Freitag, 6. Dezember 2019
Donnerstag, 21. November 2019
Ich will nicht wissen ....
Schicksale werden uns nicht gegeben, um ihren Prüfungen auszuweichen, sondern mit ihnen zu ringen - uns dem Unglück mit Mut in den Weg zu stellen und den guten Geistern mit allen Kräften beizuspringen. Das in jedem Augenblick aus der Freiheit meines Wesens mit den mir verliehenen Gaben zu vollbringen, ist ja das Herrlichste am Leben. Ich will nicht wissen, ob der morgende Tag mir Schweres bringt, um mich als Fuchs davor zu schützen. Sondern wenn es da ist, will ich meinen Mann stehen. Genug, dass ich weiß, die guten Geister haben mich nicht verlassen, als ich die Fahrt ins Erdenland antrat, und ich danke ihnen bei jedem Ausblick zu den Sternen, dass sie mich allzeit so wunderbar geleitet haben. Ich kann nicht wünschen, dass sie mir die Steine aus dem Wege räumen, da ich vielmehr in jedem Gottesdienste darum bitte, an dem Opfer teilhaben zu dürfen, dass der höchste Weltenführer vor zwei Jahrtausenden zur Erlösung der Menschheit vollbracht hat.
(c) Rudolf von Koschützki, 1866-1954
aus dem Buch "Fahrt ins Erdenland" (Ausgabe 1933)
Dienstag, 12. November 2019
Donnerstag, 7. November 2019
Aufgewirbelt
Aufgewirbelt liegt die Stunde!
Eben ritt der Tod durchs Tal,
riss den Atem aus dem Munde,
brachte Tränen ohne Zahl.
Zog die Seele aus dem Trauten,
lautlos, dem Gespenste gleich.
Pläne, die zum Berg sich bauten,
zog er allsamt in sein Reich.
Dort, wo just das Lachen lachte,
ist der Platz nun menschenleer.
Keiner, der den Tod bedachte.
Schmerz und Trauer laufen quer.
Warm noch liegt dein Hauch des Lebens
auf dem kleinen Fleckchen Welt.
Mitten in der Lust des Strebens,
hat das Ende sich gesellt.
Zwischen denen, die noch blieben,
griff Gevatters Rechte zu.
Das WARUM fischt blind im Trüben,
sucht den Sinn der letzten Ruh'.
Möchte nur zu gern begreifen,
was nicht zu begreifen ist.
Während sich die Fragen häufen,
webt die Liebe ihr Gerüst.
Webt es zwischen Tod und Leben,
bindet, schnürt und zurrt und spinnt.
Kann 's wahrhaft ein Ende geben,
wo solch Liebesbande sind?
(c) Bettina Lichtner
Mittwoch, 6. November 2019
Der Verhüllte
Ein großer Meister wollte den Hiob malen, den elenden, zerschmetterten Mann, der todeswund an Leib und Seele auf den Scherben seines Glücks sitzt. Wie er sich auch mühte, dem tiefen Jammer, dessen Bild in seiner Seele lebte, Gestalt zu geben, es wollte nicht gelingen. Da malte er ihn verhüllt. Man sah nichts als die weite gelbe Wüste, die trostlose Einöde mit dem brennenden Himmel darüber, und im Vordergrunde ein graues Etwas, die unbestimmten Umrisse eines Menschen, der in sich zusammengebrochen dalag. Vergebens suchte der Blick das Antlitz. Der Mensch begrub sein Elend, seinen Jammer und seine Hässlichkeit mit den Falten des Mantels, als schämte er sich des Tageslichtes. Wer dies verhüllte Etwas anschaute, fühlte einen Schauder durch seine Seele gehen; er ahnte das Entsetzlichste und fürchtete unwillkürlich, es möchte sich aufrichten und all das verborgene Grauen entschleiern.
Hast du nicht vielleicht eine ähnliche Erfahrung gemacht? Du trittst in die stille Sterbekammer, wo der Verblichene ruht, eine regungslose Gestalt. Es drängt dich, die geliebten Züge noch einmal zu schauen, und du streckst die Hand aus, um das weiße Laken zu lüften. Da fasst dich ein geheimes Grauen: was wird sich zeigen, wird es das bekannte Antlitz sein, oder ist es fremd geworden? Vielleicht trägt es den Ausdruck friedensvoller Ruhe, vielleicht aber auch ---- der Tod kann furchtbar umgestalten, und deine Seele erzittert vor dem, was das weiße Laken birgt.
Es ist eine Gnade für uns, dass der Tod uns verhüllt entgegentritt; aber es lässt sich nicht leugnen, dass darin zugleich ein Schrecken des Todes liegt. Dass der Augenblick und die näheren Umstände des Sterbens uns verborgen bleiben, bis wir mitten darin stehen, solange wir noch atmen, ist gewiss eine Gnade, für die wir dem Schöpfer danken wollen. Aber was uns das Sterben furchtbar erscheinen lässt, ist das Fremde, das gänzlich Unbekannte. Wie wird uns sein, wenn der Tod uns fasst? Was werden wir fühlen, was werden wir empfinden? Wie schmeckt der Tod? Alle Erfahrungen, die wir in einem langen Leben gemacht haben mögen, lassen uns im Stiche; sie können uns nichts sagen auf unsere bange Frage.
Vergebens bemühen wir uns, die Sterbenden zu belauschen. So lange sie uns Auskunft geben könnten, ist auch ihnen der Tod noch das Verhüllte, das Unbekannte, vor dem die Seele unwillkürlich erschauert. Je näher sie ihm kommen, um so ferner werden sie uns; ihre Stimme würde uns nicht mehr erreichen, wollten sie im letzten Augenblick sich rückwärts wendend uns Bericht geben. Sie werden auch wohl so erfüllt sein von dem großen Ernste dieses Augenblickes, dass sie unsere Frage gar nicht hören, dass sie das Leben und seine Wünsche gar nicht mehr verstehen, nicht mehr sehen. Mitunter wird beobachtet, dass beim Sterben plötzlich eine Veränderung über die erstarrenden Züge geht, als ob sich etwas Ungeahntes entfalte vor der scheidenden Seele. Was ist es? Ein Staunen ---- ein Erschrecken ---- ein freudiges Aufleuchten? Hat der Sterbende etwas geschaut --- etwas gehört --- etwas empfunden --- eine erste Erfahrung gemacht, die schon von jenseits kommt? Wer will es deuten!
Nun liegt er da und hat die Lippen für immer geschlossen. Jetzt weiß er das große Rätsel und könnte Auskunft geben, aber er schweigt. Vergebens suchst du eine Antwort zu lesen in seinen starren Zügen, sie bleiben unbeweglich. Mag der Verstorbene dir ein treuer Freund gewesen sein, der kein Geheimnis vor dir hatte: das große Geheimnis des Sterbens verrät er dir nicht. Mag er dir ein Führer und Berater gewesen sein, der immer bereit war, dir die Wege zu weisen: über den dunkeln Weg, den er soeben gegangen ist, den auch du gehen musst, über den du so gern etwas wissen möchtest, über diesen Weg sagt er dir kein Wort.
Nun setze dich hin und grüble nach, spanne alle deine Geisteskräfte an, um das Rätsel zu lösen; frage die tiefsten Ahnungen deiner Seele: wie wird mir sein im Sterben? ----- Die Antwort bleibt aus. Der Verhüllte lüftet die finstern Falten nicht. Du musst den Tod so nehmen, wie er für das Leben ist, ---- als das Fremde, das nie Erfahrene und nie Empfundene, als das große Unbekannte.
(c) Augustin Wibbelt, 1862-1947
Dienstag, 5. November 2019
Von der wahren Ruhe
Die da sterben in der Furcht Gottes und im Glauben an Jesum Christum, schmecken den Tod nicht in Wirklichkeit. Für sie gibt es keinen Tod, nur einen Wechsel des Orts, einen Wechsel des Zustands; sie gehen sofort über in ein neues Leben, mit allen ihren Kräften, ihren unveränderten Gefühlen, noch als dieselben lebenden, denkenden, tätigen Wesen, die sie hier auf Erden waren. --- Sie dürfen ruhen ---, ja, sie werden ruhen, wenn sie der Ruhe bedürfen. Aber worin besteht dieses Ruhen? Nicht in träger Untätigkeit, sondern in Frieden des Geistes. Ach, auszuruhen von Sünde, Leid, Furcht, Zweifel und Sorge, ist das nicht wahre Ruhe? Vor allem auszuruhen von dieser tiefsten Ermattung und Entmutigung: seine Pflicht erkennen und nicht fähig sein, sie zu erfüllen.
Das ist wahre Ruhe, die Ruhe Gottes, der fort und fort wirkt und ist doch in ewiger Ruhe; wie die Sterne über unsern Häuptern sich fort und fort bewegen, wohl tausend Meilen an einem Tage, und sind doch in vollkommener Ruhe, weil sie in voller Harmonie ihre Bahn wandeln, das Gesetz, was Gott ihnen gegeben hat, also erfüllend. Vollkommene Ruhe in vollkommener Arbeit --- darin besteht sicher das Ausruhen der seligen Geister bis zur endlichen Vollendung, wenn Christus die Zahl seiner Auserwählten um sich versammelt haben wird.
Und da es so ist, ---- welcher Trost für uns, die wir sterben müssen, welcher Trost für uns, die wir anderer Sterben sahen, wenn dieser Tod nur eine neue Geburt ist in höheres Leben hinein, wenn das einzige, was sich in uns verändert, unser Leib ist, unsere Schale, unsere Hülse ---- eine Veränderung, wie sie über die Schlange kommt, wenn sie ihre alte Haut abwirft und frisch und erneut daraus hervorgeht, oder wie die kriechende Raupe, die ihr Gefängnis sprengt und als herrlicher Schmetterling ihre Flügel der Sonne entgegen breitet. Wo ist dann des Todes Stachel, wenn der Tod an uns nichts vernichten und der Verwesung anheim geben kann, was unsere Freunde lieb hatten, nichts von dem, womit wir Gott und Menschen dienen konnten? Wo ist des Grabes Sieg, wenn, weit entfernt uns gefangen zu halten, es uns befreit von d e m , was uns fesselt und zu Boden drückt ---- von dem irdischen Leib?
(c) Charles Kingsley, 1819-1875
Montag, 4. November 2019
Es gibt keinen Stillstand
Der Tod ist nichts Furchtbares, sondern nur eine Station auf der Reise zur Vollkommenheit, zur Genialität oder zum inneren Frieden. Alles dient der Entwicklung des Menschen, und selbst das Leid hat keinen anderen Zweck, als durch Enttäuschung (d. h. Entfernung von der Täuschung) ihn immer mehr dem reinen Selbst näher zu bringen. Es gibt keinen Stillstand. Die Ruhe fördert nicht minder die Evolution als die Tätigkeit.
Was heutzutage wie immer not tut, ist das Erwachen des Bewusstseins der unsterblichen Natur. In ihr wird die Ruhe und das heilige Gefühl einer unerschütterlichen Sicherheit gewonnen, und mit ihrem Einzug schwindet jegliche Todesfurcht. Die Erleuchteten schreckten nicht vor dem "Tode" zurück, vielmehr bezeichneten sie ihren Sterbetag als den Termin ihrer Geburt. Es ist erhebend, die Blätter der Geschichte zu lesen, welche die darauf bezüglichen Anschauungen wirklich großer Männer enthalten: Von Sokrates wird folgendes erzählt: Als seine Freunde sich bei ihm nach dem Ort erkundigten, wo sie ihn begraben sollten, rief er ihnen lächelnd zu: "Begrabt mich, wo ihr wollt, wenn ihr meiner habhaft werden könnt; aber saget nicht, ihr habt den Sokrates bestattet, sondern saget, ihr begrubet seinen Leib!"
Nicht anders dachte Plotinus. Er lebte in der Idee des Unsterblichen, im Bewusstsein des göttlichen, unentstandenen und nie vergehenden Wesens. Seine Enneaden, würdige Beiträge zur theosophischen Literatur, bezeugen dies. Es kamen einmal einige Leute zu ihm, um den Tag und das Jahr seiner Geburt zu erfahren. Er wies sie mit den freundlichen Worten ab: "Das Ereignis meiner Geburt in dieser Welt ist ein so unbedeutendes Vorkommnis in meiner unsterblichen Laufbahn, dass es gar nicht der Erinnerung wert ist."
Von Jakob Böhme wird erzählt, er habe in seiner Sterbestunde unbeschreibliche Harmonien vernommen und sei mit den seligsten Gesichtszügen in den anderen Zustand eingegangen.
Benjamin Franklin, der sein ganzes Leben über bemüht war, die alten Druckfehler seiner Handlungen zu verbessern und neue zu vermeiden, ließ auf seinen Grabstein die bekannte fröhliche Einsicht verkündigende Inschrift setzen:
Hier ruht der Körper des Buchdruckers Benjamin Franklin, den Würmern zur Nahrung, wie der Deckel eines alten Buches, dessen Inhalt herausgerissen, ohne Titel und Vergoldung. Jedoch das Werk selbst ist nicht verloren gegangen, sondern wird, wie er glaubte, neu erscheinen in neuer und feinerer Ausgabe durchgesehen und verbessert vom Verfasser.
(c) Friedrich Jaskowski, 1887-1914
Sonntag, 3. November 2019
Irischer Reisesegen
Möge dein Weg
freundlich dir entgegenkommen,
Wind dir
den Rücken stärken,
Sonnenschein deinem Gesicht
viel Glanz und Wärme geben,
der Regen möge sanft dir
deine Felder tränken,
und bis wir beide, du und ich,
uns wiedersehen,
halte dich schützend Gott
in seiner hohlen Hand.
Doppelpunkt
Der Tod ist Teil des Lebens; doch nicht als Schlusspunkt, sondern als Doppelpunkt: und damit als Auftakt des ewigen Lebens.
(c) Walter Wanner
Samstag, 2. November 2019
Unter dem Schirm des Höchsten
Psalm 91, 1.2
Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg; mein Gott, auf den ich hoffe.
Der 91. Psalm trägt in manchen Bibeln die Aufschrift: Trost in Sterbensgefahr. Es ist ein Lied starken Gottvertrauens, das sich in Gottes Schutz geborgen weiß. In vielen Schlachten hat es sich an manchem als rechter Soldatenpsalm erwiesen. In den Wettern des Krieges und in der Angst der Zeit hat es die draußen Kämpfenden und die in der Heimat Zurückgebliebenen unter den Schutz des allmächtigen Gottes gestellt, der in Christo unser Vater ist. Wer im Glauben sich mit ihm zusammenbindet, der hat ein starkes Geleit und einen sicheren Helfer. Unzählige haben das erfahren. Dass sie in allen Gefahren des Krieges bewahrt blieben, preisen sie als ein Wunder der Gnade.
Und die andern? Die gefallen sind und mit gebrochener Gesundheit heimkehrten? --- Wir stehen mit unserem Psalm im Alten Testament, wo die Gewissheit, irdisch und leiblich bei Gott geborgen zu sein, als die höchste Kraft des Gottvertrauens gepriesen wird. Aber wir im Neuen Testament kennen ein noch tieferes Lied, jenes hohe Lied des Glaubens, und wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen; dass auch der Tod uns nicht von Gottes Liebe scheiden kann. "Wo der Herr ein Haus erschüttert, das mit kindlichem Vertrauen auf diesen Fels seiner Zusage gebaut war, --- ist nicht ewiges Leben länger, höher, reicher als das längste Leben? Sind die Deinen dir vorangegangen, rüste dich auf den Heimgang. Des Herrn Hand hat's getan; so halte dich fest an seiner Hand, die keine grausame ist; des Herrn Kraft wird in deiner Schwachheit mächtig sein."
Zu dir, Herr, flüchten wir uns. In deinen Schutz bergen wir uns. Deiner Gnade getrösten wir uns. Lebend und sterbend wissen wir uns in deiner Hand. Ach, hilf uns zur Seligkeit. Amen.
(c) Dr. Paul Conrad, Theologe, 1865-1927
Mittwoch, 30. Oktober 2019
Kein Zweifel
Seit deinem Tod glaubte ich,
von dir getrennt zu sein.
Bis ich begriff: wir sind eins
auf Erden wie im Himmel.
Kein Zweifel.
Seit deinem Tod glaubte ich,
alleine und hilflos zu sein.
Bis ich begriff: wir sind einander nah
für immer und immer.
Kein Zweifel.
Seit deinem Tod glaubte ich,
die Kälte frisst mich auf.
Bis ich begriff: wir wärmen uns weiter
bei Tag und bei Nacht.
Kein Zweifel.
Seit deinem Tod glaubte ich,
nie wieder lachen zu können.
Bis ich begriff: wir bleiben lachenden Herzens
und besiegen allen Kummer.
Kein Zweifel.
Seit deinem Tod glaubte ich,
vom Leben vergessen zu sein.
Bis ich begriff: wir sind ewiges Leben,
und niemals wird es anders sein.
Kein Zweifel.
(c) Bettina Lichtner
Freitag, 13. September 2019
Samstag, 27. Juli 2019
Donnerstag, 18. Juli 2019
Sonnenflirren
Da ruhst du also nun im Frieden.
Dein Frieden braucht nicht weiße Tauben.
Wie ist doch Frieden so verschieden.
Den ewigen möcht' ich dir rauben,
weil doch der irdische so flüchtig,
so schwer in Raum und Zeit zu halten,
so vogelfederleichtgewichtig,
nur mit Verträgen zu gestalten.
Ich neide dir die letzte Bleibe.
Mein Hemd füllt weiter seine Taschen.
Die Stunde wirbelt ihre Stäube,
sich Gunst zur Freude zu erhaschen.
Dein Herz aus Regenbogenfarben
lacht über schwarze Malereien
und möchte seine bunten Garben
mit allem Weltengrau vertäuen.
Die Ruhe streichelt zart die Wipfel.
Vorm Grabe bleibt von meinen Plänen
ja weiter nichts als nur ein Tüpfel.
Die Zeit umklammert seidne Strähnen;
sie spürt den kalten Hauch im Nacken.
Der Nachbar zupft die welken Rosen
und reißt mit spitzen Harkenzacken
mich aus Gedankensymbiosen.
Dem Ende liegt ein Zauber inne,
ein Duft von Honigtau und Liebe,
ein Tanz der losgelösten Sinne,
als ob es ewig Sommer bliebe
mit nimmermüdem Sonnenflirren
und daunenweichen Blumenbetten,
wo Sternenfalter lieblich schwirren ....
O, süße zukünftige Stätten!
(c) Bettina Lichtner
Samstag, 13. Juli 2019
Ich muss sterben und weiß nicht wann
Ach lieber Gott und Herr, ich lebe und weiß nicht wie lange. Ich muss sterben und weiß nicht wann. Du, mein himmlischer Vater, weißt es. Wohlan, soll dieser Tag (oder diese Nacht und Stunde) die letzte meines Lebens sein, Herr, so geschehe dein Wille, der ja allezeit und allewege der beste ist. Nach demselben deinem heiligen Willen lass mich allezeit bereit sein, in wahrem Glauben an meinen Erlöser Jesum Christum zu leben und zu sterben. Allein, mein frommer Gott, gewähre mir diese Bitte, dass ich nicht plötzlich in meinen Sünden sterben und verderben möge. Stelle sie mir in diesem Leben zu meiner Bekehrung unter die Augen, damit sie mir nicht am jüngsten Tage zu meiner Verdammnis vorgestellt und zugerechnet werden mögen. Verleih mir, dass ich noch in der Gnadenzeit meine mannigfaltigen schweren Sünden erkenne, bekenne, sie von Herzen bereue, einen festen Vorsatz fasse, mein Leben zu bessern, und auch Vergebung derselben von dir erlange. Alsdann, mein Gott, geschehe dein heiliger Wille; lass mich sterben, wann es dir gefällt, nur gib mir ein sanftes und vernünftiges Ende. Barmherziger Gott und Vater, der du bei deinem Leben geschworen hast, du wollest nicht den Tod des Gottlosen, sondern dass er sich von seinem bösen Wesen bekehre und lebe, Gott Sohn, der Welt Heiland, der du alle, die an dich glauben, bei deiner Wahrheit versichert hast, was sie den Vater in deinem Namen bitten werden, das wolle er ihnen geben, Gott heiliger Geist, der du unserer Schwachheit aufhilfst und wenn wir nicht wissen, was und wie wir erhörlich beten sollen, uns mit unaussprechlichem Seufzen vertrittst, erbarme dich über mich armen Sünder und lass diese meine Bitte Ja, Amen und erhört sein. In deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöst, du getreuer Gott. Amen.
(c) Gebet um tägliche Bereitschaft zum Sterben aus dem Jahre 1894
Freitag, 12. Juli 2019
Ach wie flüchtig ...
Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
ist des Menschen Leben!
Wie ein Nebel bald entstehet
und auch wieder bald vergehet,
so ist unser Leben, sehet !
Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
sind der Menschen Tage!
Wie ein Strom beginnt zu rinnen
und mit Laufen nicht hält innen,
so fährt unsre Zeit von hinnen.
Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
ist der Menschen Freude!
Wie sich wechseln Stund und Zeiten,
Licht und Dunkel, Fried und Streiten,
so sind unsre Fröhlichkeiten.
Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
ist der Menschen Schöne!
Wie ein Blümlein bald vergehet,
wenn ein raues Lüftlein wehet,
so ist unsre Schöne, sehet!
Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
ist der Menschen Glücke!
Wie sich eine Kugel drehet,
die bald da, bald dorten stehet,
so ist unser Glücke, sehet!
Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
ist der Menschen Ehre!
Über den, dem man hat müssen
heut die Hände höflich küssen,
geht man morgen gar mit Füßen.
Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
ist der Menschen Wissen!
Der das Wort könnt prächtig führen
und vernünftig diskutieren,
muss bald allen Witz verlieren.
Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
ist der Menschen Dichten!
Der, so Kunst hat lieb gewonnen
und manch schönes Werk ersonnen,
ist dem Tode nicht entronnen.
Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
ist der Menschen Prangen!
Der in Purpur hoch vermessen
ist als wie ein Gott gesessen,
dessen wird im Tod vergessen.
Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
ist des Menschen Herrschen!
Der durch Macht ist hoch gestiegen,
muss zuletzt aus Unvermögen
in dem Grab erniedrigt liegen.
Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
sind der Menschen Schätze!
Es kann Glut und Flut entstehen,
dadurch, eh wir uns versehen,
alles muss zu Trümmern gehen.
Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
sind der Menschen Sachen!
Alles, alles, was wir sehen,
das muss fallen und vergehen;
wer Gott fürcht', wird ewig stehen.
(c) Michael Franck, 1609-1667
Samstag, 22. Juni 2019
Liebe kennt keine Barrikaden
Du vermisst die alte Zeit
und kommst wieder mal ins Schwärmen.
Am verglühten Stundenscheit
will die Gegenwart sich wärmen.
Die Erinnerung brennt hell.
Früher war dir alles lieber.
Und es seufzt das Herz: "Wie schnell
ging das Leben vorüber."
Leuchtende Tage
sind wie Sterne in der dunkelsten Nacht.
Sei nicht traurig, weil sie allesamt fort.
Sie blüh'n weiter in dem lieblichen Wort,
das dich niemals vom Vergangenen trennt
und sich Dankbarkeit nennt.
In die Fotos tauchst du ein
wie in abertausend Wellen.
Von dem alten Sonnenschein
lässt dein Lächeln sich erhellen.
Die betrübte Seele strahlt,
wenn die alten Bilder leben
und dein Geist Momente malt,
die es einstmals gegeben.
Leuchtende Tage
sind wie Sterne in der dunkelsten Nacht.
Sei nicht traurig, weil sie allesamt fort.
Sie blüh'n weiter in dem lieblichen Wort,
das dich niemals vom Vergangenen trennt
und sich Dankbarkeit nennt.
Mancher Augenblick erwacht
aus dornröschenhaften Träumen.
Eine alte Stimme lacht
in den ausgestorbnen Räumen.
So unendlich scheint die Welt
unermesslicher Gedanken.
Ewig nährend weites Feld.
Weder Hürden noch Schranken.
Leuchtende Tage
sind wie Sterne in der dunkelsten Nacht.
Sei nicht traurig, weil sie allesamt fort.
Sie blüh'n weiter in dem lieblichen Wort,
das dich niemals vom Vergangenen trennt
und sich Dankbarkeit nennt.
Liebe bleibt sich immer treu.
Selbst der Tod kann ihr nicht schaden.
Sie ist so und so dabei
und kennt keine Barrikaden.
Ihre Wohnung ist dein Herz,
ach, wer soll sie dort vertreiben?
Sie ist stärker als dein Schmerz
und will stets bei dir bleiben.
Leuchtende Tage
sind wie Sterne in der dunkelsten Nacht.
Sei nicht traurig, weil sie allesamt fort.
Sie blüh'n weiter in dem lieblichen Wort,
das dich niemals vom Vergangenen trennt
und sich Dankbarkeit nennt.
(c) Bettina Lichtner
Freitag, 24. Mai 2019
Den Tod nicht scheuen ....
Im Glück nicht jubeln,
im Sturm nicht zagen,
das Unvermeidliche mit Würde tragen,
das Rechte tun,
am Schönen sich freuen,
das Leben lieben,
und den Tod nicht scheuen,
und fest an Gott
und bessre Zukunft glauben,
heißt leben,
heißt dem Tod
sein Bittres rauben.
(aus einem Poesiealbum, geschrieben 16.5.1933 für Edith von Leni)
Dienstag, 2. April 2019
Ich nehme Abschied ...
Seit einiger Zeit habe ich ein Gefühl wie eine Vorahnung, dass der Herr mich bald von dieser Welt abberufen wird. Darum habe ich mich entschlossen, hier meine letzten Wünsche aufzuzeichnen. Seit einigen Jahren habe ich schon als Leichentext die Worte unseres Erlösers gewählt: "Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wird, so sprecht: wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren." (Lukas 17, 10)
Ich bitte unseren lieben Seelsorger, sich daran zu halten und kein Wort der Lobeserhebung über meinen Lebenslauf zu sagen, denn Paulus sagt in 1. Korinther 4, 7: "Was hast du aber, was du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmst du dich denn, als ob du es nicht empfangen hättest?"
Es ist also Gott in seinem Ruhm, dem alles zugeschrieben werden muss, was wir empfangen haben aus Gnade, ja aus Gnade, denn was sind wir und was können wir ohne die Hilfe seines Geistes oder was können wir als Ursachen des Lobes für uns beanspruchen, während unsere ganze Fähigkeit, alles, was wir besitzen, unser ganzes Dasein eine Gabe der Gnade Gottes ist? Es bleibt mir nur übrig, mit dem Zöllner auszurufen: "Gott sei mir Sünder gnädig!"
Ich nehme Abschied von allen meinen Wohltätern und Wohltäterinnen. Der Herr möge sie segnen und ihnen in der Ewigkeit all das Gute vergelten, das sie mir erwiesen, all die Gefälligkeiten, die sie mir erzeigt haben.
Ich nehme Abschied von allen meinen Freunden und Freundinnen, von allen unseren Nachbarn, ich danke ihnen für alle Aufmerksamkeiten mir gegenüber.
Ich nehme Abschied von allen meinen Neffen und Nichten, ich bitte sie und fordere sie dringend auf, ihr Leben in Jesus Christus zu führen.
Ich nehme Abschied von allen meinen Patenkindern, ich nehme Abschied bis zum großen Wiedersehen, wo ich dann hoffe, sie alle in der seligen Ewigkeit wiederzufinden.
Und ich nehme Abschied von Euch, meine lieben Kinder der Strickschule von Waldersbach und der ganzen Pfarrei. Ich verlasse Euch, doch nur mit meinem Leibe, denn ich werde fortfahren, den lieben Herrn zu bitten, dass er Euch segnen und alle zu sich ziehen wolle. Denkt oft an Eure Louise, die Euch so sehr liebte. Ich werde fortfahren, den Herrn zu bitten, dass er Euch für die Person, die mich ersetzen wird, dieselbe Liebe, dieselbe Achtung und denselben Gehorsam geben möge, die Ihr mir gezeigt habt. Ja, tut das, liebe Kinder, ich werde mich darüber freuen in der Ewigkeit.
Ich sage schlussendlich Lebewohl der ganzen Pfarrei. O dass ich unserem lieben verstorbenen Seelsorger und Vater, wenn ich ihn wiedersehen werde, gute Nachrichten geben könnte von seiner Pfarrei, die seinem Herzen so teuer war. Aber ach! O Herr Jesus Christus, der du gekommen bist, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist, wollest durch deine Gnade und Barmherzigkeit alle verirrten Schafe unserer Pfarrei zurückführen und die harten Herzen mit ihrer traurigen Leichtfertigkeit und ihrem sorglosen Wesen erweichen durch dein Wort und deine Unterweisungen! Führe zurück zum Leben in dir alle lebendig Toten unserer Pfarrei! Amen. Amen.
Und Ihr, meine lieben Freundinnen und Leiterinnen, indem ich Euch bis zum großen Wiedersehen verlasse, möchte ich Euch bitten, nicht die Geduld zu verlieren; verdoppelt jedoch Mut und Treue, Eifer und Glut des Herzens, diese Jugend für den Weg der Weisheit und der Tugend zu begeistern, diese zarte Jugend zu unserem Herrn zu führen, dem großen Freund der Kinder; bemüht Euch, ihnen die Freude an Fleiß und Treue einzuflößen; sprecht oft mit ihnen von der Gegenwart Gottes, lehrt sie die Liebe zu Gott und dem Nächsten, das Einstehen des einen für den anderen; bringt ihnen die Abscheu bei vor der Lüge, dem Fluchen, dem Ungehorsam, vor jeder Art von Lastern und Übeln. O meine lieben Freundinnen, allen, die zum Unterricht der Jugend berufen sind, hat der Herr eine zwar mühsame, doch ehrenhafte Aufgabe gegeben, Ihr dürft sie erfüllen zu seiner Ehre und seinem Ruhm bis zur Zeit der Ernte."
Frau Louise Scheppler starb am 25. Juli 1837, nachmittags um 5 Uhr. In Aufzeichnungen heißt es, dass sie in den Kleidern beerdigt wurde, die sie seit 1827 zurückgelegt hatte: ein altes gestricktes Jäckchen, eine alte weiße Schürze, ein altes Umschlagtuch, schlechte Strümpfe, alles sehr sauber und sehr gut geflickt, kein Rock. Warum etwas Gutes in die Erde legen, während es viele Bedürftige gibt, denen es zugute kommen könnte? Sie wusste, dass das, was man der Erde anvertraute, nur noch ihre leibliche Hülle war und dass ihre Seele zu Gott käme ...
(c) Abschiedsbrief der Frau Louise Scheppler, 1763-1837
Himmelwärts
O schöner Tag, o Tag ersehnter Ehren,
wo meine Seele darf zum Schoß des Heilands kehren;
mein Geist hebt sich zu ihm, es brennt mein Herz,
zu schwingen sich, wohin es strebte: himmelwärts!
(c) Maria Magdalena Oberlin, 1718-1787 (Mutter des Pfarrers Johann Friedrich Oberlin)
Donnerstag, 7. Februar 2019
Gewiss ungewiss
Nichts ist gewisser als der Tod,
nichts ungewisser als seine Stunde.
(c) Anselm von Canterbury, 1033-1109
Dienstag, 5. Februar 2019
Täglicher Blick in das Grab
Das Grab ist da! Hier steht mein Bette,
da ich den Tod umarmen soll;
ach, wer sich gut gebettet hätte,
der schliefe sanft und ruhte wohl.
Man denket gar zu wenig dran,
dass man so leicht hinsterben kann.
Das Grab ist da! So heißt es immer.
Wir gehen ein und gehen aus.
Die Welt ist wohl ein schönes Zimmer,
doch aber ein geborgtes Haus.
Bequemt man sich am besten hier,
so weiset uns der Tod die Tür.
Das Grab ist da! Oft bei der Wiegen.
Wie manches Kind grüßt kaum die Welt,
so muss es schon im Sarge liegen,
dieweil der Tod nicht Ordnung hält
und alles ohn' Erbarmen bricht,
die Frucht sei zeitig oder nicht.
Das Grab ist da! Die besten Jahre
sind auch des blassen Todes Raub,
der wirft den Stärksten auf die Bahre
und legt den Schönsten in den Staub.
Ein jeder Schritt, den man vollbracht,
naht sich mit uns zur Grabesnacht.
Das Grab ist da! Sobald wir älter,
so gehn wir auf den Kirchhof zu.
Die Glieder werden immer kälter
und sehnen sich selbst nach der Ruh';
denn Sterben ist der feste Schluss;
der Junge kann, der Alte muss.
Das Grab ist da! Was sollt ich wähnen,
dass es noch ferne von mir sei?
Denn man begräbt ja den und jenen,
und jeder muß an diese Reih'.
Wie manchen legt man auf die Bahr',
der jünger und gesünder war.
Das Grab ist da! Ich will mit Buße
dahin stets meine Wallfahrt tun.
Ich falle dir, mein Gott, zu Fuße,
ach, lass mich nicht in Sünden ruhn.
Wer Sünde mit sich nimmt ins Grab,
der stirbt nun auch dem Himmel ab.
Das Grab ist da! Wo mich 's soll laben,
so muss ich auch im Glauben mich
in meines Jesu Wunden graben.
Mein Heiland, ich umfasse dich.
Denn du bist meines Todes Tod.
Steh mir bei in der letzten Not.
Das Grab ist da! Mein kurzes Leben
soll künftig desto frömmer sein,
und nicht nach Pracht und Reichtum streben,
das ist ein kalter Leichenstein.
Die Grabschrift, die die Tugend gräbt,
macht, dass man auch im Tode lebt.
Das Grab ist da. Das Weltgetümmel
stört mich bei dem Gedanken nicht:
Je näher Grab, je näher Himmel.
Wer weiß, wie bald mein Herz mir bricht?
Und doch erschreck' ich nicht dafür.
Mein Grab wird mir zur Himmelstür.
Das Grab ist da! Ich steh vielleichte
mit einem Fuße drinnen schon.
Wie, wenn ich 's heute noch erreichte?
Die Zeit eilt flügelschnell davon.
Doch ich bin immerdar bereit,
das Grab sei nahe oder weit.
Das Grab ist da! Weg Eitelkeiten!
Bei euch vergisst man nur das Grab.
Ich will mich täglich so bereiten,
dass ich den Tod vor Augen hab'.
Ich bin ein Mensch, so heißt es ja:
Das Grab ist da! Das Grab ist da!
(c) Benjamin Schmolck, 1672-1737
Ein Maskenmund tragischer Klage
Wir wissen nichts von diesem Hingehn,
das nicht mit uns teilt.
Wir haben keinen Grund,
Bewunderung und Liebe oder Hass
dem Tod zu zeigen,
den ein Maskenmund tragischer Klage
wunderlich entstellt.
Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen.
Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen,
spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.
(c) "Todes-Erfahrung", Rainer Maria Rilke, 1875-1926
Montag, 4. Februar 2019
Ach, dein Nahesein ...
"Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." (Matthäus 28, 20)
Ach, mein Herr Jesu, dein Nahesein!
Wenn wir das doch beherzigen wollten! Wenn wir doch Ernst machen möchten mit dieser Verheißung unseres Herrn und die Kräfte in uns aufnehmen wollten, die darin liegen!
Aber es gibt so viele, die immer nur rückwärts schauen nach Golgatha, wo der Heiland für uns starb und die ewige Gerechtigkeit uns erworben hat. Sie vergessen ganz, dass wir in dem Herrn nicht nur unsere Gerechtigkeit, sondern auch unsere Stärke haben sollen. Und andere wieder denken nur an die Stunde in der Ewigkeit, wo Jesus sie im Gericht mit seiner Gnade decken und schützen wird. Sie haben beide ganz recht. Jesus Christus war gestern und er wird in Ewigkeit sein. Aber sie vergessen ganz, dass er auch heute ist.
Nicht nur rückwärts nach Golgatha und nicht nur vorwärts zur Ewigkeit dürfen wir blicken, sondern vor allem sollen wir Auge und Herz zu dem Himmelfahrtsberge richten, auf dem uns der Herr die Zusicherung gibt: Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Siehe! Wenn wir nur die Augen aufmachen wollten, könnten und müssten wir den lebendigen Heiland sehen, der auch in den Stürmen dieser Zeit durch unsere Reihen geht, die Trauernden tröstend, die Schwachen aufrichtend, die Sterbenden segnend.
Tu doch nur die Augen auf, dann siehst du ihn, wie er dir zur Seite steht. Auch in der Einsamkeit bist du nicht allein. Auch wenn du teure Menschenhände loslassen musst, er bleibt bei dir, in jeder Lage, an jedem Tage, im Dunkel der Nacht, in Herzensangst und in Todesnöten. Und weil wir ihn haben, gibt es kein ungetröstetes Elend mehr.
Ob wir auch wandern im finstern Tal, Herr, du bist bei uns. Dein Stecken und Stab trösten uns. Aber wir sind oft so verzagt, weil wir dich nicht sehen. Ach, öffne uns die Augen. Rühre uns das Herz an. Sprich zu unserer Seele. Herr, dass wir dich sehen mögen. Amen.
(c) Dr. Paul Conrad, 1865-1927
Philipp Kremer, gestorben 17.9.1885
Augsburg, 19. September 1885
Trauerrede für Philipp Franz Alois Kremer
Omnia bene fecit. Er hat alles gut gemacht. (Markus 7, 37)
Wie selten zollt der Mensch seinem Schöpfer diese schuldige Anerkennung; wie selten ist der Dank: o Gott, Du hast alles gut gemacht. Wie oft dagegen murrt er gegen die Wege der Vorsehung, wenn es ihm wie dem Kinde ergeht, dem der Vater das Gift aus den Augen räumt, dass es dem Kinde nicht schade. Und dennoch muss der denkende und gläubige Christ so oft im Leben ausrufen: o Gott, Du hast alles so gut gemacht; oder doch wenigstens beim Scheiden aus diesem Leben Gott die Ehre geben: o Vater, Du hast es mir so gut gemeint.
Ich will am Grabe eines lieben Gatten und Vaters in seinem Namen ausrufen:
O Gott, Du hast alles gut gemacht.
Und diese Worte zum Troste und zur Erbauung der verehrten Trauerversammlung auf ihn anwenden.
Sie gelten dem wohlgeborenen Herrn Privatier Philipp Kremer; derselbe war geboren zu Augsburg am 8. Dezember 1823 als der Sohn des Magistratsrats und Großhändlers Matth. Kremer und seiner Gattin Barbara, geborene Kaiser, und starb nach langem Leiden, versehen mit den Tröstungen seiner heiligen Religion, wie wir glauben, selig im Herrn, am 17. September morgens 3 Uhr.
Der Herr hat alles recht gemacht.
Freilich, spricht der Neid, es war ja ein reicher Mann, der viele Güter auf Erden besaß. Dem reichen Manne gilt mein Wort nicht; er war gewöhnt, sich nur als Verwalter des Herrn anzusehen und seine Verwaltung war eine gerechte, der Gebrauch seines Reichtums ein vernünftiger. Ich hätte hier schöne Gelegenheit, ihn wenn nicht als reichen und angesehenen, doch wenigstens als einen wohltätigen Mann hervorzuheben und seine guten Werke zu preisen; doch wäre mein Lob eitel und wertlos am Grabe eines Mannes, der einfach und bescheiden im Leben nie Anerkennung und Beifall anstrebte und Almosen nicht des Lohnes wegen gab. Ihm fehlt heute, wie ich hoffe, der schönste Lohn nicht, wenn so mancher, wie ich weiß, beim Klang der Scheidungsglocke, die seinen Hingang verkündete, für seine ewige Ruhe ein aufrichtiges Vaterunser betete.
Aber eines darf ich hier bemerken: wenn er gab, ohne Aufsehen und zeitliche Absicht, so gab er mit Klugheit und Überlegung; er hatte durch zwölf Jahre als Armenpflegschaftsrat Gelegenheit, einen Blick in das menschliche Elend, aber auch einen Blick in menschliche Armseligkeit und Charakterlosigkeit zu tun.
Der Herr hat alles gut gemacht; das Wort will ich anwenden auf den Verstorbenen bezüglich seiner Berufstätigkeit und seines einzig schönen Familienlebens.
Herr Philipp Kremer besuchte nach Vollendung der Elementarschule das Gymnasium zu St. Stephan dahier und erlangte auch das Gym.-Absolutorium; hier legte er den Grund zu jener allgemeinen Bildung, die wir später an ihm wahrnahmen, die ihn so vorteilhaft auszeichnete; um sie zu erweitern, machte er eine Reise nach Italien; dort, wo die üppigste Natur in wunderbarer Schönheit das Gemüt entzückt, dort, wo überall dem betrachtenden Auge die Spuren seines Volkes, seiner Kraft und Tätigkeit und seiner Kunst begegnen, bereicherte er seine Kenntnisse und förderte durch das Erfassen vergangener Zeiten das Verständnis der gegenwärtigen Zeitereignisse.
Nach zweijährigem Aufenthalte kehrte er zurück und war mit ernstem Fleiß in dem Geschäfte seines Vaters tätig.
Aber bald trieb es den strebsamen jungen Mann nach Selbständigkeit. Er gründete im Jahre 1855 die bekannte Kremer'sche Handschuhfabrik, welche er in Compagnie mit seinem Herrn Bruder Emil bis zum Jahre 1879 leitete; nicht die Liebe zur Bequemlichkeit und Ruhe, sondern fortwährende Kränklichkeit zwang ihn, sich aus dem Geschäfte zurückzuziehen. Was ist nun der ganze Inhalt dieser 25 Geschäftsjahre? Er zeigte sich allenthalben als ein edler Charakter, gerecht und billig gegen jedermann, voll teilnehmender Sorgfalt für seine Arbeiter.
Das sind vielleicht gut angebrachte Redensarten, um den Angehörigen zu gefallen? Ich habe Gründe für meine Behauptung.
Unter den vielen kostbaren Kränzen, welche Sarg und Grab schmücken, bemerkte ich auch einen solchen mit weißem Atlasband, auf welchem die goldenen Worte stehen: "Von den Arbeitern gewidmet."
Als er im Jahre 1879 aus dem Geschäfte zum eigenen Leidwesen und zum Bedauern seiner Arbeiter austrat, überreichten ihm diese eine prachtvoll ausgestattete Adresse, in welcher sie ihre Trauer über sein Scheiden und ihre Anerkennung für seine gewissenhafte Fürsorge und ihren Dank aussprachen und damit den Ausdruck der Liebe und Verehrung verbanden.
Wenn gleiches Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit überall bestünde, so wäre die soziale Frage und Gefahr nicht so brennend geworden.
Am 21. Juli 1851 verehelichte er sich; am Altare stand an seiner Seite eine blühende Jungfrau, durch äußere Vorzüge, aber mehr durch den Reichtum des Gemütes ganz geeignet, ihn durchs Leben zu begleiten und in schlimmen Tagen ihm Stütze und Freude zu sein. Es war Fräulein Bertha Keller, älteste Tochter des Gräflich v. Maldeghem'schen Rentbeamten A. Keller in Nieder-Stotzingen; dort versprach sie, Freud und Leid mit ihm zu teilen und in guten und bösen Tagen bei ihm zu verharren, ach, letztere waren es viele in einer 34jährigen Ehe; und doch alle glückliche, wie sie ihm alles war; nur einen Tag allein ohne sie zuzubringen, war ihm schon Opfer und mit ihr war es ihm leicht, durchs Leben zu gehen, begleitet von Liebe und Treue bis zum letzten Händedruck beim Sterben.
Gott hat es aufs neue recht gemacht, indem aus der Ehe vier Kinder hervorgingen; seine liebe Bertha, die immer bei ihm blieb und die Mutter in der letzten Zeit im Krankendienst ablöste; ein Sohn und eine Tochter, glücklich verheiratet; sie konnten je zwei liebe Enkel dem teuren Großvater in die Arme geben; seine liebe Marie starb schon 1862, erst zehn Jahre alt, nachdem sie auf dem Sterbebett die erste heilige Kommunion empfangen und den trauernden Eltern die Gewissheit des Wiedersehens gegeben hatte.
Erst vor wenigen Wochen waren ihm Zwillingsenkel gegeben; sie starben aber bald, nachdem sie in der heiligen Taufe Gottes Kinder geworden, und sie gingen, dem Großvater das Grab - nein, den Himmel zu öffnen.
Seit 1862 war er leidend; er trug ein Leiden, das mit viel Entsagung verbunden war und das in Folge natürlicher Reizbarkeit bei angegriffenem Lebensorgan viel Selbstbeherrschung verlangte; eine Kluft bestand zwischen ihm und dem Lärm oder den Genüssen der Welt: dafür aber war ihm die viel schönere Welt in der geliebten Familie; alle innig und liebend um ihn: voll Teilnahme und liebevolle Pflege für ihn, der alle Liebe mit seinem Segen und dem Beispiele starkmutiger Ergebung vergalt.
Wie ward ihm das leicht?
Die Kremer'sche Familie, der er entstammte, ist bekannt als eine christliche, die immer zur rechten Zeit ihre gläubige Gesinnung bekundete und betätigte.
Wir stehen am Familiengrab; hier ruht auch der ehrwürdige Großvater, der einstige Bürgermeister der Stadt, A. Kremer, der, es sei hier zu bemerken gestattet, gerade vor 50 Jahren, im Jahre 1835 an der Spitze der katholischen Bürgerschaft sich an den hochseligen König Ludwig I. wandte, um die Einführung des Benediktiner-Ordens und die Errichtung des Klosters St. Stephan für Unterricht und Erziehung der katholischen Jugend zu erbitten.
Was seine Vorfahren geglaubt und bekannt, bekannte und glaubte auch er; sein Gemüt, seine Seele war tief religiös angelegt und Religion war ihm ein Bedürfnis und ein Stab und Licht in den dunklen, langen Tagen des Leidens.
Wie er dem Herrn die Ehre gab, wenn es seine Kirche oder sein Herz erforderte, wie er im Leben durch seine Ostern in Vereinigung mit seinem Heilande stand, so suchte er auch im Sterben bei Ihm Kraft und Gnade; im Leben den Seinen ein Vorbild und ein Leiden, war er es auch im Sterben durch den erbauenden Empfang der Sterbesakramente.
Gestärkt und ergeben in Gott, zufrieden, wie Er es gemacht an ihm, starb er sanft und ruhig am Donnerstag morgens 3 Uhr, an dem Tage, der ganz besonders der Verehrung der lieben Frau gewidmet ist; sein letztes Wort war: Maria, liebe Mutter, steh' mir bei.
Möge sich heute an ihm alle Verheißung und alle Gnade des Herrn erfüllen, dass er, wie auch einst wir, wenn wir das Tagwerk vollbracht haben und aus der Welt scheiden, im ewigen Leben als Dank und Anbetung des Vaters im Himmel ausrufen können: Er hat alles recht gemacht ! Amen.
(c) veröffentlicht von Domdekan Franz Permanne, 1901
Anmerkung:
Frau Bertha Kremer, geb. Keller, geboren im Jahre 1832, folgte Ihrem Gatten im Jahre 1903 in die Ewigkeit.
Sonntag, 3. Februar 2019
In der weiten Zeit
Blumenmeer im Kirchenschiff.
Rundherum ein tiefes Seufzen.
Wenn sich Tod und Leben kreuzen,
gleitet alles aus dem Griff.
Andächtiges Trauerwort.
Weinen hier. Im Sarge Stille.
Vor der toten Leibeshülle
kniet sogar der reichste Lord.
Wertlos scheinen Gut und Geld.
Sinnlos alles Kriegsgetöse.
Jede Stunde scheint poröse.
Klein auf einmal alle Welt.
Nahe schlug die Sense ein.
Und den Lebenden wird bange.
Ihnen schwant wohl: Nicht mehr lange
wird des Lebens Odem sein.
Jetzo stehen sie am Grab,
bald schon liegen sie im selben.
Unter himmlischen Gewölben
gleicher Trott im müden Trab.
Angesichts der Ewigkeit
sind selbst hundert Jahr' Sekunden.
Irgendwann sind wir verschwunden,
in der weiten, weiten Zeit ....
(c) Bettina Lichtner
Unter Lilien
Unter Lilien, jener Freuden,
sollst du weiden,
Seele, schwinge dich empor.
Wie ein Adler fleuch behende.
Jesu Hände
öffnen schon das Perlentor.
Lasst mich gehen, lasst mich laufen
zu dem Haufen
derer, die des Lammes Thron
nebst dem Chor der Seraphinen
schon bedienen
mit dem reinsten Jubelton.
Löse, erstgeborner Bruder,
doch die Ruder
meines Schiffleins. Lass mich ein
in den sichern Friedenshafen
zu den Schafen,
die der Furcht entrücket sein.
Nichts soll mir am Herzen kleben,
süßes Leben,
was die Erde in sich hält.
Sollt ich noch in dieser Wüsten
länger fristen?
Nein, ich eil' ins Himmelszelt.
Herzensheiland, schenke Glauben
deiner Tauben,
Glauben, der durch alles dringt.
Nach dir girret meine Seele
in der Höhle,
bis sie sich von hinnen schwingt.
O, wie bald kannst du es machen,
dass mit Lachen
unser Mund erfüllet sei.
Du kannst durch die Todestüren
träumend führen
uns machst uns auf einmal frei.
Du hast Sünd und Straf getragen,
Furcht und Zagen
muss nun ferne von mir gehn.
Tod, dein Stachel ist nun abe,
aus dem Grabe
werd ich fröhlich auferstehn.
Herzenslamm, dich will ich loben
hier und droben,
in der zartsten Liebsbegier.
Du hast dich zum ewgen Leben
mir gegeben.
Hole mich, mein Lamm, zu dir.
(c) Johann Ludwig Konrad Allendorf, 1693-1773
Samstag, 2. Februar 2019
Ach frage nicht, wie ich mich fühle
Ach frage nicht, wie ich mich fühle.
Mir steht der Sinn nach Freude nicht.
Ich bin ein Kind der Schicksalsspiele,
gebeugt vom göttlichen Gericht.
Ich muss mich fügen all den Dingen,
die mich bedrängen wie 's beliebt.
Ein Freudentanz will nicht gelingen,
mir ist die Seele zu betrübt.
Zu schwer hab' ich am Kreuz zu tragen,
das mir das Leben auferlegt.
Jedoch, jedoch, was nützt das Klagen,
wenn rechts und links die Gerte schlägt?
Sie wird darob nicht innehalten.
Sie schlägt und denkt sich nichts dabei.
Die Leidensstunden werden walten,
ob 's passt, ob nicht ist einerlei.
Es bleibt mir nur, es hinzunehmen,
und ehrfürchtig und stark zu sein.
Mich laden wohl die unbequemen
Momente stets zur Prüfung ein.
Mein Leben - lauter Feuerproben.
"Dein Wille, Herr, sei mir Befehl.
Trotz Tränen werd' ich deiner loben.
Dein Wort ist meiner Seele Öl.
Voll Demut folg' ich deinen Schritten,
und heißt der Weg auch Bitterkeit.
Du gehst ja mit. Du bist inmitten
der allergrößten Traurigkeit."
(c) Bettina Lichtner
... bis die Morgenröte anbricht
"Und Jakob blieb allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach." (1. Mose 32, 25)
Jakob blieb allein. Da denken wir an die Ärmsten, die allein geblieben oder einsam geworden sind, die ganz allein stehen in der Nacht ihrer Trauer und in dem Dunkel ihrer Tränen. Sie sind, ähnlich wie Jakob, hineingeworfen in das bitterste Ringen, das sich denken lässt. Was ihnen sonst so wichtig war, hat seine Bedeutung für sie verloren. Jetzt müssen sie sich durchkämpfen durch alles Dunkel und innerlich fertig werden mit dem Unfassbaren, das sich ihnen in den Lebensweg legte.
Und macht nicht jeder Mensch solche Stunden durch, wo er ganz allein ist? Wo ein gewaltiges Ringen anhebt in seiner Seele? Wenn erst die Räder stocken an deinem Lebenslauf, dann wacht dir wohl erschrocken die tiefste Seele auf. O, diese furchtbaren Nächte, dies Alleinsein, diese Einsamkeit. Da kommen sie, die Schatten der Vergangenheit; längst Begrabenes wird wieder lebendig; die Toten stehen auf; Gott selber tritt uns entgegen, nicht als der liebreiche Vater, sondern als der strenge Richter, der Rechenschaft von uns fordert und wir können ihm auf tausend nicht eins antworten!
Nur sich diese Stunden nicht vertreiben! Nur nicht ihrem Gericht entfliehen wollen! Lass nicht ab, zu ringen, zu beten, zu kämpfen, bis du mit dir und Gott in Ordnung bist. Handle nach dem Rat des Kirchenvaters Augustin: Wenn du dich vor Gott fürchtest, dann wirf dich ihm in die Arme! Auch diese dunkle Nicht geht zu Ende, und die Morgenröte bricht an, und dir geht die Sonne auf, und dich grüßt das Gnadenantlitz deines Gottes!
Barmherziger Vater, in Buße beugen wir uns vor dir und erflehen deine Hilfe. Lass uns in deinem Worte Licht und Kraft und Trost finden in dieser schweren Zeit und gib bei aller Angst in unsere Herzen deinen Frieden. Nimm dich aller einsamen und ringenden Seelen an. Erhöre uns um unseres Heilands willen. Amen.
(c) Dr. Paul Conrad, 1865-1927
Freitag, 1. Februar 2019
Das ist alles.
"Ich habe nicht den Eindruck, dass wir uns im Sterben von unsern Lieben trennen. Der Herr gibt mir dann nur eine Wohnung, die ein wenig weiter von den Meinen entfernt ist, so dass unser sichtbarer Verkehr für einige Zeit unterbrochen wird. Das ist alles."
(c) Johann Friedrich Oberlin, 1740-1826
Komme bald, Herr Jesu
Herr, unsere Seele verlangt und sehnt sich nach dir, der für sie gestorben und auferstanden ist, und dein heiliger Geist lehrt uns beten: "Komme bald, Herr Jesu!" Wenn auch dein "Über ein Kleines" länger währt, als wir denken und wünschen, so trösten wir uns doch deiner wahrhaftigen Zusage, dass du uns Fremdlinge in die Heimat und uns Pilgersleute ans Ziel bringen willst, und glauben, du werdest alle unsere Traurigkeit in Freude verwandeln. Komme zu uns, die wir ohne dich verwaist sind, und besuche uns mit dem Friedensgruß, vor dem Stürme weichen. Endlich aber lass uns dein Antlitz schauen in Gerechtigkeit und in unverlierbarer Freude vor dir bleiben in Ewigkeit. Amen.
(c) Hermann Bezzel, 1861-1917
Donnerstag, 31. Januar 2019
Dennoch !!
Wenn du glaubst, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen, meinst du du dann nicht, dass gerade die dunklen Zeiten zu unserem Besten dienen?
Durch die schweren Stunden, die vor deiner Seele stehen, musst du dich durchringen. Du musst dich durchringen durch Bitterkeit, Schwermut, Zweifel, ja Verzweiflung. Aber das Licht wird wieder durchbrechen. In den Hiobsstunden, wo das Leid von allen Seiten auf dich einstürmt, und du rufst
"Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele!",
da wirst du überwinden mit einem sieghaften:
"Dennoch bleibe ich stets bei dir, Herr, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost." (Psalm 73, 23-26)
(Generalsuperintendent D. Faber, veröffentlicht 1912)
Mittwoch, 30. Januar 2019
Es küsst die Liebe meine Wunden
Es küsst die Liebe meine Wunden.
O, unsichtbare starke Kraft ...
Ich lass mir ihre Süße munden
in diesen bittren Trauerstunden,
eh mir der Lebensmut erschlafft.
Fürwahr, ich hätte sterben wollen,
nachdem mein Liebster ..... tot, ach tot.
Mein Herz, zum Bersten angeschwollen
mit Tränen, die ins Freie wollen.
Nie kannt' ich solche Seelennot.
Die Einsamkeit ward mir zur Hölle.
Die Welt auf einmal lichterleer.
In meinem Leib wohl keine Stelle,
die nicht in lichterloher Helle
von heißem Schmerz betroffen wär'.
Als gäb' es weiter nichts als Nächte.
Als säh' die Sonne meiner nicht.
Die Finsternis, wie sie mich schwächte ...
Mich dünkte, dass ich sterben möchte,
da sah ich dieses zarte Licht.
Verschwommen wie ein Nebelschleier,
doch leuchtend, leuchtend! Gotteskraft.
Die Liebe war es! Not-Befreier.
Wie war der Augenblick mir teuer!
Die Liebe hat mich aufgerafft.
Sie packte mich am Trauerschopfe
und zog mich sanft zum Sonnenschein.
Und tut es noch! Und ich, ich klopfe
ans Lebenstor und fülle, stopfe
mir Dank ins wache Herz hinein.
Und so verlor der Tod den Schrecken,
den er mir gestern noch gebracht.
Die Liebe kam, mich zu erwecken,
und 's Hoffnungslose zu bedecken.
O, unsichtbare Liebesmacht.
(c) Bettina Lichtner
Über dir geht auf ...
Siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker. Aber über dir geht auf der Herr und Seine Herrlichkeit erscheint über dir. (Jesaja 60, 2)
Evangelium - lauter Evangelium! Freudenbotschaft und Jubel der Erlösten! Das Licht siegt über die Finsternis; den Bewohnern des Todesschattenlandes geht eine Leuchte auf! Jesus ist gekommen. Grund ewiger Freude! Da jauchzt und jubelt es im Himmel und auf Erden; Erntejubel und Siegesfreude vereinigen sich mit dem Jauchzen der Befreiten, die der Obrigkeit der Finsternis entronnen sind.
(c) Eva v. Tiele-Winckler (1866-1930)
Freitag, 25. Januar 2019
Ins unbekannte Land ...
"Alles, was zu dieser sichtbaren Welt gehört, ist zeitlich. Es geht vorüber, wie ein Lied verklingt, wie eine Blume verblüht. Unser Aufenthalt in dieser sichtbaren Welt ist wie eine kurze, stürmische Überfahrt über einen Meeresarm, durch die wir ans Ufer eines anderen, noch unbekannten Landes geführt werden."
(c) Karl Heim, 1874-1958
Donnerstag, 17. Januar 2019
Dienstag, 15. Januar 2019
Verborgene Wege
"Das Schicksal der Kinder schon bei der Geburt zu wissen, würde manche Mutter töten. Damit die Mütter also nicht sterben, sind die Wege der Schicksale ihrer Kinder ihnen verborgen."
(c) Pfarrer Martin Boos, 1762-1825
Sonntag, 13. Januar 2019
Kreuzträger
1. Petrus 2, 18-24
"Ihr Sklaven, ordnet euch den Herren mit aller Furcht unter, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen. Denn das ist Gnade, wenn jemand um seines Gewissens zu Gott willen das Übel erträgt und das Unrecht erleidet. Denn was ist es für ein Ruhm, wenn jemand um seiner Missetat willen eine Strafe auf sich nimmt? Wenn aber jemand Leid erträgt, obwohl er Gutes getan hat, dann ist Gnade bei Gott. Denn dazu seid ihr berufen. Zumal auch Christus für uns gelitten und uns ein Vorbild gelassen hat. Seinen Fußstapfen sollen wir nachfolgen; Er hat keine Sünde getan, keine Lüge ist je über seine Lippen gekommen. Beschimpfungen ertrug er schweigend, Misshandlungen ertrug er, ohne sich zu wehren. Er vertraute sein Leben Gott an, der ein gerechter Richter ist. Christus hat unsere Sünden auf sich genommen und sie selbst zum Kreuz hinaufgetragen an seinem Leibe auf das Holz, auf dass wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden hat Christus uns geheilt."
Die Christenheit stellt sich im Geist vor das Kreuz Jesu hin und weckt in sich Empfindungen der Ehrfurcht und der Dankbarkeit dem gegenüber, was da geschah. Doch bei alledem kommt leicht eine Wahrheit zu kurz, die gerade den Menschen unserer Tage nicht verborgen werden darf. Eine Wahrheit, die einmal eine schlichte Frau aus dem Volk klar und bündig ausgesprochen hat. Ein protestantischer Prediger traf sie bei einem Aufenthalt in der katholischen Innerschweiz. Er sah sie vor einem Kreuz knien, und das Kreuz inbrünstig küssen. "Das ist schön", bemerkte er, "dass Sie das Kreuz küssen!" Sie gab zur Antwort zurück: "Besser aber ist es, man trägt das Kreuz."
In der Tat, das Kreuztragen ist besser als das Kreuzverehren, und die wirksamste Art, das Leiden Jesu zu bedenken, zu verstehen und für sich fruchtbar zu machen, ist die, selber im Sinne Jesu das Leiden auf sich zu nehmen. So fasste schon der Apostel die Sache auf; in unserem obigen Textwort setzt er das Leiden Jesu und das Leiden der Christen in Beziehung zueinander und hält das eigene Leiden für ein besonders wichtiges und gesegnetes Stück der Nachfolge Jesu.
Ist das seither anders geworden? Man sagt vom Christentum, dass es von Anfang an das Dulden in den Vordergrund gerückt und seine Bekenner dazu erzogen habe, im Dulden stark und groß zu sein.
Es gibt Menschen, die ihm eben deshalb feindselig gegenüberstehen; wie werfen ihm vor, es lähme die gesunde Tatkraft; es heiße schweigen, wo schreien Pflicht sei; es lehre dulden, wo Kampf bis aufs Blut nötig sei. Gerade in unserer Zeit wird mit diesen Anklagen gegen Jesus und sein Evangelium zu Felde gezogen und erklären viele, die Dulderreligion des Kreuzes sei unbrauchbar und überlebt für ein Geschlecht, dem die Erkenntnis aufgegangen sei, dass eine gute Sache nur durch tatkräftige Arbeit und zähen Kampf zum Siege geführt werden könne.
Verhält es sich wirklich so? Ich meine, das Christentum ist doch von Anfang an nicht bloß Passivität, nicht bloß stilles Dulden gewesen. Jesus nachfolgen hieß von Anfang an, in einen Kampf eintreten, in den umfassendsten und schwersten, den es hienieden gibt, in den Kampf gegen alles, was den Menschen erniedrigt und verdirbt, hemmt und bindet, in den Kampf gegen alles Böse, Lichtscheue, Unheilige, Ungerechte, Widergöttliche, in den Kampf für Gottes Reich und Sache. Wo immer das Evangelium ein einzelnes Menschenherz oder ein ganzes Volk ergriffen hat, da hat auch dieser große Kampf mit Schuld und Not begonnen, und ernster, tapferer, aufopfernder, umfassender ist dieser Kampf noch niemals von Menschen geführt worden als von denen, die im innersten Grunde ihres Lebens von Jesus und seinem Evangelium erfaßt sind. Wer in diesem Kampfe nicht mithilft, wer Sünde und Not unbekämpft lässt, der hat nicht das Recht, sich zu Jesus zu stellen, der ist kein Kind seines Gottes.
Wie kann man aber kämpfen, ohne leiden zu müssen? Ja, wer jedem ernsten Kampf aus dem Wege geht, wer zu allem schweigt, was Unrecht und Sünde ist, wer untätig zusieht, wie unter der Not des Lebens die Menschen zusammenbrechen und wie in der Versuchung und Schuld des Lebens die Seelen verderben, wer sein Herz hart macht für die Leiden der Mitmenschen und sein Gewissen taub macht für die Wohnungen Gottes, dem mag es wohl gelingen, vielerlei Leiden von sich fern zu halten. Wer dagegen in die Nachfolge Jesu hineingeht und von Jesus aus sein Leben zu gestalten sucht, wer in der Weise Jesu die Menschen und die Dinge zu nehmen und zu behandeln beginnt, wer offen und furchtlos seine Person für das einsetzt, was Jesu Geist und Willen entspricht, und gegen das, was ihnen zuwiderläuft, der betritt damit einen Leidensweg und macht sich selbst zum Kreuzträger. Darüber hat Jesus selber seinen Jüngern keinen Zweifel gelassen. Darüber sind sämtliche neutestamentlichen Schriftsteller nur einer Meinung. Das sagt uns die Geschichte jedes Menschen seither, der Gottes Sache zu seiner Sache gemacht und sich für das hingegeben hat, was als Gottes Willen und Werk bezeugte. Dass es heute anders sei, dass man heute Gottes Sache treiben könne, ohne leiden zu müssen, oder in der Nachfolge Jesu wandeln könne ohne das Kreuz, das täuscht nur der sich vor, der beides nicht kennt, Jesus und seine Ziele nicht und die Welt und ihre Ziele nicht. Was Jesus will, das trifft ja in uns selber zu allererst auf Widerstand; es gibt in unserem Leben Stellen, die schier uneinnehmbar scheinen. Oder kann jemand von sich behaupten: "Bei mir ist alles erobert, ist alles unter die heilige Herrschaft Gottes übergegangen, alles, mein Wissen und mein Können, mein Geld und mein Genuß, meine Arbeit und meine Erholung"? Und rings um uns her ist der Widerstand nicht geringer; ja, da gibt es Stellen genug, wo man alles aufbieten wird, um Gott und Gottes Willen zu widerstehen und sich selbst, und was man hat und was man treibt, wider Gottes Zucht und Dienst zu verbarrikadieren. Und da soll es ohne Leiden abgehen?
Wer den Ruf des Evangeliums vernimmt, der soll wissen, dass es ihn nicht zum Wohlleben in der Welt ruft, sondern zum Leiden. Das Leiden ist Gnade, sagt der Apostel in unserem Text; das Leiden stellt in die Nachfolge Jesu und bringt zu seiner Zeit und nach seinem Maß Segensfrüchte für Gottes Sache, wie aus dem Kreuzesleiden Jesu für die Menschheit Vergebung und Versöhnung erwuchsen. Das sagt Petrus zu armen Sklaven. Es ist rührend, wie sich hier das Evangelium zum Verständnis der untersten, jammervollsten Schicht herablässt, wie es sich um die Seelen dieser verstoßenen, geschlagenen Menschen müht und wie es ihnen in ihr trauriges Leidenslos hinein Licht und Kraft gibt mit dem Hinweis auf Jesus, der auch nicht anders als wie ein elender Sklave geschlagen und ans Holz gehängt wurde. Es handelt sich im Zusammenhang unseres Textes um die Frage, wie sich ein Sklave bei ungerechter Züchtigung zu verhalten habe. Die Sklaven jener Zeit waren an Schläge und unmenschliche Behandlung gewöhnt. Unter ihresgleichen galt es als ein Ruhm, wenn einer in dieser Hinsicht viel auszuhalten vermochte. Der menschlichen Eitelkeit wird ja alles Anlass zum Ruhm. Wo sie sich nicht hoher und edler Dinge rühmen kann, da prahlt sie mit dem Schlechten und Gemeinen. So haben wohl oft auch Sklaven damit großgetan, dass sie, ohne eine Miene zu verziehen, Streiche zu ertragen vermöchten. "Das ist kein Ruhm für euch", sagt ihnen nun der Apostel, "wenn ihr um eurer Verfehlungen willen geschlagen werdet und dann die Streiche geduldig ertragt. Ruhm ist es, wenn jemand um des Gewissens willen leidet, geschlagen wird, weil er Gutes tat. Das schafft Anerkennung, Gnade, freilich nicht bei euren Kumpanen, aber bei Gott."
Unter was für Druck und Elend haben doch die Menschen, die dem Apostel bei unseren Textworten vor der Seele standen, ihren Glauben, ihre Jüngerschaft Jesu behaupten und bewähren müssen! Wahrlich, sie beschämen uns, die wir unter geringerem Druck, in kleineren Leiden so oft versagen, so oft unsere Würde, unsere Ruhe, unseren Glauben verlieren, unsere Berufung vergessen, den vergessen, nach dem wir uns nennen. Es ist doch ein seltsamer Widerspruch, dass wir Jahr für Jahr die Passion Jesu feiern, dass wir, wo es sich um Jesu Leiden handelt, den Wert des Leidens, den Segen des Leidens, die Notwendigkeit des Leidens, das hohe Geheimnis des Leidens bekennen und daran glauben, und dass wir dann da, wo das Leiden uns berührt, schon wenn es nur ein kleines, vorübergehendes Leiden ist, Leiden, das wir in einer wirklich großen, schweren Leidensstunde gar nicht mehr als Leiden einschätzen würden, uns so aufgeregt zeigen, so verstimmt, so ungeduldig, so ohne Fassung, so ganz und gar nicht als Jünger dessen, der am Kreuz sein Leben gelassen hat.
Ich habe den Eindruck, dass das Geschlecht unserer Tage in mancher Hinsicht reicher an Gaben und Mitteln ist als frühere Geschlechter, und dass es darum, wo es diese Gaben und Mittel in Gottes Dienst stellt, sehr Großes für Gottes Reich zustande bringt. Wir machen uns keiner Übertreibung schuldig, wenn wir z.B. behaupten, dass noch niemals, seit der Name Jesu auf Erden genannt wird, so großartig und umfassend für die Mission gearbeitet worden ist, wie in der Gegenwart, oder dass in keinem früheren Jahrhundert der Kampf gegen die Verwüstungen der Trunksucht und der Unsittlichkeit mit solcher Energie und solcher Unermüdlichkeit geführt worden ist, wie jetzt, aber dass die Sache der Schwachen jeder Art, der körperlich Schwachen, der geistig Schwachen, der wirtschaftlich Schwachen, der moralisch Schwachen, so sehr die Gedanken und das Gewissen der Menschheit beschäftig hat, wie es in unserer Zeit der Fall ist. Man redet und schreibt, man sammelt und wirbt, man organisiert und gründet für Gottes Sache. Man zieht Kunst und Wissenschaft in ihren Dienst; was der Geist der Menschen erfindet und entdeckt, das sucht man alsbald auch für sie nutzbar zu machen. Aber eines haben frühere Zeiten, hat vor allem die erste Christenheit, haben auch die armen Sklaven, an die unser Text sich richtet, besser vermocht als wir: zu leiden. Das haben sehr viele Menschen unserer Zeit verlernt. Wir benützen hunderterlei Mittel, um für Gott zu wirken; dass eines der wirksamsten das Leiden ist, dafür fehlt uns das Verständnis, fehlt uns der Mut, fehlt uns der Glaube. Und darum entspricht all der Unruhe und Aufregung unserer Arbeit der Erfolg doch nicht, und unser Geschlecht steht oft mitten in der Fülle seiner Gaben und Kräfte da mit einem müden Pessimismus in der Seele und wagt nicht zu glauben und zu hoffen, woran ärmere Zeiten einst gläubig und sehnsuchtsvoll sich hingegeben haben, an Gottes Reich und Sieg. "Das ist Gnade, so jemand im Gedanken an Gott die Trübsal erduldet und das Unrecht leidet." Daran fehlt es uns.
Darum wollen wir es uns heute wieder zum Ernst vorhalten, auch wenn es unwillkommen klingt: Zur Nachfolge Jesu gehört auch das, dass wir geduldig leiden können. Ich denke, dass manche unter uns nachher wieder unter ein größeres oder kleineres Leiden sich beugen müssen, und dass manchem vielleicht schon im Laufe dieser Woche wieder Übles und Ungerechtes angetan wird. Ich glaube nicht, dass es unter allen Umständen Christenpflicht ist, widerstandslos und stumm wie ein Lamm alles über uns ergehen zu lassen, was die Selbstsucht oder Gehässigkeit böser Menschen uns zufügen will. Auch Jesus hat, als der hohepriesterliche Knecht ihn schlug, seinen Mund zu einer vorwurfsvollen Frage geöffnet. Aber ich glaube, dass das Recht, uns zu wehren, um so besser ist, je weniger wir uns für uns selbst und je mehr wir uns für andere wehren; und sodann, dass wir in der Tat weit öfter, als wir meinen, das tun sollten, was der Apostel Petrus in unserem Texte den Sklaven rät, stillschweigend dulden, nach dem Vorbild Jesu nicht wieder schelten, wenn man uns schilt, nicht drohen, wenn man uns weh tut, auf die Vergeltung verzichten, wo man uns Unrecht zugefügt hat. Gewiss, wir werden auf diese Weise unsern Vorteil, unsere Ehre, die Befriedigung unseres Vergeltungstriebes nicht finden, wir werden auf diese Weise nicht uns selber dienen. Aber wir werden damit Gott und seiner Sache ungleich sicherer und wirksamer dienen, als wenn wir, wie das so oft geschieht, im Leiden unsere Selbstbeherrschung verlieren, aus der inneren Überlegenheit, die die wahre Jüngerschaft uns gibt, herausfallen, uns auf die Stufe derer herabbegeben, die uns schelten und beleidigen, und sie wieder schelten, ihnen drohen, uns an ihnen rächen.
Und wenn es Leiden sind, die nicht einzelne Menschen über uns bringen, körperliche Schmerzen, allerlei Trübsal, Unglück, Vereinsamung oder Sorge, Not, Kummer, dann gilt wieder, dass wir uns dagegen wehren und schützen dürfen mit den Mitteln, die Gott uns gibt. Aber wenn es sich zeigt, dass diese Leiden nun einmal von uns getragen werden müssen, dann lasst uns unseren Nächsten nicht den bejammernswerten Anblick eines Menschen bieten, der mit täglichem Klagen und Hadern, mit täglichem Wehren und Sträuben sein Kreuz abzuschütteln sucht und es doch nicht wegbringt und sich nun daran immer mehr zerreibt und verbittert. Lasst uns dann vielmehr dieses Leiden ergreifen als die Aufgabe, die Gott uns jetzt gibt, als unseren Passionsweg, auf dem wir Jesus nachfolgen müssen! Lasst es uns selber sagen: Gott braucht für seine Sache allerlei Menschen, er braucht auch stille, geduldige Kreuzträger; er braucht in seinem Reiche allerlei Fähigkeiten und Erfahrungen, er braucht auch die, die nur in Trübsal und unter schweren Schmerzen erworben werden! Lasst es uns selber zusprechen: der eine steht in einer schweren Arbeit, ein anderer in einem großen Kampfe, ich in meinem Leiden, aber alle stehen im selben Dienst und arbeiten, kämpfen und leiden für denselben Herrn! Und was wir dazu nötig haben, das wird uns immer wieder am ehesten der Blick auf den geben, der, wie unser Text sagt, unsere Sünde auf sich lud und an das Kreuz trug. Seinen Fußstapfen folgen wir, wenn wir so leiden.
Wir folgen ihnen aber ganz besonders, wenn auch wir um Gottes willen leiden, leiden, weil wir Gutes tun. Dazu seien wir berufen, sagt der Apostel, dafür habe uns Jesus sein Vorbild gelassen. Er beschreibt dann in den ehrwürdigen Worten aus Jesaja 53 Jesu Kreuzleiden, dessen erlösende und erneuernde Kraft diejenigen erfahren, die sich von ihr ergreifen lassen. Zum Segen des Kreuzes Jesu gehört nun auch das, dass es uns die Gewissheit gibt, auch unser Leiden sei nicht umsonst, sondern schaffe eine heilsame Frucht und diene Gott. Eben das hebt der Apostel in unserem Text besonders hervor und will damit seine Leser in ihren Leiden stärken. Diese Gewissheit brauchen wir auch. Denn wenn wir nicht den Mut finden, auch für die Sache Gottes zu leiden, für die Sache der Gerechtigkeit und der Wahrheit, der Menschenerrettung und Menschenerneuerung, wenn wir der guten Sache untreu werden, den Kampf aufgeben, die Ideale des Evangeliums herabschrauben und seine großen, schweren Forderungen zurückstellen, sobald ein Konflikt mit den Gewohnheiten und Anschauungen, Interessen und Liebhabereien der Menschen entsteht und Widerstand, Feindschaft, Spott, Schaden, Leiden drohen, dann folgen wir nicht den Fußstapfen Jesu nach, sondern sind Verleugner und Verräter seiner Sache und sollten uns lieber irgend eines anderen Jünger nennen als Jünger Jesu.
Meint ihr nicht, da fehle es uns? Meint ihr nicht, es ginge mit Gottes Reich und Sache spürbarer vorwärts in unserer Zeit, wenn in der Christenheit mehr Willigkeit wäre, auch dafür zu leiden? Man kann viel für eine gute Sache tun; man kann für sie agitieren, für sie kämpfen, für sie arbeiten, für sie beten; das Höchste aber, was man für sie tun kann, ist das: für sie leiden. Das macht sie unüberwindlich; das gibt ihr die sieghafteste Gewalt. Jesus warb um die Menschen mit seiner Predigt und mit den Taten seiner Liebe; bezwungen aber hat er die Welt dadurch, dass er für sie litt und starb. Daran lasst uns denken, wenn Gott uns in das Leiden hineinführt. Selber suchen wollen wir es nicht, das wäre ungesunde Frömmigkeit. Aber wenn auf unserem Lebenswege das Leiden auf uns wartet, so wollen wir nicht verzweifeln und unsere Seele in Traurigkeit und Angst versinken lassen, sondern aufsehen auf Jesu Kreuz und uns das Wort vorhalten, das der Apostel Petrus einst armen griechischen und römischen Sklaven zugerufen hat und das heute auch uns wieder zugerufen worden ist: "Das ist Gnade, so jemand um des Gewissens zu Gott willen das Übel erträgt und das Unrecht erleidet." Amen.
(c) Predigt von Pfarrer Gustav Benz (1866-1937), Basel
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