Donnerstag, 13. Juli 2017

Du ziehest und ich bleib


Was macht ihr, dass ihr weinet,
und brechet mir das Herz!
Im Herrn sind wir vereinet
und bleiben 's allerwärts:
Das Band, das uns verbindet,
löst weder Zeit noch Ort;
was in dem Herrn sich findet,
das währt in ihm auch fort.

Man reicht sich wohl die Hände,
als soll 's geschieden sein,
und bleibt doch ohne Ende
im innigsten Verein;
man sieht sich an, als sähe
man sich zum letzten Mal,
und bleibt in gleicher Nähe
dem Herrn doch überall.

Man spricht: ich hier, du dorten,
du ziehest und ich bleib,
und ist doch allerorten
ein Glied an  e i n e m  Leib;
man spricht vom Scheidewege
und grüßt sich einmal noch,
und geht auf   e i n e m   Wege
in gleicher Richtung doch.

Was sollen wir nun weinen,
und gar so traurig sehn,
wir kennen ja den Einen,
mit dem wir alle gehn
in  e i n e r  Hut und Pflege,
geführt von  e i n e r  Hand,
auf  e i n e m  sichern Wege
ins  e i n e  Vaterland.

So sei denn diese Stunde
nicht schwerem Trauerleid,
nein, einem neuen Bunde
mit unserem Herrn geweiht.
Wenn wir uns ihn erkoren
zu unserem höchsten Gut,
sind wir uns nicht verloren,
wie weh auch Scheiden tut,
wie weh auch Scheiden tut ...


(Carl Johann Philipp Spitta, 1801-1859)