Sieh doch nur, das kleine Leben,

das hier Großes hat gegeben, 

hat die Hürde überwunden

und sich von der Zeit entbunden.


Sieh doch nur, was es geleistet !

Niemals hat es sich erdreistet,

sich gar selber zu erhöhen

und im Mittelpunkt zu stehen.


Sieh doch nur, wie 's Freude brachte,

immer an die and'ren dachte.

Jedem hat 's sein Herz gegeben,

dieses ach so kleine Leben.


Sieh doch nur, wie 's sich mit Liebe

um manch' Seele, die so trübe,

sorgte und ihr Trost gewährte

wie ein treuer Weggefährte.


Sieh nur, wie die dunklen Farben

unter seinem Lächeln starben,

weil dies' kleine helle Leben

ihnen Sonnenschein gegeben.


Sieh doch nur die guten Taten,

die wie tapfere Soldaten

durch des Lebens Zeit marschierten

und so manches Herz berührten.


Ach und sieh doch nur: am Ende

legte es in Gottes Hände

seine Zeit mit Dank und Loben,

und dann flog es leis' nach oben ...



(c) Bettina Lichtner 

Donnerstag, 30. Oktober 2025

Genug gesät


 

Und ich verstand Gott nicht,

warum er seines Dieners Leben,

das mit sonderlicher Kraft

im heil'gen Dienst geschafft,

so früh zerbrochen,

bis mir das Dunkel wurde licht,

da ich mit einem Freund des Heimgegangenen gesprochen.

Der sagte nur:

"Gott ruft wohl nie zu früh und nie zu spät.

Geh ich auf dieses Mannes Spur,

denk ich, er hat genug gesät."

--- Genug gesät ! Ich wurde fröhlich still,

weil meine Seele Gott verstand.

Ich weiß nun, dass ich auch nichts Lieb'res will,

als das, ruft Gott mich frühe oder spät,

es heißen darf von meiner Hand:

"Sie hat genug gesät."



(c) Marie Feesche (1871-1950)

Die Lebensuhr

 



Als du jung warst, lag oftmals die kürzeste Zeit

vor dir wie eine Ewigkeit;

heißes Erwarten und stürmendes Sehnen

ließen die Stunden wie Jahre sich dehnen. ---

Nun da du alt bist, wirst du mit Staunen gewahr,

wie im Fluge entschwindet Jahr um Jahr;

bald hat wohl der Zeiger die Runde vollbracht;

ehe du denkst, schlägt es Mitternacht.


Stellt jetzt, am Ziel deiner Lebensreise,

der Meister die Uhr schon nach seiner Weise?

Spürst du im engen Kreis der Zeit

schon das große Schreiten der Ewigkeit?

Ahnst du schon den künftigen Glockenschlag:

"Tausend Jahre sind vor dir wie ein Tag"?



(c) Anna Kleedehn, ca. 1930

Mittwoch, 29. Oktober 2025

Hiob 2, 10


 

Hiob 2, 10


Sollen wir das Gute aus Gottes Hand annehmen, das Schlechte aber ablehnen?


So sanft und so leis'

 



Wir ahnten dein Kommen, o traurige Stunde.

Du warst eine Frage der Zeit.

Du nahtest so sanft und so leis', und im Grunde

befreitest du jegliches Leid.


Die Schmerzen, die tapfer, geduldig ertragen,

sie haben dich heimlich ersehnt,

geschwächt von beladenen, klagenden Tagen,

die scheinbar sich endlos gedehnt.


Und wenn auch die Hoffnung so lange regierte,

die Zuversicht blühend sich gab,

so war 's doch der Tod, der die Wegbahnen führte

mit seinem so sicheren Stab.


Gefeilscht um Momente, um jede Sekunde,

um jede so kostbare Freud'. 

Wir ahnten dein Kommen, o traurige Stunde,

du warst eine Frage der Zeit.



(c) Bettina Lichtner

Das Entscheidende


 

Nicht das Freuen, nicht das Leiden

stellt den Wert des Menschen dar.

Immer nur wird das entscheiden,

was der Mensch dem Menschen war.



(c) Johann Ludwig Uhland (1787-1862)

Montag, 27. Oktober 2025

War 's auch auf Erden, ach, so schön


 

Ich seh' den Tod durch die Straßen eilen,

dann wieder hier und dort verweilen,

von einem Hause zum andern

seh' ich ihn langsam wandern.

In die Fenster blickt er im Vorübergeh'n,

ob jemand ihn rufe will er seh'n.

Dort sieht er Hände sich betend einen,

dort sieht er Eltern, --- dort Kindern weinen ---,

doch niemand ruft ihm zu: "Halt an,

damit ich mit dir gehen kann!"

Er trägt so sanft in jenes Land,

das uns so fern, so unbekannt,

und uns doch soll die Heimat sein,

in die wir gerne gehen ein.

Doch auch die Erde hat uns umspannt

mit lieblichem Blick, mit lieblicher Hand,

war sie zuerst uns doch Heimatland,

ehe den Himmel wir gekannt.

"Ist denn niemand in dieser großen Stadt,

der Sehnsucht nach mir im Herzen hat?"

Jetzt steht er still, ihm wird gewinkt,

im Auge eine Träne blinkt,

es ist ein altes Mütterlein.

Es ruft ihm wirklich zu: "Tritt ein!

Ich sehne mich schon lang' nach dir,

trag' sanft mich zu der Himmelstür!

Hier hab' ich viele, viele dort,

jetzt geh' ich gerne von hier fort.

War 's auch auf Erden, ach, so schön,

jetzt werd' ich meinen Heiland seh'n.

Lebt wohl, ihr Lieben, die hier steh'n,

dort oben gibt 's ein Wiederseh'n!"


Der Tod berührt sanft Aug' und Herz,

und ab fällt jeder Erdenschmerz!

Fort aus der Erde gold'nen Tagen

wird er sie hin zu Gott nun tragen,

Verklärung über sie zu breiten,

als guter Freund sie heim geleiten!



(unbekannt, Initialen C.E., ca. um 1900)


Sonntag, 26. Oktober 2025

Das alte Mütterchen


 

Es war in einer großen Stadt ein altes Mütterchen, das saß abends allein in seiner Kammer. Es dachte so darüber nach, wie es erst den Mann, dann die beiden Kinder, nach und nach alle Verwandte, endlich auch heute noch den letzten Freund verloren hatte und nun ganz allein und verlassen war. Da ward es in tiefstem Herzen traurig, und vor allem schwer war ihm der Verlust der beiden Söhne, dass es in seinem Schmerz Gott darüber anklagte. So saß es still und in sich versunken, als es auf einmal zur Frühkirche läuten hörte. Es wunderte sich, dass es die ganze Nacht also in Leid durchwacht hatte, zündete seine Leuchte an und ging zur Kirche. Bei seiner Ankunft war sie schon erhellt, aber nicht, wie gewöhnlich, von Kerzen, sondern von einem dämmernden Licht. Sie war auch schon angefüllt mit Menschen, und alle Plätze waren besetzt, und als das Mütterchen zu seinem gewöhnlichen Sitz kam, war er auch nicht mehr frei, sondern die ganze Bank gedrängt voll. Und wie es die Leute so ansah, so waren es lauter verstorbene Verwandte, die saßen da in ihren altmodischen Kleidern, aber mit blassem Angesicht. Sie sprachen auch nicht und sangen nicht, es ging aber ein leises Summen und Wehen durch die Kirche. Da stand eine Muhme auf, trat vor und sprach zu dem Mütterlein: "Dort sieh nach dem Altar, da wirst du deine Söhne sehen." Die Alte blickte hin und sah ihre beiden Kinder, der eine hing am Galgen, der andere war auf das Rad geflochten. Da sprach die Muhme: "Siehst du, so wäre es ihnen ergangen, wären sie im Leben geblieben und hätte sie Gott nicht als unschuldige Kinder zu sich genommen." Die Alte ging zitternd nach Haus und dankte Gott auf den Knien, dass er es besser mit ihr gemacht hatte, als sie hätte begreifen können; und am dritten Tag legte sie sich und starb.


(Märchen nach den Gebrüdern Grimm)

Freitag, 24. Oktober 2025

Nun lasst uns den Leib begraben


 

Nun lasst uns den Leib begraben;

daran wir kein Zweifel haben,

er wird am jüngsten Tag auferstehn

und unverweslich hervorgehn. 


Erd' ist er und von der Erden

wird auch zur Erd' wieder werden

und von der Erd' wieder aufstehn,

wenn Gottes Posaun' wird angehn.


Sein' Seele lebt ewig in Gott,

der sie allhier aus lauter Gnad',

von aller Sünd' und Missetat,

durch seinen Sohn erlöset hat.


Sein Jammer, Trübsal und Elend

ist kommen zu ein'm sel'gen End',

er hat getragen Christi Joch,

ist gestorben und lebet noch.


Die Seele lebt ohn' alle Klag',

der Leib schläft bis am jüngsten Tag,

an welchem Gott ihn verklären

und ew'ger Freud' wird gewähren.


Hier ist er in Angst gewesen,

dort aber wird er genesen,

in ewiger Freud' und Wonne

leuchten, als die helle Sonne.


Nun lassen wir ihn hie' schlafen

und gehn all heim unsre Straßen,

schicken uns auch mit allem Fleiß;

denn der Tod kommt uns gleicher Weis'.


Das helf' uns Christus, unser Trost,

der uns durch sein Blut hat erlöst

von 's Teufels G'walt und ew'ger Pein,

ihm sei Lob, Preis und Ehr' allein.



(c) Michael Weisse (1488-1534)

Donnerstag, 23. Oktober 2025

Wird gleich mein Leib des Todes Raub


 

Mein Heiland lebt; er hat die Macht

des Todes ganz bezwungen,

und siegreich aus des Grabes Nacht

zu Gott sich aufgeschwungen.

Er ist mein Haupt; sein Sieg ist mein.

Sein soll mein ganzes Leben sein,

und ihm will ich auch sterben.


Nicht ewig wird, wer dein Wort hält,

den Tod, o Jesu, schauen.

Das ist 's, was mich zufrieden stellt,

selbst bei der Gräber Grauen.

Ich bin getrost und unverzagt,

weil du den Deinen zugesagt:

"Ich leb', und ihr sollt leben!"


Wird gleich mein Leib des Todes Raub,

er wird doch wieder leben,

und einst aus der Verwesung Staub

voll Klarheit sich erheben.

Wenn du, o großer Lebensfürst,

nun deine Toten rufen wirst,

zum Leben aufzuwachen.


Wie froh und herrlich werd' ich dann 

vor dir, mein Heiland, stehen!

Dann nimmst du mich mit Ehren an,

lässt in dein Reich mich gehen.

Forthin von keiner Last beschwert,

an Leib und Seele ganz verklärt,

leb' ich bei dir dann ewig.


O welch ein selig' Teil ist mir

in jener Welt bereitet,

der Freuden Fülle ist bei dir.

Von dir, o Herr, geleitet,

werd' ich in deinem Himmelreich

unsterblich, deinen Engeln gleich,

vollkommne Lust genießen.


Denn, wo du bist, da sollen die,

die dir hier folgen, leben.

Und ewig frei von Schmerz und Müh',

von Seligkeit umgeben,

dich schau'n in deiner Herrlichkeit.

O, was sind Leiden dieser Zeit,

Herr, gegen jene Freuden?


Lass' die zukünft'ge Herrlichkeit

mir stets vor Augen schweben;

und oft sich in der Prüfungszeit

mein Herz dahin erheben,

wo keine Schwachheit uns mehr drückt,

wo wir der Sterblichkeit entrückt,

frohlockend vor dir wandeln.


Erwecke mich dadurch zum Fleiß,

der Tugend nachzustreben,

und als dein Jünger dir zum Preis,

nach deinem Wort zu leben.

Und fühl' ich hier noch Not und Schmerz,

so tröste du damit mein Herz:

Es kommt ein bessres Leben!



(c) Johann Samuel Diterich (1721-1797)

Säer


 

Hundert Samen sät des Bauern Hand.

Sieben Körner fallen auf totes Land,

sieben geraten auf Stein und sieben in Staub,

sieben treffen die Krähen und sieben sind taub.

Sieben Körner werden vom Winde verweht,

über sieben Körner zermalmend die Egge geht,

sieben zernagen die Mäuse, sieben der Wurm,

sieben verwittert der Regen und sieben der Sturm.

Sieben erstehen und werden im Halm geknickt,

sieben ergrünen und werden von Unkraut erstickt.

Sieben allein entgehen Disteln und Dorn,

drängen zu tragenden Ähren und werden Korn.


Hundert gute Worte säen wir aus,

hundert gute Werke wandern hinaus.

Sieben zerflattern und wählen ein schlechtes Kleid,

sieben vernichtet Verrat und sieben der Neid,

sieben werden verspottet und sieben verkannt,

sieben mit Schande beworfen und sieben verbannt.

Sieben geraten in tiefe und schlüpfrige Hände,

sieben entfachen Verdacht und verderbliche Brände,

sieben zerstören Vertrauen und sieben Glück,

sieben schnellen gefährlich auf uns zurück.

Sieben werden verloren, sieben zerrieben.

Und aller Worte und Werke, die übrig geblieben,

findet ein einziges, schüchtern, beklommen und klein

in die gewollte, gesollte Bestimmung hinein.

Eines von allen, die uns aus dem Herzen geflossen,

eines von allen, die unserer Liebe entsprossen,

schändet uns nicht, verkündet und ehrt unsern Namen,

kommt zu Gedeihen, blüht auf, bringt Frucht und wird Samen.



(c) Johannes Heinrich Braach (1887-1940)

Unruh' der Zeit

 


Das kleine Rad läuft ohne Ruh',

und mit ihm wider Willen du,

und ich und jedes Menschenkind.


Die Unruh' im Gehäuse klagt,

das Herz in armer Brust verzagt:

Wohin, wozu denn so geschwind?


Und mancher fragt und klagt sich taub:

Mein Leben fährt dahin wie Staub

in einem starken Wind.


Doch singt die Drossel immerzu.

Die Rose blüht in Himmelsruh'.

Die Mutter wiegt ihr Kind.


Da schweigt der Wind, steht still die Zeit.

Da glänzt herauf die Ewigkeit,

wo wir zu Hause sind.



(c) Will Vesper (1882-1962)

Mittwoch, 22. Oktober 2025

Schlaf und Tod


 

Ich frage, wo werde ich morgen sein?

Vielleicht hat heut' meine Stunde geschlagen.

Doch segle ich in eine Ewigkeit ein,

löscht Dunkel an Dunkel jeglichen Schein,

ein Wunder wird schließlich doch tagen.


Ist über uns, unter uns Welt an Welt,

die alle zum Großen zusammenfließen,

dann sind wir auch mitten hineingestellt,

und zu uns vom All her ein Wink sich gesellt,

dem Zuge uns anzuschließen.


Und sah ich am heutigen, letzten Tag

Menschen und Erde und Abendgelände,

tickt heute mein Herz seinen letzten Schlag,

lebt wohl denn, es komme, was kommen mag!

Der Tod ist nimmer ein Ende.


Menschen und Erde und Morgenrot

erwachen und sterben - auf und nieder.

Nichts als Ruhe im Schlaf ist der Tod ---

und endloses Werden des Lebens Gebot.

Vom Tode erwachen wir wieder.



(c) Knut Hamsun (1859-1952)

Montag, 20. Oktober 2025

Irgendwo ein Grab


 

Wir haben alle irgendwo ein Grab.

Vielleicht schmückt es kein Stein

und keine Blume ---


Es liegt vielleicht

dort nicht einmal ein Mensch

begraben. ---


Und doch ---

Wir haben alle irgendwo ein Grab.


Wir haben alle

irgendwann auch eine Stunde,

in der wir nackt,

ganz nackt und ohne Maske

etwas beweinen,

das wir weh verloren,

das blütenfrisch

als Hoffen einst geboren.


Wir haben alle --- alle

irgendwo ein Grab.



(c) Otto Boettger-Seni (1887-1967)

Wir nennen es Tod


 

Wir Irdischen nennen es Tod.

Doch die jenseits des Todes wohnen,

jenseits der irdischen Not

und näher den Sternenthronen

des Großen Gottes,  wissen ums Sterben nicht;

sie wissen: der Tod ist das Tor in das Ewige Licht.


Sie wissen: Kein Tod ist im Weltenall

und keine Vernichtung; kein Sinken ins grauenhaft Leere:

Denn Wandlung ist alles im wogenden Lebens-Meere.

Und auch der dunkle, angstvolle Fall

in den Abgrund des Todes ist nur ein täuschendes Spiel.

Ewigkeit ist allen Zeitlichen Ursprung und Ziel !


Ihr, die ihr an lieben Gräbern klaget und weint, ---

euer Klagen hindert die Toten, ins Licht zu steigen!

Empor die Herzen, von Leid versteint !

Dann werden die himmlischen Geister sich zu euch neigen.

Und jählings wird licht, was euch trostlose Finsternis scheint !



(c) Fritz Kudnig (1888-1979)

Sonntag, 19. Oktober 2025

Vermissen


 

Einmal da kommt es, dass du einsam bist,

die Stätte leer in deinem Hause ist,

wo einst ein Mensch, der lieb und treu dir ward,

auf dich gewartet, --- das ist hart! ---


Einmal da kommt es, dass du suchst umher

als wär' der Raum der alte nun nicht mehr,

wo du so oft gefühlt des Lieben Näh',

der von dir ging, --- und das tut weh! ---


Einmal da kommt es, dass so selten bang,

so herbe durch die Seele geht ein Klang, ---

O das Vermissen! --- wenn das leise naht,

tut es noch weher, als das Scheiden tat! ---



(c) Henny Schweers (1900-1961)

Wiegenlied für ein totes Kind


 

Schlafe, mein Kind! Mein Kind, schlaf ein!

Schlafe, mein totes Kindelein!

Hör, wie der Regen tropft traurig vom Dach,

bleich welken Kerzen im blinden Gemach.

Draußen der Vogel im Hag klagend ruft,

morgen, ach, betten sie dich in die Gruft.

Morgen schon decken dich Erde und Stein --- ---

Schlafe, mein totes Kindelein!


Schlafe, mein Kind! Mein Kind, schlaf ein!

Schlafe, mein totes Kindelein!

Gestern  noch tanzte dein Lachen durchs Haus,

morgen schon trägt man zum Tor dich hinaus.

Wo einst dein Singen die Kammer durchweht,

schwankend im Dämmer dein Schatten nun steht.

Trüber, ach, werden die Tage nun sein --- ---

Schlafe, mein totes Kindelein!


Schlafe, mein Kind! Mein Kind, schlaf ein!

Schlafe, mein totes Kindelein!

Träum' deinen letzten, den dunkelsten Traum.

Wir, Kind, sind Frucht nur am heiligen Baum.

Wann wir uns lösen: ist alles bestimmt.

Er, der uns sendet und wieder uns nimmt:

Er ist der Becher, und er ist der Wein --- ---

Schlafe, mein totes Kindelein!


Schlafe, mein Kind! Mein Kind, schlaf ein!

Schlafe, mein totes Kindelein!

Woher wir kommen --- wir wissen es nicht.

Wohin wir wandern --- nur Nacht uns umflicht.

Dunkel ist alles, was sein wird und war,

wir sind wie Wind nur im rauschenden Jahr!

Gott in den Sternen ruht ewig allein --- ---

Schlafe, mein Totes! Mein Kind, schlaf ein!



(c) Diemar Moering (1902-1944)

Mittwoch, 15. Oktober 2025

Der letzte Schlaf


 

Und eines Tages neigt sich müd' dein Pfad:

aus Licht und Leuchten, das in Dunkel scheidet,

klingt leise noch ein letzter Ton

mit zager Melodie in Traum und Sehnen. ---

Erschauernd sinnst du deinen Wegen nach,

und deine Frage bangt: "Herr, wohin führst du mich?"

Da senkt der Herr den letzten Schlaf auf dich

und spricht dir lächelnd seinen Wegegruß:

"Komm, folge mir ins ewige Frühlingslicht !" 



(c) Paul Berglar-Schröer (1884-1944)

Und frag nicht mehr ...


 

Schaff' dir ein Herz, das festen Taktes schreite

im Gang, im Tanz, im Stürmerschritt des Lebens;

und dass nur keine Stunde dir vergebens

und ohne Gabe leer vorübergleite!


Sei's wie es sei, wenn du den Kranz nur wandest ---

Wer zählte Dorn' und Blüt' an seinen Zweigen?

Wenn du nur nicht im lebensjungen Reigen

mit unbekränzter Stirn beiseite standest !


Und frag' nicht mehr, du fragtest schon zu lang,

es wird ja doch dir keine Antwort tönen,

trag' du nur unbekümmert deiner schönen

und schweren Tage Schluchzen und Gesang!



(c) Helene Brauer (1889-1925)

Dienstag, 14. Oktober 2025

Unsere lieben Toten ...


 


Unsere lieben Toten sind nicht gestorben,

sie haben nur aufgehört, sterblich zu sein.



(c) Ottokar Kernstock (1848-1928)

Sonntag, 12. Oktober 2025

Ich hab von ferne ...

 


Ich hab von ferne,

Herr, deinen Thron erblickt

und hätte gerne

mein Herz vorausgeschickt,

und hätte gern mein müdes Leben

Schöpfer der Geister, dir hingegeben.


Das war so prächtig,

was ich im Geist gesehn;

du bist allmächtig,

drum ist dein Licht so schön.

Könnt' ich an diesen hellen Thronen

doch schon von heute an ewig wohnen!


Nur ich bin sündig,

der Erde noch geneigt;

das hat mir bündig

dein heilger Geist gezeigt.

Ich bin noch nicht genug gereinigt,

noch nicht ganz innig mit dir vereinigt.


Doch bin ich fröhlich,

dass mich kein Bann erschreckt;

ich bin schon selig,

seitdem ich das entdeckt.

Ich will mich noch im Leiden üben

und dich zeitlebens inbrünstig lieben.


Ich bin zufrieden,

dass ich die Stadt gesehn,

und ohn' Ermüden

will ich ihr näher gehn,

und ihre hellen goldnen Gassen

lebenslang nicht aus den Augen lassen.



(c) Johann Timotheus Hermes (1738-1821)


Freitag, 10. Oktober 2025

Wenn das Licht erlischt


 

Wenn das Licht erlischt so plötzlich, unerwartet,

das eben noch im Raume freundlich um uns schien,

stehn wir erblindet da, erschüttert, tief umnachtet,

und fühlen keine Hand, die führet uns dorthin,

wo noch ein lichter Strahl die Dunkelheit durchdringt

und den erstarrten Sinnen neues Leben bringt.


Ich meine jenes Licht, das Licht der lieben Augen,

das unsres Lebens Glück, das unsre Sonne war;

wir stehn gebeugt am Grab, kein Trostwort will uns taugen,

und wissen unsre Welt nun aller Hoffnung bar.

Der Glaube ist 's allein, der Gottes Liebe sieht,

auch dann, wenn er der Allmacht Walten nicht versteht.


Wenn das Licht erlischt, das selbst wir sind auf Erden,

ob noch so klein, ja dennoch Licht und Geist von Gott,

dann wird vom Bann befreit das dunkle Auge werden,

der Seele Seligkeit besiegt des Leibes Tod;

das Licht, das nie erlischt, erweckt die toten Lider;

verklärt in ew'gem Glanz, sehn wir die Toten wieder.



(c) August von Nordheim (1813-1884)

Donnerstag, 9. Oktober 2025

Die Sonne ist gesunken


 

Ihr Trauernden, lernt zu sagen: "Ich will den Kelch des Herrn trinken." 

Auch euch ist die Sonne gesunken, nicht die Sonne des irdischen Lebens wie dem Entschlafenen, aber die Sonne alles Glückes an diesem Sarge, und dunkle Nacht des Schmerzes hüllt eure Zukunft ein. Aber schauet: neue Sterne werden euch aufgehen, Sterne der Verheißung, des Glaubens und seliger Hoffnung. Einer unserer größten Dichter, Johann Gottfried Herder, sagt: 

"Es ist ein wohltätiger Schleier, der diese und jene Welt absondert, und nicht ohne Ursache ist 's so still und so stumm um das Grab der Toten. Wahrscheinlich würden wir uns selbst verachten, wenn wir die edleren Wesen kennten. Der Mensch soll in seinen künftigen Zustand nicht hineinschauen, sondern sich hineinglauben." 

Der aber, welcher größer ist als alle, die von der Erde sind, und der allein dem Tode die Macht genommen und unvergängliches Leben ans Licht gebracht hat; der da spricht: "Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.", der spricht zu euch, ihr Trauernden:

"Kommt her, ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch erquicken ... Bei mir sollt ihr Ruhe finden für eure Seelen."

Amen.



(c) Eugen Borgius (1883-1908)


Mittwoch, 8. Oktober 2025

Bleib mir treu

 


Schau hinauf, schau hinauf, vielleicht kannst du mich ja sehn,

vielleicht kannst du mich erkennen in den ewiglichen Höhn,

ob ich aus der Sonne strahle

oder Sternenbilder male ---

schau hinauf, schauf hinauf in die Höhn.


Ich bin da, wenn du willst, es liegt ganz in deiner Hand,

lass mich leben in Gedanken, lad' mich ins geträumte Land,

schmück' im Herzen mir ein Zimmer,

dann verlasse ich dich nimmer,

ich bin da, lad' mich ins Seelenland.


Ach, so sei nicht betrübt, deine Tränen tun mir weh.

Ich käm' gern zu dir geflogen, wenn ich dich so weinen seh'.

Bist du traurig, sollst du lachen

und was Irrwitziges machen,

dass ich nicht so betrübt dich mehr seh'.


Geh zum Grab hin und pflanz' dort den Rosenstrauch für mich,

den im Leben ich so liebte, und dann tröste er auch dich,

lass ihn seinen Duft versprühen,

lass ihn wachsen, lass ihn blühen,

geh zum Grab und pflanz' Rosen für mich.


Und gehst du dann nach Haus, und das Haus erscheint dir leer,

ei, so koch dir einen Tee und hol die Fotoalben her,

sieh, dort lach' ich dir entgegen

von den alten Lebenswegen,

und schon scheint dieses Haus nicht mehr leer.


Bleib mir treu, du mein Lieb', und vergiss mich nie und nicht,

und verliebst du dich einst wieder in ein andres Angesicht,

so bewahr' auch mich im Herzen

zwischen all den hellen Kerzen,

bleib mir treu und vergiss mich nur nicht ....



(c) Bettina Lichtner

Wie das Abendrot


 

Ich möchte hingehn wie das Abendrot

und wie der Tag in seinen letzten Gluten ---

o leichter, sanfter, ungefühlter Tod ! ---

mich in den Schoß des Ewigen verbluten.


Ich möchte hingehn wie der heitre Stern,

im vollsten Glanz, in ungeschwächtem Blinken;

so stille und so schmerzlos möchte gern

ich in des Himmels blaue Tiefen sinken.


Ich möchte hingehn wie der Blume Duft,

der freudig sich dem schönen Kelch entringet

und auf dem Fittich blütenschwangrer Luft

als Weihrauch auf des Herren Altar schwinget.


Ich möchte hingehn wie der Tau im Tal,

wenn durstig ihm des Morgens Feuer winken;

o wollte Gott, wie ihn der Sonnenstrahl,

auch meine lebensmüde Seele trinken.


Ich möchte hingehn wie der bange Ton,

der aus den Saiten einer Harfe dringet,

und, kaum dem irdischen Metall entflohn,

ein Wohllaut in des Schöpfers Brust erklinget.


Du wirst nicht hingehn wie das Abendrot,

du wirst nicht stille wie der Stern versinken,

du stirbst nicht einer Blume leichten Tod,

kein Morgenstrahl wird deine Seele trinken.


Wohl wirst du hingehn, hingehn ohne Spur,

doch wird das Elend deine Kraft erst schwächen,

sanft stirbt es einzig sich in der Natur,

das arme Menschenherz muss stückweis brechen.



(c) Georg Herwegh (1817-1875)

Dienstag, 7. Oktober 2025

Nur zu schade ...

 



Auf dem Grabe steht ein Maulwurfsvertreiber,

und er surrt den ganzen Tag, und er surrt die ganze Nacht,

doch der Maulwurf indes besucht die Leiber,

die der Tod ihm in die Unterwelt gebracht.


Und er nennt sie allesamten seine Freunde,

ist mit einigen per Sie, und mit anderen per Du.

Und in dieser unterirdischen Gemeinde

pfeift ein jeder auf die süße Friedhofsruh.


Und man trifft sich gern zum Tanze der Skelette,

und der Maulwurf macht Musik, dass die ganze Erde bebt.

Alle kommen sie dann aus dem Eichholz-Bette,

manche haben es schon hundertmal erlebt.


Ihre knöcherigen Hände eng umschlungen,

eins, zwei, drei im Walzertakt, und ein Tango obendrauf.

Und wie haben sie aus leichter Brust gesungen,

ihre Fröhlichkeit, die hörte nimmer auf.


"Tod, ach Tod, du hast uns lebenslang verschwiegen,

dass dein Reich so lustig ist, und die Freude ewig währt.

Auferstanden! Wer 's nicht mag, der bleibe liegen!

Nur zu schade, dass man 's oben nie erfährt."



(c) Bettina Lichtner


Montag, 6. Oktober 2025

Wenn du die letzten Gedanken denkst ...


 

Wenn du die letzten Gedanken denkst,

sollst du darein mich schließen,

wenn du die Seele von hinnen lenkst,

will ich dich sterbend grüßen.


Und schliefst du ein Jahrtausend lang

wohl unter Staub und Steine,

mein süßes Lieb', sei mir nicht bang,

du schlummerst nicht alleine.


Und flögst du durch die Himmel weit

mit leichtbeschwingten Füßen,

ich komme, um in seliger Zeit

dich immer wieder zu grüßen.


Ich vergesse dich nicht,

ich lasse dich nicht,

mein bist du in Engen und Weiten!

Dein Auge grüßt mich noch im Licht

der fernsten Ewigkeiten.



(c) Max Haushofer jr. (1840-1907)

Der alte Landmann an seinen Sohn


 

Üb' immer Treu und Redlichkeit

bis an dein kühles Grab,

und weiche keinen Finger breit

von Gottes Wegen ab!

Dann wirst du wie auf grünen Au'n

durchs Pilgerleben geh'n,

dann kannst du sonder Furcht und Grau'n

dem Tod ins Auge seh'n.


Dann wird die Sichel und der Pflug

in deiner Hand so leicht;

dann singest du beim Wasserkrug,

als wär' dir Wein gereicht.

Dem Bösewicht wird alles schwer,

er tue, was er tu;

der Teufel treibt ihn hin und her

und lässt ihm keine Ruh'.


Der schöne Frühling lacht ihm nicht,

ihm lacht kein Ährenfeld;

er ist auf Lug und Trug erpicht

und wünscht sich nichts als Geld.

Der Wind im Hain, das Laub am Baum

saust ihm Entsetzen zu;

er findet nach des Lebens Traum

im Grabe keine Ruh'.


Dann muss er in der Geisterstund'

aus seinem Grabe geh'n

und oft als schwarzer Kettenhund

vor seiner Haustür steh'n.

Die Spinnerinnen, die, das Rad

im Arm, nach Hause geh'n,

erzittern wie ein Espenblatt,

wenn sie ihn liegen seh'n.


Und jede Spinnestube spricht

von diesem Abenteu'r.

Und wünscht den toten Bösewicht

ins tiefste Höllenfeu'r.

Der alte Kunz war bis ans Grab

ein rechter Höllenbrand;

er pflügte seinem Nachbar ab

und stahl ihm vieles Land.


Nun pflügt er als ein Feuermann

auf seines Nachbars Flur

und misst das Feld hinab hinan

mit einer glüh'nden Schnur.

Er brennet wie ein Schober Stroh

dem güldnen Pfluge nach

und pflügt und brennet lichterloh

bis an den hellen Tag.


Der Amtmann, der im Weine floss,

der Bauern schlug halb krumm,

trabt nun auf einem glüh'nden Ross

in jenem Wald herum.

Der Pfarrer, der aufs Tanzen schalt

und Filz und Wuchrer war,

steht nun als schwarze Spukgestalt

am nächtlichen Altar.


Üb immer Treu und Redlichkeit

bis an dein kühles Grab,

und weiche keinen Finger breit

von Gottes Wegen ab!

Dann suchen Enkel deine Gruft

und weinen Tränen drauf,

und Sommerblumen, voll von Duft,

blüh'n aus den Tränen auf.



(c) Ludwig Christoph Heinrich Hölty (1748-1776)


Sonntag, 5. Oktober 2025

Wer du warst und wer du bist


 

Beim Graben einer Grube sah

ein Totenkopf den andern liegen

und rief: "Wer bist du, der so nah

sich darf zu meiner Gruft verfügen?"


"Ich war", sprach er, "ein Ruderknecht,

aß schwarzes Brot, trank aus den Flüssen,

schlief auf der Erde, lebte schlecht,

an Schuh und Kleidern abgerissen,

bis der gewünschte Tod mich fand,

den ich oft inniglich begehret,

der hat mich aus dem Joch gespannt

und mir die Freiheit nun gewähret."


"Gemeiner Kerl! Hinweg von mir!",

schrie ihm der andre Kopf entgegen,

"Nichtswürdiger! Was willst du hier?

Dein Zuspruch ist mir ungelegen.

Entweich' und lass mich stracks in Ruh',

ich bin ein andrer Mann als du.

Ich bin mit Königen verwandt

und nicht aus Pöbelblut entsprossen.

Ich trage Stern und Ordensband,

ich fahr' in prächtigen Karossen,

ich streue Tonnen Geldes aus,

im Keller hab' ich Fässer Wein

aus Ungarn, Welschland und vom Rhein,

auf meiner Tafel sechzehn Essen."


"Ich bin --- ich hab' ---- ach, armer Mann,

ich war, ich hatte, musst du sagen!",

hub hier der Sklavenschädel an.

"Du hast ja nichts mit hergetragen.

Ich seh nicht Stern, nicht Ordensband

für deinen königlichen Stand,

ich seh nicht deine Fässer Wein

aus Ungarn, Welschland und vom Rhein,

ich seh nicht deine Tonnen Geld,

noch deine prächtigen Karossen;

was du besessen und genossen,

blieb alles auf der Oberwelt.

Dort oben war ein Unterschied;

hier sind wir gleicher Herrlichkeit,

hier gleicht dein Schädel jedem Schädel.

Schön sieht wie hässlich, arm wie reich,

dumm sieht wie klug aus, schlecht wie edel,

der Tod macht Hack' und Zepter gleich."



(deutsches Volkslied, Verfasser unbekannt)

3fach


 


Dreifach ist der Schritt der Zeit:

Zögernd kommt die Zukunft hergezogen.

Pfeilschnell ist das Jetzt verflogen.

Ewig still ist die Vergangenheit.



(c) Friedrich Schiller (1759-1805) (aus "Spruch des Konfuzius")  

Samstag, 4. Oktober 2025

Wehret der Traurigkeit


 

Friede sei mit den Vollendeten!

Ja, Herr, lass deinen Frieden walten über ihren Gräbern und lass sie Frieden finden bei dir und vor dir, der du ein Gott des Friedens bist. Nimm sie auf in dein Himmelreich und schenke ihnen nach mancher harten Arbeit, nach manchem schweren Kampf, nach manchem sauren Tritt, nach manchem drückenden Leiden die ewige Ruhe, himmlische Freude und Herrlichkeit, und vereinige sie mit den vorausgegangenen Lieben.


Friede sei auch mit Euch!

Der Herr bringt auch Euch, ihr Leidtragenden, diesen Gruß. Nehmt ihn an und auf! Es ist kein leeres Wort. Der Friedefürst hat und bringt den wahren Frieden. Wehret der Traurigkeit. Steigt heraus aus euren Kummerhöhlen. Fürchtet euch nicht. Es ist keine Strafe, keine Züchtigung für euch, dass das Liebste euch genommen ist. Ein Herz hat zwar ausgeschlagen, die Liebe aber folgt und umgibt euch auf Schritt und Tritt eures Lebens. 


Selig, selig sind die Toten,

die am Ende wohl bestehn,

und mit welchen Gottes Boten,

Engel selbst, zu Grabe gehn.



(c) Ludwig Ferdinand Barth (1873-1882)