Mittwoch, 19. Juli 2017

Denket doch ...


Denket doch, ihr Menschenkinder,
an den letzten Todestag!
Denket doch, ihr frechen Sünder,
an den letzten Zeigerschlag!
Heute sind wir frisch und stark,
morgen füllen wir den Sarg,
und die Ehre, die wir haben,
wird zugleich mit uns begraben.

Doch wir dumme Menschen sehen
nur was in die Augen fällt;
was nach diesem soll geschehen,
bleibt an seinem Ort gestellt;
an der Erde kleben wir,
leider über die Gebühr,
aber nach dem andern Leben
will der Geist sich nicht erheben.

Wo ihr euch nicht selber hasset,
ach, so legt die Torheit ab.
Was ist tut und was ihr lasset,
so gedenkt an euer Grab.
Ewiges Unglück und Glück
hängt an einem Augenblick.
Niemand kann uns Bürgen geben,
dass wir noch bis morgen leben.

Ungewissenhafte Leute
zittern vor des Todes Pein.
Gute Christen wollen heute
lieber aufgelöset sein.
Denn sie wissen, dass der Tod
ist ein Ausgang ihrer Not,
und gemalte Totenköpfe
sehn sie an als Blumentöpfe.

Vor der Sünde soll man zittern,
weil sie Gottes Zorn entzündt;
aber nicht vor Leichenbittern,
welche gute Boten sind.
Einmal müssen wir daran,
lieber bald dazu getan;
heute lasst uns lernen sterben,
dass wir morgen nicht verderben.

Was hilft doch ein langes Leben
ohne Buß und Besserung?
Wer nicht will nach Tugend streben,
ach, der sterbe lieber jung:
Unsre Bosheit nimmt nicht ab,
sondern mehrt sich bis ins Grab.
Frei von Sünden wird man nimmer,
mancher wird ja täglich schlimmer.

Dass doch nur ein Tag des Lebens
möchte frei von Lastern sein;
doch mein Wünschen ist vergebens,
unter uns ist niemand rein.
Man bleibt sündig von Natur
bei der neuen Kreatur!
Viele pflegen Scherz zu treiben,
wenn sie sich in Gott verschreiben.

Langes Leben, große Sünden!
Große Sünde, schwerer Tod!
Lernet das an einem Kinde,
dem ist Sterben keine Not.
Selig, wer bei guter Zeit
sich auf seinen Tod bereit',
und so oft die Glocke schläget,
seines Lebens Ziel erwäget.

Jede Patientenstube
kann euch eine Schule sein:
fährt an andrer in die Grube,
wahrlich, ihr müsst auch hinein.
Steht ihr auf, so sprecht zu Gott:
Heute kommt vielleicht der Tod!
Legt ihr euch, so führt im Munde:
Heute kommt vielleicht die Stunde.

Stündlich sprecht: In deine Hände,
Herr, befehl ich meinen Geist.
Dass euch nicht ein schnelles Ende
unverhofft von hinnen reißt.
Selig, wer sein Haus bestellt.
Gott kommt oft unangemeld't,
und des Menschen Sohn erscheinet
zu der Zeit, da man 's nicht meinet.

Das Gewissen schläft im Leben,
doch im Tode wacht es auf,
da sieht man vor Augen schweben
seinen ganzen Lebenslauf;
alle seine Kostbarkeit
gäbe man zur selben Zeit,
wenn man nur gescheh'ne Sachen
ungeschehen könnte machen.

Darum brauchet eure Gaben
dergestalt in dieser Zeit,
wie ihr wünscht getan zu haben,
wenn sich Leid und Seele scheid't;
Sterben ist kein Kinderspiel:
wer im Herren sterben will,
der muss ernstlich danach streben,
wie man soll im Herren leben.

Diese Welt geringe schätzen,
allen Lastern widerstehn,
an der Tugend sich ergötzen,
willig Gottes Wege gehn,
wahre Lebensbesserung,
stete Fleisches-Züchtigung,
sich verleugnen und mit Freuden
Schmach um Christi willen leiden;

das sind Regeln für Gesunde,
da man Zeit und Kräfte hat;
in der letzten Todesstunde
ist es insgemein zu spat.
Krankheit gleicht der Pilgrimschaft,
keines gibt dem Geiste Kraft;
beides macht auch bald ermüden
und verstört den Seelenfrieden.

Trauet nicht auf Seelenmessen,
die man den Verstorbenen hält;
Tode werden bald vergessen,
und der Baum liegt, wie er fällt;
ach, bestellt selbst euer Haus,
machet hier die Sachen aus,
fremde Bitten und Gebete
kommen hintennach zu späte.

Suchet Gott stets zu versöhnen,
greifet selbst nach Christi Blut!
Kein Gebet wird ja euch dienen,
wenn ihr keine Buße tut;
denkt ihr selber in der Zeit
nicht an eure Sterblichkeit,
wahrlich in der Grabeshöhle
sorgt kein Mensch für eure Seele.

Jetzt noch ist der Tag des Heiles
und die angenehme Zeit;
aber leider meistenteiles
lebt die Welt in Sicherheit!
Täglich ruft der treue Gott,
doch die Welt treibt ihren Spott;
ach, die Stunde wird verfließen
und Gott wird den Himmel schließen.

Da wird mancher nach dem Öle
erst bei Bräut'gams Ankunft gehn,
und da wird die arme Seele
vor der Türe müssen stehn;
darum haltet euch bereit,
füllt die Lampen in der Zeit,
sonst erschallt das Lied am Ende:
Weicht von mir, ihr Höllen-Brände.

In dem ganzen Bibelbuche
kommt mir nichts so schrecklich für,
als die Worte mit dem Spruche:
Ihr Verfluchten, weicht von mir!
Selig, wer davor erschrickt,
eh er noch den Tod erblickt:
Furcht und Zittern hier auf Erden
schafft, dass wir dort selig werden.

Hier in lauter Freuden schweben,
macht im Tode bittre Not,
doch auf Leid und traurig Leben
folgen Freuden nach dem Tod.
Drum weg Welt und Eitelkeit,
Kot ist eure Lustbarkeit
und erhebet eure Sinnen,
dass sie Christum lieb gewinnen.

Tötet eure bösen Glieder,
kreuzigt euer Fleisch und Blut;
drückt die böse Lust darnieder,
brecht dem Willen seinen Mut;
werdet Jesu Christo gleich,
nehmt sein Kreuz und Joch auf euch,
daran wird euch Christus kennen
und euch seine Jünger nennen.

Auf ein langes Leben harren,
da man täglich sterben kann,
das gehört für einen Narren,
nicht für einen klugen Mann.
Mancher spricht bei Geld und Gut:
Liebes Herz, sei wohlgemut,
und in vierundzwanzig Stunden
ist die Seele schon verschwunden.

Ach, wie oft hört man doch sagen,
dass ein Mensch entleibet sei;
ach, wie mancher wird erschlagen
oder bricht den Hals entzwei;
einen andern rührt der Schlag,
wohl am Spiel und Trinkgelag';
mancher schlummert ohne Sorgen
und erlebet nicht den Morgen.

Feuer, Wasser, Luft und Erden,
Blitz und Donner, Krieg und Pest,
müssen unsre Mörder werden,
wenn es Gott geschehen lässt;
niemand ist vom Tode frei,
nur die Art ist mancherlei;
insgemein sind unsre Stunden
einem Schatten gleich verschwunden.

Nach Verfließung dieses Lebens
hält Gott keine Gnadenwahl;
jener Reiche rief vergebens
in der Pein und in der Qual;
fremdes Bitten hilft euch nicht,
und wer weiß, ob 's auch geschicht:
also fallt in wahrer Buße
eurem Gotte selbst zu Fuße.

Sammelt euch durch wahren Glauben
einen Schatz, der ewig währt,
welchen euch kein Dieb kann rauben,
und den auch kein Rost verzehrt;
nichts ist Ehre, nichts ist Geld,
nichts ist Wollust, nichts ist Welt:
alles Trachten, alles Dichten
muss man auf die Seele richten.

Freunde machet euch in Zeiten
mit dem Mammon, den ihr habt.
Lasset von bedrängten Leuten
keinen Menschen unbegabt.
Christus nimmt die Wohltat an,
gleich als wär sie ihm getan,
und der armen Bettler Bitten
hilft euch in des Himmels Hütten.

Euer Wandel sei im Himmel,
da ist euer Bürgerrecht:
Lebt in diesem Weltgetümmel
unbekannt, gerecht und schlecht;
flieht vor aller Sklaverei,
machet eure Seele frei,
dass sie sich zu Gott erhebe
und hier als ein Fremdling lebe.

Diese Gnade zu erlangen,
sparet das Gebet ja nicht:
netzt mit Tränen eure Wangen,
bis dass Gott sein Herze bricht;
rufet Jesu Christo nach,
wie er dort am Kreuze sprach:
VATER! Nimm an meinem Ende
meine Seel' in deine Hände.


(Thomas von Kempen, 1380-1471)