Donnerstag, 22. Oktober 2015
Die Ohnmacht der Menschen
Die Ohnmacht der Menschen gegenüber dem Tode
Von Alters her suchten die Menschen Trost und Hilfe wider den Tod. Aber in der ganzen Welt findet sich weder das Eine, noch das Andere. Der berühmte Kaiser Hadrian (gest. 138 n. Chr.), der sein Reich trefflich regierte, rief endlich, nachdem er überall Hilfe wider den Tod gesucht, verzweifelnd aus: "Meine liebe Seele, mein süßer Schatz, Gast und Gespielin dieses Leibes, du fährest nun dahin in der Irre an den finstern, kalten und schrecklichen Ort, du wirst mir keine Lust bereiten, wie du pflegtest, und wirst die lange Zeit mir nicht mehr verkürzen." Nicht besser ging 's dem Heiden Aristoteles (gest. 321 v. Chr.), der der Gelehrteste und Weiseste seiner Zeit gewesen. Der fand in seiner Wissenschaft so wenig Trost wider den Tod, dass er zuletzt ausrief: "Unter allen schrecklichen Dingen ist nichts schrecklicher als der Tod."
Man rühmt nun in unserer Zeit so sehr die Fortschritte in der Kunst und Wissenschaft. Wer wollte diese auch leugnen? Aber alle Fortschritte, die der natürliche Menschengeist macht, bringen keine wesentlichen Verbesserungen in der Lage der Menschen hervor, sie können den Tod und das große Elend, das in diesem einen kleinen Wörtchen liegt, nicht zur Welt hinausschaffen. Mit all ihrer irdischen Kunst und Wissenschaft kommen die Menschen nur bis ans Grab, nicht übers Grab hinaus. Hast du alles, was die Welt zu bieten vermag, Reichtum, Ehren, Würden, Fertigkeiten und Kenntnisse in aller Kunst und Wissenschaft, hast du das alles und sonst nichts - dann bist du doch eine arme Kreatur, denn der Tod schlägt dir einmal deinen ganzen glänzenden Glücksbau zusammen, wie im Traum Nebukadnezars der kleine Stein jenen ganzen prachtvollen Koloss, der nur auf schwachen, tönernen Füßen stand, zertrümmerte (Daniel 2).
Ein Simson konnte wohl die Tore Gazas ausheben und forttragen, aber unter allen Mächtigen der Erde findet sich keiner, der die Pforten des Todes forttragen könnte.
(Pfarrer Heinrich Guth, 1829-1889)