Sonntag, 25. September 2022

Das Bergmannskind



Mit schwachen Armen, bleichen Wangen,

ein Kindlein steht vorm Bergmannshaus.

Da tritt, das Herz voll heißem Bangen,

sein Mütterlein zu ihm hinaus.

Die Locken streichelt sie dem Kinde,

das fröhlich spielt im Abendschein.

"Ach, Mütterl horch, die Glocken läuten,

jetzt kehrt der Vater wieder heim."


Jedoch des Schicksals schnelles Walten

manch Lebensglück im Nu zerbricht.

Es klingt die Glock' vom Turm, dem alten,

jedoch den Bergmann bringt sie nicht.

Nun fragt das Kind mit bangem Herzen:

"Was ist denn los, lieb Mütterlein,

die Glocken sind schon längst verklungen.

Kommt denn der Vater noch nicht heim?"


Es ist vorbei! Ein Bergmannsleben

kehrt nun nach kurzer Fahrt zur Ruh'.

Der Freunde Trauerklagen geben

dem Sterbenden Geleit dazu.

Da klingt 's auf einmal bitter weinend,

verklungen kaum des Priesters Reim:

"Ach, Mütterl horch, die Glocken läuten, 

jetzt kehrt der Vater nimmer heim ..."


© Verfasser unbekannt, Fassung um 1850