Donnerstag, 24. Mai 2018

Es ist ein Beben




Der Friedhof lebt an allen Enden.
Ein Narr, der nicht das Leben sieht,
das da mit übervollen Händen
von Gräbern uns entgegen blüht.

Nicht sind 's nur einfache Gewächse.

Nicht ist 's die mannigfache Zier.
Es ist das Ganze, das Komplexe.
Ein Paradies mit offner Tür.

Dort schwirren tausendfach Insekten,

dort singen Vögel laut heraus.
Dort, wo die Tränen bitter schmeckten,
flicht süß das Leben seinen Strauß.

Es tanzen Falter um die Wette,

es bricht die Sonne ihre Bahn.
Hier an des Menschen letzte Stätte
hat sich das Leben aufgetan.

Es kriecht und fleucht in steter Weise.

Wer wollt' sich fürchten vor dem Tod?
Im Wipfel singt die kleine Meise
das Lied vom schönen Abendrot.

Und wie ich wandre durch die Reihen,

da ist mir gar so wundersam,
gleich wie ein inneres Befreien
von einem festgezurrten Gram.

Der Friedhof lebt. Es ist ein Beben

gleich hinterm tristen Schleiersaum.
Dort küssen Abschied sich und Leben
und unterscheiden sich ja kaum.


(c) Bettina Lichtner