Der Gott der Barmherzigkeit und des Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, sei mit uns in dieser bangen Stunde, und lasse uns auch an diesem so schmerzlich früh geöffneten Grabe, in Seinem allezeit guten Vaterwillen mit kindlicher Ergebung ruhen! Amen.
Donnerstag, 31. März 2022
Grabrede für einen Familienvater
Der Gott der Barmherzigkeit und des Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, sei mit uns in dieser bangen Stunde, und lasse uns auch an diesem so schmerzlich früh geöffneten Grabe, in Seinem allezeit guten Vaterwillen mit kindlicher Ergebung ruhen! Amen.
Donnerstag, 17. März 2022
Manch süßes Band
Wenn alles eben käme,
wie du gewollt es hast,
und Gott dir gar nichts nähme
und gäb' dir keine Last:
wie wär 's dann um dein Sterben,
du Menschenkind, bestellt?
Du müsstest ja verderben,
so lieb wär' dir die Welt!
Nun fällt eins nach dem andern,
manch süßes Band dir ab;
und heiter kannst du wandern
gen Himmel durch das Grab.
@ Fonqué (1777-1843)
O schönes Hoffen ...
Ach, alles Erdendasein ist nur Grablichts Glühen.
Der Tod verlöscht den matten Dämmerschein.
Doch oben, wo des Himmels Sterne ziehen,
beginnt des Geistes ewig klares Sein.
O schönes Hoffen: nach des Lebens Mühen
blüht Wiedersehn und seliger Verein.
Drum lächeln Sterne tröstend auch hernieder:
Was sich hier liebte, findet dort sich wieder!
(Kirchhof in Berchtesgaden)
Das Zentrum der Liebe
"Wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen." (1. Joh., 3, 16)
Das war das Zentrum der Liebe Jesu: Er hat sein Leben für uns gelassen. Das soll die Echtheit unserer Nachfolge Jesu dartun: Wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen.
Das Christentum heißt die Religion der Liebe. Mit Recht. Dann müssen alle, die sich Christen nennen, auch in der Liebe stehen und in der Liebe leben. Und ließen heißt: das Liebste geben, sich opfern. Wahre Liebe, die diesen Namen verdient, ist Selbsthingabe. Wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen.
Es erschien uns selbstverständlich, dass unsere Brüder im Kriege für die Heimat, für uns gestorben sind. Wir erkennen es dankbar an, dass Ärzte und Krankenschwestern im Kampf gegen die Seuchen ihr Leben lassen. Wir bewundern es, wenn die Missionare, Entdecker, Erfinder für ihre Idee und für ihre Ideale im Dienste der Menschheit ihr Leben opfern. Aber wir selber denken an unsere Behaglichkeit und Bequemlichkeit und pflegen unser liebes Ich und kümmern uns höchstens in dem Sinne um den Nächsten, dass wir über ihn reden und ihn verurteilen. Wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen!
Damit wird von uns keine besondere Großtat oder Heldentat verlangt, sondern der viel schwerere, alltägliche Dienst, dass wir helfen, raten, retten, auch auf Kosten unseres Geldbeutels, unserer Ruhe, unseres Behagens. Wir sind dazu da, um zu nützen. Es gilt allgemeine Dienstpflicht. Wie soll denn die Erneuerung unseres Volkes kommen, wenn wir uns nicht unter die Losung stellen: Einer für alle? Wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen! Amen.
@ Dr. Paul Conrad (1865-1927)
Sonntag, 13. März 2022
Der Kampf um den Frieden
Sonntag, den 16. August 1914
Der Krieg schafft ungewohnte Verhältnisse, wir spüren es auf Schritt und Tritt. Grundsätze des geschäftlichen, öffentlichen Lebens, die sonst jedem geläufig waren, scheinen jetzt vielfach undurchführbar, man muss suchen, wie man auf andere Weise mit den Anforderungen des Tages fertig wird. Es ist so vieles entwertet, was sonst galt. Interessen sind wie ausgelöscht, die uns sonst fast ausgefüllt haben. Eigenschaften treten zurück, die sonst von allen geschätzt und bewundert wurden. Der Krieg schafft eine ganz andere Atmosphäre. Zum gründlichen Überlegen und Durchdenken scheint keine Zeit, man muss handeln; nicht abwägende Bedächtigkeit, sondern kraftvolle Leidenschaft tut not. Wir fühlen das Große in dieser neuen Zeit: so viel Kleinlichkeit, schwächliche Bedenklichkeit fällt weg. Die Menschen raffen ihre Kraft zusammen und erscheinen größer, als sie sonst wohl waren. Aber es ist die große Gefahr in solchen Kriegszuständen, solchen Ausnahmeverhältnissen, dass Ideale einfach aufgegeben werden, weil sie zu den Tatsachen der Gegenwart nicht stimmen, dass sittliche Grundsätze weggeworfen werden, die unser Wesen doch bestimmen sollten. Der Krieg ist wie eine große Schmiede, in der mit dem Hammer der Not Menschencharaktere geschmiedet werden, Willensfestigkeit und Zähigkeit wie Eisen und Stahl. Das ist der Segen des Krieges. Aber der Krieg ist auch wie eine Sturmflut, die wilden Wellen rollen an gegen das Menschenlos, das hinter Dämmen friedlich wohlgeordnet ruht, und wenn die Dämme brechen, ist alles verwüstet, was zähe jahrelange Arbeit angebaut hat. Schlamm, Geröll und Steine lässt die Flut zurück. Da gilt es, die Dämme zu schützen. Es ist jetzt auch vielen klar geworden, dass es Wahnsinn gewesen wäre, unsere Rüstung zu vernachlässigen, und viele von den Parteivertretern werden jetzt froh sein, dass sie mit ihren Abrüstungstheorien nicht durchgedrungen sind, dass man gegen ihren Willen doch das Heer und die Flotte vergrößert, Schiffe und Kanonen angeschafft hat. Jetzt ist auch das Murren verstummt über die unerträgliche Last der großen Wehrsteuer, und mancher schämt sich, dass er das Opfer nicht gern gegeben hat, jetzt, da die Ereignisse beweisen, wie sehr es nötig war. Lasst uns keinen Augenblick vergessen, dass wir für den Frieden kämpfen, für eine Lebensgemeinschaft der Völker. So viele Verbindungen hat es in dieser Gemeinschaft gegeben: Freundschaft, Verwandtschaft, Gemeinsamkeit der Wirtschaft und der Wissenschaft, der religiösen und sittlichen Ideale. Was davon bestanden hat, ist jetzt in Gefahr, vernichtet zu werden. Es darf nicht vernichtet werden! Wir müssen alles daran setzen, soviel an uns liegt, diese Verbindungen zu retten in eine bessere Zukunft, und darum müssen wir verhindern, dass dieser Krieg seelische Wunden schlägt, die nicht vernarben, dass er Abgründe aufreißt, die sich nicht mehr schließen. Wir sollten alles dafür tun, den Schrecken des Krieges nicht durch persönlichen Hass und harte Unmenschlichkeit zu steigern. Es ist auch im Krieg möglich, Frieden zu halten. Wollen wir wirklich den künftigen Frieden, dann lasst uns dafür sorgen, dass alle Fremden, die in unserem Land zu dieser Zeit leben, diesen Eindruck empfangen, dass wir die Guten sind, dass unser Christentum nicht aus Worten und Formen besteht, sondern in wahrhaft sittlicher Bildung. Sie sollen es sehen, dass auch der Krieg die sittlichen Grundsätze bei uns nicht zu durchbrechen vermag, dass auch im Krieg das Gastrecht uns heilig ist, dass wir keinen Augenblick zögern, auch beim Feind das Gute anzuerkennen. Es ist gut, dass der Krieg uns lehrt, uns auf unseren eigenen Wert zu besinnen. Aber kindisch ist die Art, wie jetzt alles bekämpft und weggeworfen wird, was uns an die Feinde erinnert. Selbst eigenartige Erzeugnisse fremder Arbeit und Kultur sollen nicht mehr nach ihrer Heimat benannt werden. Von Brüsseler Spitzen, englischen Stoffen und russischen Pelzen darf man nicht reden und sie nicht haben, allenfalls noch türkische Teppiche, weil die Türken noch zu uns halten. Vielleicht darf man bald nicht mehr Shakespeare aufführen, und sich für Tolstoi interessieren. Das alles ist nicht nur kindisch, das ist der blinde Hass und wahrlich kein Weg zum künftigen Frieden. Wir können den fremden Einschlag ertragen, weil wir selbst genug eigene Kraft haben. Es ist recht, den Sinn offen zu halten für das Gute, das aus der Fremde kommt. Denn wir glauben an eine Kulturgemeinschaft der Völker, auf der allein ein Völkerfriede sich aufbauen kann. Diesen Glauben soll der Krieg nicht zerstören, die Ansätze zu solcher Gemeinschaft soll er nicht niederreißen, darüber lasst uns wachen. Lasst den Hass sich nicht einfressen in die Seele. Die Phantasie gibt sich dem Hass hin und denkt sich aus, wie man es heimzahlen will. Das ist die selbstmordende Gefahr des Krieges, das ist das Gift des Hasses. Ich beschwöre euch, verwahrt die Seele gegen dieses Gift. Es ist schwer, nicht zu hassen, aber es muss gelingen, uns zu überwinden. So lasst uns alle Kraft zusammennehmen zu dem schweren Kampf gegen den Hass in uns, auf dass wir Böses mit Gutem überwinden.
@ Otto Zurhellen (1877-1914)
Freitag, 11. März 2022
Carpe diem!
Im goldenen Zeitalter des Augustus lebte zu Rom ein Dichter mit Namen Quintus Horatius Flaccus. Wenn er an sonnigen Sommertagen im Schatten der Eiche lag, ein gutes Tröpflein vorsichtig schlürfend und eine kleine poetische Bosheit mit leisem Schmunzeln und mit spitzen Fingern skandierend, dann kam zwischendurch wie eine lästige Mücke der Gedanke, daß alles doch ein Ende habe: der Wein und die Poesie und selbst das Leben. Dann schüttelte er betrübt sein Dichterhaupt, das noch zuweilen schmerzte, seitdem ein morscher Baum ihn im Fallen getroffen hatte. Diesen Unfall hatte er der Nachwelt in unsterblichen Versen überliefert, denn eine gute Biene saugt Honig aus allen Blüten. Läßt sich nicht auch der Todesgedanke poetisch verwerten? Schon tönt die gemessene Klage:
O weh, wie gleiten die flüchtigen Jahre!
Auch eine Lehre kann man ziehen, wie es dem praktischen Römer ziemt: Carpe diem!
Pflücke den Tag und traue dem kommenden nicht! Kränze dein Haupt mit Rosen, sie welken so bald, und schlürfe den Wein, denn keinen Becher kredenzt dir der Tod! Genieße das kurze Leben! Das ist seiner Weisheit letzter Schluss. Das lehrt ihn der Tod, den kleinen Quintus Horatius Flaccus.
Eine arme Weisheit. Wird der Wein nicht schal im goldenen Becher, wenn der Tod dir hinter dem Rücken steht und über die Schulter schaut? Wird deine Hand ihn nicht verschütten, wenn sie greift mit gieriger Hast, voller Angst, daß die Knochenhand ihr vorgreifen möchte?
Der Tod ist kein Gewürz, um die Lust des Lebens zu würzen. Sein Salz ist viel zu bitter. Und deine Weisheit ist Torheit, du kluger Quintus Horatius Flaccus!
Genauso schildert uns das Buch der Bücher die hilflose und haltlose Lebensweisheit der Toren:
"Auf, lasset uns sehen, was des Guten ist, genießen, und benutzen, was geschaffen ist, solange wir noch jung sind!
Lasset mit köstlichem Weine und mit Würzen uns sättigen, und keine Frühlingsblume soll uns entgehen!
Kränzen wir uns mit Rosen, ehe sie verwelken; unsere Lebenslust soll jede Flur durchstreifen!"
So denken sie und gehen irre ---
Carpe diem --- pflücke den Tag und traue dem nächsten nicht! -- O arme, wilde, vom Tode gehetzte Lust!
Diese heidnische Lebensweisheit erwachte wieder in der Renaissance. Boccaccio erzählt, daß zur Zeit, als die Pest in Italien wütete, eine Schar von vornehmen Männern und Frauen die Stadt verließ und sich auf ein Landgut begab, um dort in Lust zu leben, während draußen der Würgengel umging. Sie würzten ihre üppigen Gelage mit leichtsinnigen Geschichten voll heidnischer Sinnenlust und mußten doch jeden Augenblick erwarten, daß der grause Würger auch an ihr Tor pochen würde. Ist das Heldenmut und Lebenskraft? Entweder ist es Frevelmut oder feige Schwäche, die sich betäuben möchte.
@ Augustin Wibbelt (1862-1947)
Mittwoch, 9. März 2022
Verlustlisten
Sonntag, den 23. August 1914
Seit kurzer Zeit bringen die Zeitungen lange Verlustlisten. Es sind schon viele Namen, auch wenn man alle Leichtverwundeten nicht zählt und von den Schwerverwundeten nur einen Teil. Diese Listen machen einen tiefen Eindruck in all ihrer Nüchternheit, wieder und wieder quält uns das Wörtchen "tot" hinter einem Namen. Auch wer keinen nahestehenden Menschen unter den Aufgezählten findet, wird die Liste nicht ohne Bewegung lesen. Das kommt, weil es einzelne Namen sind. Es ist ganz anders, wenn es heißt 500 Tote, 2000 Tote. Diese 1000, 2000 sind ja lauter einzelne Menschen. Von einer Mutter mit Schmerzen geboren, von den Eltern froh begrüßt, herangewachsen jeder in seiner Weise, ausgebildet für Arbeit und Lebensberuf. Jeder ein Mensch mit Plänen und Zielen, mit seinem Pflichtenkreis, seinem Sorgen, seinem Lieben. Menschen wie wir, zum Leben geboren wie wir, am Leben hängend wie wir, ein Leben für sich, eine Persönlichkeit wie wir. Und hinter ihren Namen stehen die gleichen drei Buchstaben: tot. Länger und länger werden die Listen, wie viele mag der gestrige Tag hingerafft haben? Wir lesen die Listen, Namen um Namen; das sind lauter einzelne Menschen, und all diese Menschen sind nicht einer übermächtigen, unvorhergesehenen, unausweichlichen Naturgewalt erlegen wie bei einem Erdbeben, sie starben im Regen der mörderischen Kugeln und Granatsplitter.
Welch ein greller Gegensatz zu unserer sonstigen Einschätzung des Lebens, welch ein vernichtendes Urteil über unsre angestrengten Bemühungen, ein einziges Leben zu erhalten. Es war uns sonst nichts wichtiger als die Erhaltung des Lebens. Wie viel Kraft und sorgende Bemühung verwandten wir darauf, einen kranken Menschen der Todesnähe zu entreißen. Ungeheure Summen wurden ausgegeben für Krankenhäuser, Sanatorien, gesundheitliche Einrichtungen. Mit höchster Spannung verfolgen wir die Fortschritte ärztlicher Wissenschaft in der Bezwingung der Krankheiten; wer ein Leben rettet, erntet höchsten Ruhm und Dank; wer uns ein Mittel verspricht, das Leben auch nur um ein paar Jahre zu verlängern, der findet überall Gehör. Und wie viele sehen allein darin ihre Lebensaufgabe, einem alternden Menschen den Tod von der Schwelle zu scheuchen.
Nun aber, was wir so im einzelnen gespart und verteidigt haben, das werfen wir nun in Massen hin, als wäre es nichts. Das Leben nichts? Was haben wir denn mehr als das? Was haben wir noch, wenn wir das Leben verloren? Ist nicht der Krieg nichts als ein entsetzliches Unglück, da er so viele Menschenleben verschlingt? Ist es nicht Wahnsinn, egal aus welchem Anlaß, so das Letzte hinzuwerfen?
@ Otto Zurhellen (1877-1914)