Vom Grab meiner Mutter komm ich gegangen.
Fragt mich nicht. Ich kann nichts wissen und sagen.
Aus ewigen Schweigens nächtigen Landen
komm ich gegangen, vom Grab meiner Mutter.
Mein Sinnen ist dort,
mein Sehnen,
mein verzweifeltes Wähnen,
jenseits von allem.
Mit blutigem Herzen,
zerrissen, mit schweren Füßen,
vom Grab meiner Mutter komm ich gegangen:
Des Herzens heiligste Zuflucht
liegt unter der Erden.
Vielleicht ---
wenn des Winters Stürme vorüber,
pflanz ich Rosen darauf, rote und weiße,
und der Lenz lässt sie blühen,
glühen und duften,
und des Sommers Sonne umlächelt sie,
und der Tau der schwülen Nächte
behängt sie mit Tränen,
und von den Feldern grüßt
die reife Saat herüber
und manche wilde Blume.
Meine Mutter liebte das Feld
und die Saat und die wilden Blumen ---
Dann kommt der Herbst,
nimmt alles hinweg,
und dann der Winter ---- ----
O wie mich friert !
Vom Grab meiner Mutter komm ich gegangen,
zum Grab meiner Mutter geh ich zurück,
des Herzens heiligste Zuflucht
liegt unter der Erden.
Fragt mich nicht !
Was soll ich wissen und sagen !
Unerbittliches Schweigen
umfängt die nächtigen Lande der Toten,
jenseits von allem.
"Wenn der Jüngste Tag will werden ---
da fallen die Sternlein auf die Erden ---
da neigen sich die Bäumelein ---
da singt ein schön Waldvögelein --- ---"
Mutter! Mutter!
"Da kommt der liebe Gott gezogen
auf einem güldnen Regenbogen ---
Ihr Toten all' sollt auferstehn! --- ---"
Mutter! Kennst du das Lied?
Weißt du, wie du mir's gesungen?
Deine Stimme, tönt sie nicht mehr?
Fortweinen möcht ich dies Leben,
so weh ist mir
ohne dich.
Mutter, nur einmal noch
sing mir dein Wiegenlied,
Mutter, sing mich zur Ruh --- --- ---
(c) Michael Georg Conrad (1846-1927)
