Montag, 4. Februar 2019
Philipp Kremer, gestorben 17.9.1885
Augsburg, 19. September 1885
Trauerrede für Philipp Franz Alois Kremer
Omnia bene fecit. Er hat alles gut gemacht. (Markus 7, 37)
Wie selten zollt der Mensch seinem Schöpfer diese schuldige Anerkennung; wie selten ist der Dank: o Gott, Du hast alles gut gemacht. Wie oft dagegen murrt er gegen die Wege der Vorsehung, wenn es ihm wie dem Kinde ergeht, dem der Vater das Gift aus den Augen räumt, dass es dem Kinde nicht schade. Und dennoch muss der denkende und gläubige Christ so oft im Leben ausrufen: o Gott, Du hast alles so gut gemacht; oder doch wenigstens beim Scheiden aus diesem Leben Gott die Ehre geben: o Vater, Du hast es mir so gut gemeint.
Ich will am Grabe eines lieben Gatten und Vaters in seinem Namen ausrufen:
O Gott, Du hast alles gut gemacht.
Und diese Worte zum Troste und zur Erbauung der verehrten Trauerversammlung auf ihn anwenden.
Sie gelten dem wohlgeborenen Herrn Privatier Philipp Kremer; derselbe war geboren zu Augsburg am 8. Dezember 1823 als der Sohn des Magistratsrats und Großhändlers Matth. Kremer und seiner Gattin Barbara, geborene Kaiser, und starb nach langem Leiden, versehen mit den Tröstungen seiner heiligen Religion, wie wir glauben, selig im Herrn, am 17. September morgens 3 Uhr.
Der Herr hat alles recht gemacht.
Freilich, spricht der Neid, es war ja ein reicher Mann, der viele Güter auf Erden besaß. Dem reichen Manne gilt mein Wort nicht; er war gewöhnt, sich nur als Verwalter des Herrn anzusehen und seine Verwaltung war eine gerechte, der Gebrauch seines Reichtums ein vernünftiger. Ich hätte hier schöne Gelegenheit, ihn wenn nicht als reichen und angesehenen, doch wenigstens als einen wohltätigen Mann hervorzuheben und seine guten Werke zu preisen; doch wäre mein Lob eitel und wertlos am Grabe eines Mannes, der einfach und bescheiden im Leben nie Anerkennung und Beifall anstrebte und Almosen nicht des Lohnes wegen gab. Ihm fehlt heute, wie ich hoffe, der schönste Lohn nicht, wenn so mancher, wie ich weiß, beim Klang der Scheidungsglocke, die seinen Hingang verkündete, für seine ewige Ruhe ein aufrichtiges Vaterunser betete.
Aber eines darf ich hier bemerken: wenn er gab, ohne Aufsehen und zeitliche Absicht, so gab er mit Klugheit und Überlegung; er hatte durch zwölf Jahre als Armenpflegschaftsrat Gelegenheit, einen Blick in das menschliche Elend, aber auch einen Blick in menschliche Armseligkeit und Charakterlosigkeit zu tun.
Der Herr hat alles gut gemacht; das Wort will ich anwenden auf den Verstorbenen bezüglich seiner Berufstätigkeit und seines einzig schönen Familienlebens.
Herr Philipp Kremer besuchte nach Vollendung der Elementarschule das Gymnasium zu St. Stephan dahier und erlangte auch das Gym.-Absolutorium; hier legte er den Grund zu jener allgemeinen Bildung, die wir später an ihm wahrnahmen, die ihn so vorteilhaft auszeichnete; um sie zu erweitern, machte er eine Reise nach Italien; dort, wo die üppigste Natur in wunderbarer Schönheit das Gemüt entzückt, dort, wo überall dem betrachtenden Auge die Spuren seines Volkes, seiner Kraft und Tätigkeit und seiner Kunst begegnen, bereicherte er seine Kenntnisse und förderte durch das Erfassen vergangener Zeiten das Verständnis der gegenwärtigen Zeitereignisse.
Nach zweijährigem Aufenthalte kehrte er zurück und war mit ernstem Fleiß in dem Geschäfte seines Vaters tätig.
Aber bald trieb es den strebsamen jungen Mann nach Selbständigkeit. Er gründete im Jahre 1855 die bekannte Kremer'sche Handschuhfabrik, welche er in Compagnie mit seinem Herrn Bruder Emil bis zum Jahre 1879 leitete; nicht die Liebe zur Bequemlichkeit und Ruhe, sondern fortwährende Kränklichkeit zwang ihn, sich aus dem Geschäfte zurückzuziehen. Was ist nun der ganze Inhalt dieser 25 Geschäftsjahre? Er zeigte sich allenthalben als ein edler Charakter, gerecht und billig gegen jedermann, voll teilnehmender Sorgfalt für seine Arbeiter.
Das sind vielleicht gut angebrachte Redensarten, um den Angehörigen zu gefallen? Ich habe Gründe für meine Behauptung.
Unter den vielen kostbaren Kränzen, welche Sarg und Grab schmücken, bemerkte ich auch einen solchen mit weißem Atlasband, auf welchem die goldenen Worte stehen: "Von den Arbeitern gewidmet."
Als er im Jahre 1879 aus dem Geschäfte zum eigenen Leidwesen und zum Bedauern seiner Arbeiter austrat, überreichten ihm diese eine prachtvoll ausgestattete Adresse, in welcher sie ihre Trauer über sein Scheiden und ihre Anerkennung für seine gewissenhafte Fürsorge und ihren Dank aussprachen und damit den Ausdruck der Liebe und Verehrung verbanden.
Wenn gleiches Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit überall bestünde, so wäre die soziale Frage und Gefahr nicht so brennend geworden.
Am 21. Juli 1851 verehelichte er sich; am Altare stand an seiner Seite eine blühende Jungfrau, durch äußere Vorzüge, aber mehr durch den Reichtum des Gemütes ganz geeignet, ihn durchs Leben zu begleiten und in schlimmen Tagen ihm Stütze und Freude zu sein. Es war Fräulein Bertha Keller, älteste Tochter des Gräflich v. Maldeghem'schen Rentbeamten A. Keller in Nieder-Stotzingen; dort versprach sie, Freud und Leid mit ihm zu teilen und in guten und bösen Tagen bei ihm zu verharren, ach, letztere waren es viele in einer 34jährigen Ehe; und doch alle glückliche, wie sie ihm alles war; nur einen Tag allein ohne sie zuzubringen, war ihm schon Opfer und mit ihr war es ihm leicht, durchs Leben zu gehen, begleitet von Liebe und Treue bis zum letzten Händedruck beim Sterben.
Gott hat es aufs neue recht gemacht, indem aus der Ehe vier Kinder hervorgingen; seine liebe Bertha, die immer bei ihm blieb und die Mutter in der letzten Zeit im Krankendienst ablöste; ein Sohn und eine Tochter, glücklich verheiratet; sie konnten je zwei liebe Enkel dem teuren Großvater in die Arme geben; seine liebe Marie starb schon 1862, erst zehn Jahre alt, nachdem sie auf dem Sterbebett die erste heilige Kommunion empfangen und den trauernden Eltern die Gewissheit des Wiedersehens gegeben hatte.
Erst vor wenigen Wochen waren ihm Zwillingsenkel gegeben; sie starben aber bald, nachdem sie in der heiligen Taufe Gottes Kinder geworden, und sie gingen, dem Großvater das Grab - nein, den Himmel zu öffnen.
Seit 1862 war er leidend; er trug ein Leiden, das mit viel Entsagung verbunden war und das in Folge natürlicher Reizbarkeit bei angegriffenem Lebensorgan viel Selbstbeherrschung verlangte; eine Kluft bestand zwischen ihm und dem Lärm oder den Genüssen der Welt: dafür aber war ihm die viel schönere Welt in der geliebten Familie; alle innig und liebend um ihn: voll Teilnahme und liebevolle Pflege für ihn, der alle Liebe mit seinem Segen und dem Beispiele starkmutiger Ergebung vergalt.
Wie ward ihm das leicht?
Die Kremer'sche Familie, der er entstammte, ist bekannt als eine christliche, die immer zur rechten Zeit ihre gläubige Gesinnung bekundete und betätigte.
Wir stehen am Familiengrab; hier ruht auch der ehrwürdige Großvater, der einstige Bürgermeister der Stadt, A. Kremer, der, es sei hier zu bemerken gestattet, gerade vor 50 Jahren, im Jahre 1835 an der Spitze der katholischen Bürgerschaft sich an den hochseligen König Ludwig I. wandte, um die Einführung des Benediktiner-Ordens und die Errichtung des Klosters St. Stephan für Unterricht und Erziehung der katholischen Jugend zu erbitten.
Was seine Vorfahren geglaubt und bekannt, bekannte und glaubte auch er; sein Gemüt, seine Seele war tief religiös angelegt und Religion war ihm ein Bedürfnis und ein Stab und Licht in den dunklen, langen Tagen des Leidens.
Wie er dem Herrn die Ehre gab, wenn es seine Kirche oder sein Herz erforderte, wie er im Leben durch seine Ostern in Vereinigung mit seinem Heilande stand, so suchte er auch im Sterben bei Ihm Kraft und Gnade; im Leben den Seinen ein Vorbild und ein Leiden, war er es auch im Sterben durch den erbauenden Empfang der Sterbesakramente.
Gestärkt und ergeben in Gott, zufrieden, wie Er es gemacht an ihm, starb er sanft und ruhig am Donnerstag morgens 3 Uhr, an dem Tage, der ganz besonders der Verehrung der lieben Frau gewidmet ist; sein letztes Wort war: Maria, liebe Mutter, steh' mir bei.
Möge sich heute an ihm alle Verheißung und alle Gnade des Herrn erfüllen, dass er, wie auch einst wir, wenn wir das Tagwerk vollbracht haben und aus der Welt scheiden, im ewigen Leben als Dank und Anbetung des Vaters im Himmel ausrufen können: Er hat alles recht gemacht ! Amen.
(c) veröffentlicht von Domdekan Franz Permanne, 1901
Anmerkung:
Frau Bertha Kremer, geb. Keller, geboren im Jahre 1832, folgte Ihrem Gatten im Jahre 1903 in die Ewigkeit.