Dienstag, 5. Februar 2019

Täglicher Blick in das Grab



Das Grab ist da! Hier steht mein Bette,
da ich den Tod umarmen soll;
ach, wer sich gut gebettet hätte,
der schliefe sanft und ruhte wohl.
Man denket gar zu wenig dran,
dass man so leicht hinsterben kann.

Das Grab ist da! So heißt es immer.
Wir gehen ein und gehen aus.
Die Welt ist wohl ein schönes Zimmer,
doch aber ein geborgtes Haus.
Bequemt man sich am besten hier,
so weiset uns der Tod die Tür.

Das Grab ist da! Oft bei der Wiegen.
Wie manches Kind grüßt kaum die Welt,
so muss es schon im Sarge liegen,
dieweil der Tod nicht Ordnung hält
und alles ohn' Erbarmen bricht,
die Frucht sei zeitig oder nicht.

Das Grab ist da! Die besten Jahre
sind auch des blassen Todes Raub,
der wirft den Stärksten auf die Bahre
und legt den Schönsten in den Staub.
Ein jeder Schritt, den man vollbracht,
naht sich mit uns zur Grabesnacht.

Das Grab ist da! Sobald wir älter,
so gehn wir auf den Kirchhof zu.
Die Glieder werden immer kälter
und sehnen sich selbst nach der Ruh';
denn Sterben ist der feste Schluss;
der Junge kann, der Alte muss.

Das Grab ist da! Was sollt ich wähnen,
dass es noch ferne von mir sei?
Denn man begräbt ja den und jenen,
und jeder muß an diese Reih'.
Wie manchen legt man auf die Bahr',
der jünger und gesünder war.

Das Grab ist da! Ich will mit Buße
dahin stets meine Wallfahrt tun.
Ich falle dir, mein Gott, zu Fuße,
ach, lass mich nicht in Sünden ruhn.
Wer Sünde mit sich nimmt ins Grab,
der stirbt nun auch dem Himmel ab.

Das Grab ist da! Wo mich 's soll laben,
so muss ich auch im Glauben mich
in meines Jesu Wunden graben.
Mein Heiland, ich umfasse dich.
Denn du bist meines Todes Tod.
Steh mir bei in der letzten Not.

Das Grab ist da! Mein kurzes Leben
soll künftig desto frömmer sein,
und nicht nach Pracht und Reichtum streben,
das ist ein kalter Leichenstein.
Die Grabschrift, die die Tugend gräbt,
macht, dass man auch im Tode lebt.

Das Grab ist da. Das Weltgetümmel
stört mich bei dem Gedanken nicht:
Je näher Grab, je näher Himmel.
Wer weiß, wie bald mein Herz mir bricht?
Und doch erschreck' ich nicht dafür.
Mein Grab wird mir zur Himmelstür.

Das Grab ist da! Ich steh vielleichte
mit einem Fuße drinnen schon.
Wie, wenn ich 's heute noch erreichte?
Die Zeit eilt flügelschnell davon.
Doch ich bin immerdar bereit,
das Grab sei nahe oder weit.

Das Grab ist da! Weg Eitelkeiten!
Bei euch vergisst man nur das Grab.
Ich will mich täglich so bereiten,
dass ich den Tod vor Augen hab'.
Ich bin ein Mensch, so heißt es ja:
Das Grab ist da! Das Grab ist da!


(c) Benjamin Schmolck, 1672-1737