Samstag, 10. März 2018

Der Kelch


"Mein Vater, ist 's möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst." (Matthäus 26, 39)


Wer kennt nicht aus eigener Erfahrung das Gebet: "Vater, ist 's möglich, so gehe dieser Kelch von mir!" Wie tröstlich, dass ich weiß: auch mein Heiland hat gezagt in Gethsemane; wie aufrichtend, dass auch er seine Schwachheit empfunden hat.
Aber dabei darf es nicht bleiben. Aus dem Leid müssen wir hineinwachsen in die Ergebung; durch das Dunkel müssen wir hindurch zum Sieg. Nicht das ist Sünde, dass wir vor dem Kelch erschrecken, auch das nicht, dass wir um Verschonung bitten; aber das ist Sünde, dass wir, wenn Gott nein sagt, ihn nicht mehr zum Vater haben wollen und verbittert ihm den Rücken kehren; und das ist Sünde, dass wir unseren Willen wohl trotzig aufgeben, aber nicht demütig ergeben.
Die dritte Bitte ist und bleibt die wichtigste, ist und bleibt die schwerste Bitte. Auf diesem Wege liegt unser Heil. Denn das Sprichwort: "Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, ist ein Wohnort." -- es ist die größte Lüge! Unser Wille ist oft genug unsere Hölle; unser Himmelreich ist ganz allein der gute und gnädige Wille Gottes.
So wollen wir nicht um leichtes Leben bitten, sondern dass wir stärkere Menschen werden. Nicht um Aufgaben, die unseren Kräften entsprechen, wollen wir beten, sondern um Kräfte, die unseren Aufgaben entsprechen. Zu dem Beter von Gethsemane wollen wir in die Schule gehen und unser trotziges und verzagtes Herz in betende Hände nehmen.

Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Amen.


(c) Dr. Paul Conrad (1865-1927)