Sonntag, 23. Juli 2017

Trost im Leid


Des Herbstes Stürme wehten rau hernieder,
und was im Frühling heiter aufgeblüht,
und was im Sommer reifend aufgeglüht,
sie warfen es zur dunklen Erde wieder.

Der Frühling hat so manchen Traum geboren,
der lustig reifte in des Sommers Pracht.
Da sank der Reif in herbstlich rauer Nacht, ---
er ist dahin, verflattert und verloren.

"Schau", sprach der Pred'ger mit beredtem Munde,
"Schau Aennchen, wie der Herbst die Wälder schmückt,
noch wenig Tage und, was uns entzückt,
sinkt farblos nieder zu dem dunklen Grunde.

Es mag vergeh'n. Auf seines Schöpfers "Werde"
hebt bald ein neuer Frühling sich empor,
so schön, so sonnenglänzend wie zuvor.
Er ruht schon jetzt still keimend in der Erde.

Und wähnst du auch dir alles Glück verloren,
o traue mir, mein Kind, der vieles sah:
erscheint dir auch dein Herbst, dein Winter nah,
auch dir wird noch ein neuer Lenz geboren!

Nicht konnt' den Vater ich zurück dir halten,
der gestern nächtens gramvoll vor mich trat.
Nicht konnt' ich segnen seinen düstern Pfad,
doch er auch wandelt unter Gottes Walten.

Ich fühl' in mir so ein geheimes Hoffen,
das leise ist im Herzen mir erwacht, --
schon mancher kehrte heim aus Todes Nacht,
dem Höchsten sind gar viele Wege offen.

Sieh' Kind, ich habe größ'res Leid getragen,
und so wie ich wohl Menschen sonder Zahl.
Durch viele Jahre hat in herber Qual,
in wildem Zweifel dieses Herz geschlagen.

Mir starb mein Weib, mein Sohn an einem Tage.
Ich stand zerschmettert an der beiden Gruft.
Ich starrte sinnenleer in leere Luft,
in meinem Mund versiegte selbst die Klage.

Da wuchs empor, ein liebliches Geleite,
die Tochter mir so hold, so schön wie du.
Auch sie, mein Gott, auch sie ging bald zur Ruh,
nur wenig Jahre schritt sie mir zur Seite.

Ich fühlt' die Hand in meiner Hand erkalten.
Ich schaute in das liebliche Gesicht.
Die Tränen rannen mir, ich wusst' es nicht,
so hab' ich lange, lange sie gehalten.

Auf ihrem Antlitz lag des Himmels Frieden.
Sie neigte sich, kaum konnt' ich sie versteh'n:
"Ich will die Mutter von dir grüßen geh'n," ---
und meines Lebens Sonne war geschieden. ---

Du weinst, mein Kind, ja, das sind harte Jahre.
Schwer war der Schmerz, doch blieb er frei und rein.
Nicht sprechen will ich von der schlimmen Pein,
die vor der Zeit gebleicht des Mannes Haare:

"Wie einst der Freund, den du so hoch getragen,
so feige, so erbärmlich dich verließ,
als dich des Schicksals Hand zu Boden stieß,
das magst du einsam deinem Herzen klagen.

Dann schaust den Menschen du in seiner Kleinheit.
Du möchtest zweifeln an der ganzen Art,
wenn Widriges mit Widrigem sich paart,
wenn Feigheit Bündnis schließt mit der Gemeinheit.

Dann mag es wohl die Sinne dir umnachten,
Verrat umsponnen unter Lug und Trug,
und zu der Lippe drängt sich dir der Fluch,
dann wird 's die leicht die Menschen zu verachten.

Doch wohl dir, tritt dann ohne Furcht und Tadel,
ein edler Kämpfer mutig für dich ein,
er hat gerettet dir dein bestes Sein,
den stolzen Glauben an der Menschheit Adel!"

So wie ein Seher hatte er gesprochen,
die Hand erhoben zu des Himmels Licht.
Und wie Verklärung lag 's auf dem Gesicht,
vom Leid gebeugt, doch nicht vom Leid gebrochen.

Wohl fühlte Aennchen mächtig sich durchschauern,
still betend hatte sie das Haupt geneigt.
Wie klein entschwand, was ihren Geist gebeugt,
in dieses stolz getrag'ne, große Trauern.


(Hermann Julius Böhnke, 1842-1909, Lehrer in Oldenburg)