Dienstag, 11. Juli 2017
Geburtswehen
Der Apostel Paulus war einer der weitest gereisten Männer seiner Zeit. Aber er hat uns keine Schilderungen von Naturschönheiten gegeben. Was der oberflächliche Mensch nicht sieht und nicht hört, hat er geschaut und vernommen. Hinter dem farbenprächtigen Schleier blühenden Lebens sah er eine Welt scheinbar sinnloser Grausamkeit. Aus der gesamten Schöpfung hörte er ein leises Schluchzen und ein tiefes Seufzen nach Erlösung. So geht ein stilles Weinen, soweit die lieben Sternlein scheinen, durch alle Adern der Natur. Aber das machte ihn nicht schwermütig und verzagt. Er sah das Harte und Widerspruchsvolle in der Schöpfung, aber das war ihm nichts Endgültiges, sondern etwas Unerlöstes, das der Erlösung harrt. Er erkannte den wilden Kampf ums Dasein überall; aber das war ihm nicht gottgewollte Notwendigkeit, sondern etwas, was aufhören soll und wird. Er fühlte den tiefen Hauch der Schwermut; aber er wusste, dass das anders werden würde. Ihm war die Welt nicht grausame Härte, nicht sinnloser Zufall, sondern sie war ihm Gottes Welt, und die Leiden dieser Welt waren ihm die Geburtswehen eines höheren Lebens. Im Glauben sah er schon die Nebel der Nacht sinken und mit hellem Strahl schien ihm der heraufkommende Tag der Erlösung ins Herz.
Wenn wir doch diesen Glauben hätten! Wenn wir doch über den Trümmern den Bogen des Friedens in den Wolken sähen! Wenn wir uns in der Nacht und Not das doch immer sagten: Die Zeit ist schnell, und die Zukunft ist hell, und hinter der Zeit leuchtet die selige Ewigkeit! Herz, freu dich, du sollst frei werden vom Elend dieser Erden!
Herr, lass uns nicht verzagen im Leid. Bewahre uns vor Verbitterung. Lass uns in der Nacht deine Sterne leuchten, und mach uns froh und fest in der Hoffnung auf deine Erlösung. Amen.
(Dr. Paul Conrad, 1865-1927)