Freitag, 2. Oktober 2015

Grabrede (1864)



Am Grabe eines Apothekers

"O Tod, wie bitter ist dein Gedächtnis." (Sir. 41, 1)

Hochansehnliche!

Es unterliegt keinem Zweifel, Ihre Gemüter, verehrte Trauergenossen, sind mit Schmerz und Bitterkeit erfüllt, und wir sehen den wohledlen Herrn N. N. nur mit ganz betrübtem Herzen und mit Tränen befeuchtetem Auge zur Grabesruhe niederlegen.

Gewiss, Hochgeehrteste, ein trauriger Fall! Und wir dürfen überzeugt sein, hätte der Verblichene in seiner Offizin eine Arznei wider den Tod gehabt, ein Mittel, welches ihm die Bitterkeit des Sterbens, und die des Trauerns hätte erspart, gerne würde er es mitgeteilt, gerne würde er es angewendet haben. Das aber geht, wie wir alle wissen, nicht an. Gleichwie in den Gärten kein Kräutlein gegen den Tod gewachsen ist, also ist auch in den Apotheken kein Tränklein gegen denselben anzutreffen. Der bittere Tod hört nicht auf, bitter zu sein. Hat er ja doch selbst Christus den Herrn angegriffen, erst im Ölgarten, wo der Heiland blutigen Schweiß vergoss, sodann am Kreuze selbst.
Gegen die Gewalt des Todes, wenn des Menschen Stunde geschlagen und der Allmächtige gerufen hat, vermag weder Arzt noch Arznei etwas. Alsdann hilft kein Mittel mehr, und wir können, wie auch heute, nur aufseufzen: "O Tod, wie bitter ist das Gedenken an dich einem Menschen, der Friede hat in seinem Wohlstande!" Wie bitter ist das Gedächtnis und die Erinnerung an den Tod! Wie bitter für die hinterlassene Witwe? Wie bitter für die Kinder, wie herb für die Verwandten, für die Freunde? Wie empfindlich für die ganze Gemeinde? Ist es nicht so, geliebte Trauergenossen?
Was soll ich da noch weiter sagen? Womit werde ich euch trösten können? Da ich es für meine Pflicht ansehe, die Betrübten aufzurichten, so habe ich denn beschlossen:

1) die gewiss nicht zu verachtenden Mittel zu nennen, wodurch wir die Bitterkeit des Todes zu lindern im Stande sind; sodann

2) zum Gebrauche dieser schmerzlindernden Mittel aufzumuntern.

                                                                                    I.

Die Heiden haben, wie bekannt, allerlei Dinge ausgedacht, um den Gemütern die Bitterkeit zu benehmen, welche in Folge des Hintrittes unserer teuren Angehörigen einem jeden Menschen erwächst. Einige trösteten sich und andere mit dem Elysium, einer fabelhaften Insel im fernsten Westen, wo die besonders begünstigten Toten in dem erhöhten Genusse der menschlichen Freuden fortleben würden. Andere suchten Trost in einem berühmten, unsterblichen Namen. Welchen Trost jedoch können derlei Märchen und Gedichte bieten im Vergleiche mit der christlichen Glaubenswahrheit, welche uns lehrt, der sterbliche Leib werde wiederum zur Unsterblichkeit auferstehen? O welcher Trost! Und wäre ein Arzneiladen auch noch so reichhaltig, nichts, Geliebte, NICHTS ist in der ganzen Offizin so süß, als das Wort, welches Jesus zu Martha sprach: "Dein Bruder wird wieder auferstehen." (Joh. 11, 23)
O welch ein Trost für die Lebenden, zu wissen, ihre Verwandten werden wiederum auferstehen! Welch ein Trost für die Sterbenden: Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches! Welch eine Ermunterung aber auch, so zu leben, dass man einst glorreich auferstehe! Dieses ist es, was bei Vielen macht, dass die Hände gefaltet werden zum Gebete, die Augen angehalten werden zum Beweinen der Sünden, die Füße zum Kirchengange, die Ohren zum Anhören der Predigt, der Leib zu Bußwerken, der ganze Mensch zum göttlichen Dienste. O süßes Wort! O wohlschmeckende Arznei! Wie wird durch diesen Gedanken das bittere Gedächtnis an den Tod und die Toten gelindert und versüßt!
Darum, Geliebte, nehmet, wenn euch derlei bittere Gedanken quälen, nehmet dieses Linderungsmittel an die Hand: Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches!

Das andere Mittel ist: die Ergebung in den anbetungswürdigen Willen Gottes. Sagen wir mit Hiob: "Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; wie es dem Herrn gefiel, also ist es geschehen; gepriesen sei der Name des Herrn!" (1, 21) Dieses Mittel hat unser Herr und Heiland aus seinem Trauergarten besonders empfohlen. Denn wir wissen, was er uns lehrte, und wie man sich zu verhalten habe, wenn der Tod bevorsteht: "Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!" betete er. (Luk. 22, 42) Dies, Geliebteste, ist ein Universalmittel gegen alle Bitterkeit des Lebens und des Todes.
Der selige, in Gott ruhende Herr N. N. wusste dieses Mittel gar recht zu gebrauchen. Hatte er zu klagen über etwas, was im Leben des Menschen Keinem ausbleibt, sofort dachte oder sprach er: Der Wille des Herrn geschehe! In diesen Willen schickte er sich im Leben wie im Tode. In diesem Willen ertrug er die Leiden seines Krankseins. In diesem Geiste starb er am -------, ergeben und zufrieden mit Gottes Ratschlusse.
Dieses nun: Gottes Wille ist vollbracht worden, und: Er wird wiederum auferstehen, dieses, meine Teueren, muss Sie trösten, es ist das Einzige, was das bittere Gedächtnis des Todes uns versüßen kann.

                                                                           II.

Wir wissen, wie bitter den Jüngern des Propheten Eliseus der Inhalt jenes Topfes vorkam, von dem sie sagten: "Mann Gottes, der Tod ist im Topfe!" (4. Kön. 4, 40) Bekanntlich hatte einer der Genossen aus Unwissenheit auch einige giftige Kräuter eingesammelt und in dem Topfe mitgekocht. Das Gemüse erhielt aber dadurch sofort einen derartig bitteren Geschmack, dass die Schüler des Propheten augenblicklich beim Verkosten in die obigen Worte ausbrachen. Die Bitterkeit und schädliche Wirkung nun vertrieb Eliseus dadurch, dass er ein wenig Gerstenmehl unter das Geköchte tat. Das gleiche müssen auch wir tun, Geliebte, um die Bitterkeit des Todes und die Schädlichkeit desselben zu beseitigen! Überall ruft man: Der Tod, der Tod, da ist der Tod! In größeren Städten kehrt er täglich, oft zu wiederholten Malen ein. Bald ist es ein geliebtes Kind, das wir begraben, bald ein Vater, bald ein Gatte, eine Mutter, eine Gattin, ein Freund, eine Braut, ein Bruder, eine Schwester, ein Lehrer usw. Überall Anlass zu Leid und Weh, zu Klage und Jammer. Was rat 's da? Was hilfe hier? Was tun? Wie soll man diesen Schmerz lindern, wie solche Bitterkeit versüßen? Wo Rettung, dass man sich nicht selbst zu Tode härmt? Gibt es doch nicht wenige, die sich gar nicht wollen trösten lassen!
Der beste Rat ist wohl dieser, dass man gedenke, um wie vieles es die Seele besser hat im Himmel, als auf Erden. Hier war sie voller Qual, ausgesetzt einem sterblichen, allerlei Krankheiten und Mühsalen unterworfenen Kerkerleben; denn das ist das Leben der Seele im Leibe. Sie hatte zu ringen mit Schmerzen. Nun ist sie frei, aus ist der Krieg, Friede und Ruhe umgibt sie nun, genießt sie nun. Nimmer begehrt die Seele eines selig Verstorbenen zurückzukehren in den Leib, den sie verlassen hat. Zudem wird einst auch der Leib, aber in glorreichem Zustande, sich mit der dahingeschiedenen Seele wieder vereinigen und auferstehen zur ewigen Herrlichkeit. Gewiss, derlei Gedanken sind völlig dazu angetan, alle Bitterkeit des Todes für immer zu verscheuchen.

Die Auferstehung unseres Leibes und seine Vereinigung mit der Seele in glorreichem Zustande, die Ergebung in den hl. Willen Gottes, sowie der Gedanke, dass die Seele nunmehr durch ihre Trennung vom Leibe frei geworden ist von den tausendfachen Qualen ihres irdischen Kerkerlebens und der Herrlichkeit der Verklärten genießt, dieses ist uns, was uns trösten muss, wenn wir den hl. Staub eines teueren Angehörigen mit Staub bedecken.

Fort denn mit der Bitterkeit des Todes! Den Gläubigen wird er süß, denn sie halten fest daran, der selig Vollendete ist am erwünschten Ziele und glücklich, wie ein Wandersmann im grünen Schatten, wie ein Pilger in der Herberge, angekommen am Orte seiner Reise, wie ein Schiffer, der im Hafen eingelaufen ist.

Nun aber lasset uns des Verstorbenen noch im Gebete gedenken und seiner hingeschiedenen Seele zum Troste aufblicken zum Vater aller und sprechen: Vater unser .... Ave Maria .... Amen.


(Priester Matthias Heimbach, 1864)