Montag, 10. Juli 2017
Die Nacht ist lang ...
Still und einsam dämmern Gottes Sterne,
ruhig liegt die Finsternis im Tal.
Und des Lebens bunte Freudenbühne
wandelt sich zum schwarzen Trauersaal.
Falbe Blätter säuseln im Gebüsche,
wenn die Abendlust vom Berge zieht;
kalter Tau sinkt auf die Wiese nieder
und die blasse Herbstzeitlose blüht.
Alles, alles eilt zu seinem Ende,
überall erscheint die Sterblichkeit
mit dem welken Kranze an der Harfe.
"So vergeht des Lebens Herrlichkeit!"
Ach! Die Zeit weht über Stoppelfelder
eine Hoffnung nach der andern hin,
und die Menschheit schläft in ihren Gräbern
ohne Sorge, ohne Traum und Sinn.
Schlafet wohl, ihr, die ihr hier gewesen,
wo jetzt eure Kindeskinder sind;
ruhet wohl, ihr, die ihr hingegangen,
wo des Todes große Sanduhr rinnt.
Alles stirbt! Ich will das Grab nicht fürchten!
Zwar ist 's finster, und die Nacht ist lang.
Doch wer weiß, wie lang die Toten schlafen?
Wer vernimmt den leisen Himmelsgang?
Wenn der Grabgesang ins Tal verhallet,
bricht vielleicht schon euer Morgen an.
Ihr erwachet - und die Sonne rötet
Wald und Berge dort in Kanaan.
Herr des Lebens, lass mich fröhlich wandeln,
weil noch Blut und Leben in mir fließt!
Herr des Todes, lass mich fröhlich scheiden,
wenn die letzte Nacht mein Auge schließt.
Oft will ich an jene Stunde denken,
wo die Welt mit ihrem Glanz entflieht;
oft will ich den neuen Morgen segnen,
wo der Geist in seine Heimat zieht.
Gott, dir leb ich! Gott, dir will ich sterben!
Und dein Bote wird nicht schrecklich sein;
friedlich wirst du deinen Engel senden,
und ich schlaf in seinen Armen ein.
(Johann Heinrich Wilhelm Witschel, 1769-1847)