Dienstag, 18. Oktober 2016
Stunde der Neubelebung
Die Schmetterlingsraupe versinnbildlicht das an die Erde gebundene Dasein des natürlichen Menschen. Sie ist mit ihrer Daseinsform anscheinend zufrieden, und doch bewegt sie sich in den niederen Grenzen irdischer Gebundenheit. Zu irgendeiner Zeit kommt über die Raupe instinktmäßig der Trieb, diesem Dasein abzusterben. Sie zieht sich aus dem Feld ihres Genusses und ihrer Tätigkeit zurück, sondert sich ab und macht in dem Gefängnis ihrer engen Puppe einen Sterbensprozess durch, bis schließlich die Stunde der Befreiung und Neubelebung schlägt und nach einer Art Todesangst der Verzweiflung der Schmetterling durch den engen Mund der Puppe bricht, um sich in ungeahnter Freude und Wonne im Sonnenlicht zu wiegen. Der Schmetterling würde das Verlassen seiner engen Hülle nicht Sterben nennen. So wird auch für die Menschen, die aus dem Leben Christi ihr Leben empfingen, das Verlassen des Leibes nur der Eintritt in eine höhere Lebens- und Daseinsform.
(Diakonisse Eva von Tiele-Winckler, 1866-1930)