Mittwoch, 11. April 2018
Consumatum est
Augsburg, 11. April 1887
Grabrede für Domkapitular Joseph Zanker
Consumatum est. Es ist vollbracht. (Joh. 19, 30)
Wir standen anbetend unter dem Kreuze auf Golgatha; das welterschütternde Wort: "Es ist vollbracht." drang nicht an unser Ohr, es drang in unser Herz; nicht ein wunderbares Leben im Dienste der Menschheit allein war zu Ende, sondern das Werk, das die Propheten verkündet hatten; nicht die Bosheit der Finsternis allein, sondern das göttliche Werk der Erlösung.
Wenn dieses Wort in die Seele dringt, sollte der nicht in lebendiger Teilnahme den Wunsch haben, mit Jesus zu sterben? Am Karfreitag mit dem Heiland sein Haupt zu neigen und sein Leben dem Schöpfer zurückzugeben? Aber zuvor wird das Consumatum verlangt. Ist das auferlegte Tagwerk auch treu vollendet? Nicht mit Seufzen und frommen Wünschen wird der Himmel gewonnen, sondern mit Gewalt, mit Betätigung aller Kräfte an sich gerissen. Glücklich der Mensch, der mit seinem Erlöser am Karfreitag sterben kann, aber tausendmal glücklicher, der mit ihm ausrufen kann: "Es ist vollbracht. Mein Leben gehörte Gott; mit seiner Gnade habe ich nicht umsonst gelebt und nun selig vollendet."
Diesen Trost haben wir hier am Grabe eines ehrwürdigen Priestergreises, der nicht wie ein Paulus durch die Gewalt seines Wortes erschütterte, sondern wie ein Johannes durch die Liebe seine Gemeinden erbaute, am Grabe des hochwürdigen Herrn Domkapitulars Joseph Zanker.
Herr Joseph Zanker war geboren zu Oberrot im freundlichen Rottale am 18. April 1805, Sohn der Ökonomenseheleute Joseph und Genovefa Zanker. Das mussten brave Leute gewesen sein; denn noch im höchsten Alter rühmte er sich ihrer und nannte sie goldene Eltern; es muss aber auch ein guter Sohn sein, dem das Andenken an die lieben Eltern die Freude des Alters ist.
Nach einer kurzen Vorbereitung durch den hier ruhenden Weltpriester Gruber wurde der talentvolle Knabe der Königlichen Studienanstalt Dillingen im Jahre 1818 übergeben; 1826 vollendete er die Gymnasialstudien wie später die philosophischen und theologischen Studien mit der Einser-Note, gleichwie er später den Pfarrkonkurs mit der Einser-Note als der Erste unter 119 bestand.
Nachdem er am 3. Juli 1829 die Priesterweihe vom Hochwürdigen Herrn Bischof Ignaz Albert von Riegg empfangen hatte, erhielt er noch im nämlichen Monate seine erste Anstellung als Curatievikar in Klosterholzen. Aber schon 1831 berief ihn das Clericalseminar nach Dillingen, in welcher Eigenschaft er bis zum Jahre 1836 erfolgreich wirkte. In diesem Jahr wurde ihm die angesehene Pfarrei Roggenburg und 13 Jahre später das noch ausgedehntere Krumbach übertragen, wo er eine segensreiche Tätigkeit entfaltete, bis ihn die Allerhöchste Huld in das bischöfliche Domkapitel nach Augsburg berief.
Es sei mir gestattet, diesen Ehrenmann nach seiner äußeren Tätigkeit und nach seinem inneren Werte mit wenigen Zügen zu zeichnen.
Seine erste selbständige Amtstätigkeit entfaltete er in dem schönen Roggenburg mit den zwei Gemeinden Meßhofen und Ingstetten. Zum Pfarrer hatte er eigenen Beruf und besonderes Geschick; aus dem Volke, kannte er das Volk, sein Wesen und seine Bedürfnisse und redete seine Sprache, einfach, mit etwas Dialekt; leutselig, freundlich, zugänglich jeden Augenblick in den tausend Anliegen des Landvolks wusste er sie alle zu gewinnen, ohne je etwas seinem Ansehen zu vergeben. In kirchlichen Funktionen eifrig und gewissenhaft wusste er seiner Gemeinde gesundes Brot zu geben, eine ungekünstelte Predigt, aber tief empfunden, aus dem Herzen strömend.
Außer dem gewöhnlichen Gottesdienst hatte er auch Sinn und Verständnis für volkstümliche, außerordentliche, aber seltene Andachten; darum brachte er die im westlichen Schwaben so bekannte Wallfahrt zur Wannenkapelle bei Roggenburg wieder in Aufschwung, an die sich so schöne Sagen aus der Zeit des Schwedenkönigs knüpfen; dorthin zog es ihn so oft zum lieben Gnadenbild der Gottesmutter; dorthin zogen mit ihm seine Pfarrkinder und seitdem ziehen wieder Unzählige aus den benachbarten Gemeinden und von ferne zum lieben Gnadenort im stillen freundlichen Walde; ach, sie erwarten nicht immer Wunder; aber sie kommen traurig und müde und wollen ausruhen und dann mit neuem Mute ans harte Tagewerk gehen. Dort hat er auch unter ungemein großer Teilnahme der weitesten Umgebung am 3. Juli 1879 sein 50jähriges Priesterjubiläum gefeiert.
Es wurde ihm von der königlichen Regierung auch das Amt eines kgl. Distriktschulinspektor im kgl. Landgerichte Roggenburg übertragen. Von seiner eifrigen Amtsführung und deren ersprießlichen Erfolge gibt Zeugnis, dass Seine Majestät ihm den Titel und Rang eines kgl. geistigen Rates verlieh. Einer seiner Nachfolger im Schulamte gab mir die Gelegenheit, von seiner umfassenden Tätigkeit Kenntnis zu nehmen und bei Durchsicht der Akten von ihm zu lernen, pünktlich und gewissenhaft die übernommene Pflicht zu erfüllen und dabei das eine Ziel fest im Auge zu halten, die Schulen zu heben, aber nicht mit pedantischer Beaufsichtigung und schablonenhaftem Regieren; das war nämlich das Eigentümliche an ihm: wenn er seinen Unterricht in Kirche und Schule gegeben, oder seine Prüfungen abgehalten, hielt er sein Pensum bezüglich der Kinder nicht für abgetan, sondern als seine heiligste Aufgabe, im Einverständnisse und im Zusammenwirken mit guten, charaktertüchtigen Schullehrern und in Fühlung mit den Eltern die Kinder zu guten Menschen heranzuziehen.
Nach dem Tode des Stadtpfarrers Nicolaus Knappich wurde er zum Dekan des Landkapitels Weißenhorn erwählt; wie sein Verhältnis zu seinen Kaplänen, die er nur Freunde und Mitarbeiter im Weinberge des Herrn nannte und als solche behandelte, das allerschönste war, so herrschte unter seiner Amtsführung unter den Kapitularen Weißenhorns die schönste Eintracht und reger Wetteifer in treuer Pflichterfüllung; reich an Kenntnissen und Erfahrungen, war er jederzeit bereit, mit Rat und Tat beizuspringen; das Kapitel gab im verhängnisvollen, sturmbewegten Jahre 1848 das schöne Schauspiel brüderlicher Eintracht und jener geistigen Macht, die wohl geeignet war, manchem Schlimmen vorzubeugen.
Seine 17jährige Seelsorge in Krumbach war nur eine Fortsetzung der bisherigen seelsorglichen Tätigkeit. Das Hauptaugenmerk war auf die Heranbildung der Jugend, war auf die Schule gerichtet, deren umsichtige Leitung nur eine glückliche sein konnte nach den gemachten Erfahrungen und auf Grund erprobter Grundsätze. Es gelang ihm im Einverständnisse der Ortsbehörden und mit Zustimmung seiner Pfarrei in Krumbach das Institut der Schulschwestern einzuführen; er stand und steht nicht allein mit der Überzeugung, dass für die Erziehung der Mädchen Frauen ersprießlicher wirken; denn hier handelt es sich nicht nur um eine gewisse Summe von Kenntnissen und Ausbildung des Charakters, es handelt sich vor allem darum, das unbeschreibliche zarte Weibliche reich zu erhalten und das Gemüt des Mädchens in angeborener Religiosität und jungfräulicher Tugend zu festigen.
Nicht minder segensreich war die von ihm ins Leben gerufene Rettungsanstalt in Hürben für verwahrloste Kinder und für alte Leute. Seinem Eifer für Gottes Sache und Ehre gab er auch Ausdruck durch die Restauration seiner Pfarrkirche, die er nicht schöner einleiten konnte als durch die im Jahre 1858 durch Väter der Gesellschaft Jesu abgehaltene Mission, die noch in gutem Ansehen steht.
Als Domkapitular wandelte er hier unter uns; wir hatten 20 Jahre Gelegenheit, den Eifer und die Gewissenhaftigkeit wahrzunehmen, die er in den verschiedenen Ämtern, welche ihm sein Bischof anvertraute, an den Tag legte; nie oberflächlich schenkte er allen Beratungsgegenständen volle Aufmerksamkeit und seine Abstimmung war nur eingegeben von der Stimme seines Gewissens und innerster Überzeugung; er gab kein Referat ab, das er nicht nach allen Seiten erfasst und beleuchtet hätte; dazu noch vernachlässigte er nie die Form; es durfte kein Buchstabe fehlen.
Umermüdet war er in kirchlichen Funktionen, und bis ins höchste Alter besuchte er, trotz abgelegener Wohnung, trotz schlechter Wege oder strenger Kälte täglich den Dom und erschien als einer der ersten im Chore; noch auf dem Sterbebett bedauerte er, nicht auch noch mithelfen zu können bei gehäuften Arbeiten der Osterzeit.
Nach dieser Schilderung äußerer Wirksamkeit will ich nur mit einigen Zügen den Verstorbenen nach seinem inneren Werte zeichnen.
Bis ins höchste Alter bewahrte er, der im ganzen Leben nie krank gewesen war, körperliche Rüstigkeit und blühendes Aussehen; offen war sein Antlitz und hell und durchdringend sein Auge; wer in dieses Auge schaute, musste unwillkürlich denken: da wohnt nicht Falschheit und Trug; da ist alles Wahrheit und Licht. Sein Blick verriet, mochte er auch nicht wollen, Wohlwollen und Güte gegen jedermann. Wenn jeder, der ihn kannte, sich angezogen fühlen musste von dessen Wohlwollen und Freundlichkeit, wie viel mehr Brüder und Schwestern und all die lieben Anverwandten, die ihn Vater hießen, und die dessen Vaterliebe erst jetzt nach seinem Heimgang recht fühlen werden.
Bescheiden war sein äußeres Auftreten. Wer hätte in dem unscheinbaren Landpfarrer, in dem einfachen Manne Verdienste geahnt? So richtet er nach seiner Ernennung zum Domkapitular an das hohe Domkapitel die tiefempfundene Bitte, ihm eine freundliche Aufnahme gewähren zu wollen; er wolle versprechen, treu alles zu tun, um ein gutes Mitglied zu sein und dem Collegium Ehre zu machen.
Mit seiner echten Bescheidenheit verband er auch wahre Frömmigkeit; wenn er sein Officium beendet hatte, hielt er seinen Gottesdienst nicht für abgetan. Sein ganzes Leben, sein Tun und Wirken war durchdrungen von dem lebendigen Glauben an Gottes Gegenwart und der Hoffnung seligen Lebens.
Ich kann die Schilderung dieser 82jährigen Lebensbahn nicht schöner abschließen, als mit den Worten, mit denen unser hochwürdigster Bischof Pancratius in einem Schreiben an die kgl. Regierung ihn zur Dekoration mit dem Ludwigsorden empfahl: "Er ist ein erbauendes Vorbild und ein edles Opferleben für Beruf und Pflicht."
Dieser ehrwürdige Priester blieb nicht ohne Anerkennung und Auszeichnung.
Seine Majestät der König hatten ihn zum geistlichen Rat und zum Domkapitular ernannt und ihm an seinem 50jährigen Priesterjubiläum das Ehrenkreuz verliehen. Seine bischöflichen Gnaden unser Herr Bischof hat ihm sein Vertrauen geschenkt und ihm besondere Ämter anvertraut. Die allerschönste Anerkennung aber war die Hochachtung, das Vertrauten, die Liebe aller, die ihn kannten, insbesondere die große Verehrung, die er im hochw. bischöfl. Domkapitel und ich darf wohl sagen, beim ganzen ehrw. Klerus der ausgedehnten Diözese genoss.
Ich erblicke hier am Grabe unter meinen verehrlichen Zuhörern den vieljährigen und vielverdienten Amtsvorstand des ehem. kgl. Landgerichts Krumbach, der ihm bis zum Tode die treueste Freundschaft bewahrte; er ist in seinem Schmerz und seiner Teilnahme der Repräsentant so vieler draußen im Günz-, Biber- und Rot-Tale, die bei der Nachricht von seinem Tode in Wehmut vergangener Tage gedenken und ein Vaterunser für seine Seele beten, und dann sagen werden: "Das war ein Ehrenmann, ein edles Herz; er ist nicht vergessen, solange wir leben!"
Langsam erlosch das Leben; sein Geist aber blieb frisch und klar, sein Gemüt kindlich und heiter und seine Sprache war nur Dank und Anerkennung für alle Liebe und alles Gute von Gott und guten Menschen. Mit Ruhe und heiliger Freude sah er seinem Ende entgegen, vereint mit seinem Heilande im hl. Sakramente, das er recht oft empfing.
Da kam der heilige Tag, an dem die Christenheit in ernster Trauer das Andenken an den Tod des Erlösers begeht; am Karfreitag abends halb fünf neigte er sein Haupt und starb; consumatum! Ein Leben von 82 Jahren vollendet ohne Makel, im Dienste der Wahrheit und des Guten.
Aber schon klang das Halleluja des Ostertages. Auch für ihn kommt der heiß ersehnte Ostermorgen im Lande des Friedens, wo Ruhe und heilige Freude über Gottes schöner Schöpfung wohnt; wo die Engel grüßen und der Gerechte im Licht wandelt seinem Gott und Erlöser entgegen zum Kusse des ewigen Friedens! Amen.
(c) Domdekan Franz Permanne, veröffentlicht 1902