Sonntag, 27. Mai 2018

Bedenkt das Ende



Bedenke, Mensch, die Schattenseiten,
auf die das Leben dich beizeiten
mitunter auch mit aller Härte,
mit Prügelstab und Peitschengerte
und ohne Warnung treibt und zwängt.
Wohl dem, der auch den Tod bedenkt.

Wo Oberflächlichkeiten walten,
kann keine Tiefe sich entfalten.
Das Leben lässt sich erst verstehen,
wenn wir auch auf sein Ende sehen.
Es macht der Blick zur Endlichkeit
das Leben uns zur Blütezeit.

Derweil wir unsre Wünsche küssen,
verharren wir im Ungewissen,
welch Spanne wir bekommen haben,
am Einmaligen uns zu laben
bis zu der uns gesetzten Frist,
die ohne Zweifel sicher ist.

"Mir ist Unsterblichkeit beschieden.",
hört man Verblendete hienieden
mit prahlerischem Stolz verkünden.
Doch, wenn sie sich in Schmerzen winden,
und schon der Tod vor Augen schwebt,
war keine Stunde tief gelebt.

Der Sterblichkeit die Hand zu reichen,
den Tatsachen nicht auszuweichen,
zu wissen, dass wir hier auf Erden
nur kurz und einmal wandern werden,
erst, wenn man sieht und auch versteht,
dass alles Leben auch vergeht,

dann werden wir einander lieben,
statt uns einander zu betrüben.
Wir werden den Moment genießen.
Den anderen die Zeit versüßen.
Viel Gutes tun und dann erfreut
beenden unsre reiche Zeit.



(c) Bettina Lichtner

Samstag, 26. Mai 2018

Der Tod ist kein Tod


Der Tod ist kein Tod, wenn er an uns nichts zerstört als das, was uns vom Leben der Vollkommenheit ausschließt.

Der Tod ist kein Tod, wenn er uns in einem Augenblick aus der Finsternis ins das Licht versetzt, aus der Schwachheit in die Kraft, aus der Sündhaftigkeit in die Heiligkeit.

Der Tod ist kein Tod, wenn er uns näher zu Christo bringt, der die Quelle alles Lebens ist, wenn er unseren Glauben in Schauen umwandelt, und wir  D E N  sehen dürfen, an den wir glauben.

Der Tod ist kein Tod, wenn er uns denen wiedergibt, die wir geliebt und verloren haben, für die wir gelebt, für die ferner zu leben unser Sehnen ist.

Der Tod ist kein Tod, wenn er das Kind mit der Mutter vereint, die ihm vorangegangen.

Der Tod ist kein Tod, wenn er von der Mutter für immer alle Mutterängste und -sorgen nimmt, und lässt sie in dem Gnadenantlitz ihres Heilands die Bürgschaft finden, dass, die sie zurücklassen musste, sicher geborgen sind, geborgen mit Christo vor allen Zufälligkeiten und Gefahren dieses vergänglichen Lebens.

Der Tod ist kein Tod, wenn er uns befreit von Zweifel und Furcht, Zufall und Wechsel, Raum und Zeit und allem, was Raum und Zeit hervorbringen und zerstören.

Ja, der Tod ist kein Tod; denn Christus hat dem Tode die Macht genommen für sich selbst und für die, welche Ihm vertrauen.


(c) Charles Kingsley, 1819-1875


Freitag, 25. Mai 2018

Saat und Ernte


Nur das, was ihr im Geist gesät,
wird gute Früchte tragen,
wenn eure Asche längst verweht,
noch tiefe Wurzeln schlagen.

Und könnt ihr selbst auch nimmermehr
die Lotusblüten pflücken,
wird sich in ew'ger Wiederkehr
die Nachwelt danach bücken.


(c) Elsbeth Ebertin, 1880-1944

Donnerstag, 24. Mai 2018

Es ist ein Beben




Der Friedhof lebt an allen Enden.
Ein Narr, der nicht das Leben sieht,
das da mit übervollen Händen
von Gräbern uns entgegen blüht.

Nicht sind 's nur einfache Gewächse.

Nicht ist 's die mannigfache Zier.
Es ist das Ganze, das Komplexe.
Ein Paradies mit offner Tür.

Dort schwirren tausendfach Insekten,

dort singen Vögel laut heraus.
Dort, wo die Tränen bitter schmeckten,
flicht süß das Leben seinen Strauß.

Es tanzen Falter um die Wette,

es bricht die Sonne ihre Bahn.
Hier an des Menschen letzte Stätte
hat sich das Leben aufgetan.

Es kriecht und fleucht in steter Weise.

Wer wollt' sich fürchten vor dem Tod?
Im Wipfel singt die kleine Meise
das Lied vom schönen Abendrot.

Und wie ich wandre durch die Reihen,

da ist mir gar so wundersam,
gleich wie ein inneres Befreien
von einem festgezurrten Gram.

Der Friedhof lebt. Es ist ein Beben

gleich hinterm tristen Schleiersaum.
Dort küssen Abschied sich und Leben
und unterscheiden sich ja kaum.


(c) Bettina Lichtner

wachsam & achtsam



Hänge nicht der Vergangenheit nach.
Setze nicht auf die Zukunft.
Die Vergangenheit ist vorbei.
Die Zukunft steht noch aus.
Die Gelassenheit und Freiheit
gründet in der Gegenwart,
die man mehr und mehr begreift.

Wir müssen heute wachsam sein.
Morgen kann es schon zu spät sein.
Der Tod kommt unangemeldet
und lässt nicht mit sich handeln.
Tag und Nacht
achtsam zu sein, das heißt
für den Weisen
"allein und richtig zu leben".


(nach dem Bhaddekaratta Sutta)

Mittwoch, 23. Mai 2018

Die Bilanz




Nehmen wir uns einen aus dem Kreis der Älteren vor:

"Du bist, wie wir sehen, an die äußerste Grenze des Menschenlebens gekommen: Hundert Jahre oder gar noch mehr hast du auf dem Buckel. Auf, zieh jetzt die Bilanz deines Lebens. Rechne aus, wie viel von dieser Zeit dich dein Gläubiger gekostet hat, wie viel die Geliebte, dein Vorgesetzter, dein Klient dir entzogen hat, wie viel die Streitereien mit der Gattin, die Bestrafung der Sklaven und wie viel dein geschäftiges Herumrennen in der Stadt. Nimm noch die Krankheiten hinzu, die wir uns selbst eingebrockt haben, und was ungenutzt brach liegen blieb - du wirst sehen, die Rechnung ergibt: Du hattest weniger Jahre als dein Lebensalter ergibt. Ruf dir ins Gedächtnis zurück, wann du bei einem Entschluss fest geblieben bist, wie wenige Tage so verlaufen sind, wie du es dir vorgenommen hattest, wann du überhaupt zu dir selbst gekommen bist, wann du einen ungekünstelten Gesichtsausdruck hattest, wann du innerlich ohne Aufregung warst, was du in einer so langen Lebenszeit geleistet hast, wie viele andere Menschen dein Leben ausgeräubert haben, ohne dass du merktest, was du eingebüßt hast, wie teuer dich grundloser Kummer zu stehen kam, törichte Freude, gierige Leidenschaft, schmeichlerische Unterhaltung, wie wenig dir von deiner Zeit geblieben ist. Du wirst einsehen müssen, dass du unreif stirbst.

Was ist nun aber schuld daran? Ihr lebt so, als lebtet ihr ewig; niemals kommt euch eure Hinfälligkeit in den Sinn, nie achtet ihr darauf, wie viel Zeit schon vergangen ist. Als ob ihr sie in Fülle und im Übermaß hättet, verschwendet ihr sie. Dabei ist doch vielleicht gerade der Tag, den ihr für irgendeinen Menschen oder irgendeine Sache dahinschenkt, der letzte Tag. Alles fürchtet ihr wie Sterbliche, alles wollt ihr aber haben wie Unsterbliche. Von sehr vielen wirst du hören können: 'Von meinem fünfzigsten Lebensjahr an will ich mich ins Privatleben zurückziehen, das sechzigste wird mich von allen Verpflichtungen entbinden.'

Doch wer bürgt dir schließlich dafür, dass du so lange lebst? Wer wird es gestatten, dass alles so verläuft, wie du es dir einteilst? Schämst du dich nicht, nur die kümmerlichen Reste deines Lebens für dich zu behalten und für sinnvolle geistige Beschäftigung nur die Zeit zu bestimmen, die für kein anderes Geschäft mehr taugt? Es ist doch reichlich spät, erst dann mit dem Leben zu beginnen, wenn man es schon bald beenden muss. Und wie unvernünftig ist es, seine Sterblichkeit so weit zu vergessen, dass man gute Vorsätze auf das fünfzigste und sechzigste Lebensjahr verschiebt und erst in einem Alter zu leben beginnen will, das nur wenige erreichen!"


(c) Seneca, 4 v. Chr.  - 65 n. Chr. 

Dienstag, 22. Mai 2018

Ich möchte dich wieder lachen hören ...


(...) Ich erstarrte wieder vor Angst, ihn für immer zu verlieren. Und mir wurde bewusst, dass ich die Vorstellung nicht ertragen konnte, nie wieder dieses Lachen zu hören. Es war für mich wie eine Quelle in der Wüste. 

"Kleiner Mann, ich möchte dich weiter lachen hören ..."

Doch er sagte:

"... Du wirst nachts die Sterne betrachten. Mein Zuhause ist zu klein, als dass ich es dir zeigen könnte, wo mein Stern sich befindet. Umso besser. So kann jeder Stern für dich der meine sein. Also wirst du alle Sterne gern betrachten ... Sie werden alle deine Freunde sein. Wenn du nachts den Himmel betrachtest, wird es für dich sein, als würden alle Sterne lachen, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können. Und wenn du dich getröstet hast (man tröstet sich immer), wirst du froh sein, dass du meine Bekanntschaft gemacht hast. Du wirst immer mein Freund sein. Du wirst mit mir lachen wollen. Und manchmal wirst du dein Fenster öffnen, einfach so zum Spaß. Und deine Freunde werden sich sehr wundern, dich lachen zu sehen, während du den Himmel betrachtest. Dann sagst du zu ihnen: 'Ja, die Sterne bringen mich immer zum Lachen!' Und sie werden dich für verrückt erklären ..... Heute Nacht werde ich aussehen, als wäre ich tot, obwohl es nicht stimmt. Ich kann diesen Körper nicht mitnehmen. Er ist zu schwer. Er wird aussehen wie eine alte, abgelegte Hülle. Alte Hüllen sind nichts Trauriges ..."



(Auszüge aus "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry, 1900-1944)

Freitag, 18. Mai 2018

Der Tote


Mir starb ein Freund und überschritt die Brücken,
auf denen alle Spuren heimwärts gehen
und keiner stehen bleibt, sich umzusehen,
und uns noch einmal freundlich zuzunicken.

Und er ging nicht allein - wie alle Toten.
Mir starb sein Haus, die Stadt, darin er wohnte.
Ein Wort, das gern im Scherz er falsch betonte,
das sind nun alles stumm geword'ne Boten.

Ich mag an manchen Tisch mich nicht mehr setzen,
weil seine Augen drüberher mir fehlen.
Und oftmals stock' ich mitten m Erzählen
vor einem seiner Worte mit Entsetzen.

Und denke schaudernd: wie soll das nur enden,
wenn ich erst ganz vereinsamt bin auf Erden
und alle Dinge feierlich mir werden,
weil alle angerührt von Totenhänden ....


(c) Börries von Münchhausen, 1874-1945

Donnerstag, 17. Mai 2018

Ohne-Dich-Land


Ich tanz' mit den Schmerzen und bade im Leid.
Die Trauer ist allzeit mein inneres Kleid.
Und dennoch reicht 's Leben mir scheu seine Hand
und wagt eine Reise ins Ohne-Dich-Land.

Wie scheint mir am Anfang doch alles so trist.
Ich spüre, dass zärtlich die Freude mich küsst.
Sie führt mich behutsam hinaus aus der Nacht,
und weiß um die innere bittere Schlacht.

Ich will 's ja probieren. Ach, wenn ich 's doch könnt' ...
Welch einsames Leben vom Liebsten getrennt.
Oh, grausame Stunde, warum, ach warum ...
Ich will nicht mehr weiter, drum drehe ich um.

Die Welt will mich zwingen, vergesslich zu sein.
Was ahnt schon die Welt von dem inneren Stein,
des Schwere mich langsam und schleichend erdrückt,
und tiefer und tiefer ins Elend mich schickt?!?

Das Leben bleibt standhaft. Es gibt keine Ruh'.
Es nimmt meine Hand, und es schnürt meine Schuh',
und lernt mit mir laufen, als sei ich ein Kind,
des Füße noch wackelig, unsicher sind.

Es braucht wohl Geduld bis das Leben mir schmeckt.
Das Ohne-Dich-Land hab' ich mühsam entdeckt.
Dort muss ich nun leben, so ganz ohne dich.
Das Ohne-Dich-Land ist ein Kerker für mich.


(c) Bettina Lichtner

Gebete beim Tod der Eltern



Gebet beim Tod des Vaters

Ewiger, liebreicher Gott. Ein Licht ist bei uns erloschen. Was danken wir alles unserem geliebten Vater. Sein guter Rat, seine treuen Worte, seine Wärme, wie fehlen sie uns. Aber Du bist ja bei uns in unserer Einsamkeit. Du bist auch bei ihm, wie Du bei ihm warst, solange er noch hier mit Dir redete. Deine Liebe hört nicht auf. Sie geht über Tod und Grab hinaus. Lass unseren Entschlafenen uns im Geiste nahe sein. Bleibe Du selbst unser Vater, jetzt erst recht. So sind wir in aller Armut doch reich, denn wir haben ja Dich, der du das Leben bist und uns durch unseren Herrn Jesum Christum zum Leben führen willst. Amen.

Gebet beim Tod der Mutter

Du unser Vater. Nun hat auch dieses Herz zu schlagen aufgehört. Du weißt, was unsere liebe Mutter uns gewesen ist von Kindheit an, wie sie für uns gesorgt, uns vergeben, für uns gebetet hat. Aber wir geben sie nicht verloren, sondern wir geben sie Dir. Sie bleibt unser, wie sie Dein bleibt. Du wirst sie nun weiter wirken lassen in Deiner unendlichen Welt an neuem Platz, in neuer Weise und doch mit uns verbunden. Sie ist am Ziel; wir sind noch auf dem Wege. Sie hat überwunden; wir stehen noch im Kampf. Lass uns mit ihr teilhaben an Deinem Reich. Amen.


(c) Heinrich Riedel, Theologe (1903-1989)

Freitag, 4. Mai 2018

So nimm sie hin ...



"Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast." (Joh. 17, 24)


Tod, warum rührst du den Baum an, unter dessen weit schattenden Zweigen der Müde Ruhe findet? Warum raubst du die Trefflichen dieser Erde, an welchen wir unsre höchste Wonne haben? Wenn du deine Axt gebrauchen willst, so versuche sie an den Bäumen, die keine Frucht geben, so wirst du dir Dank verdienen. Warum aber schlägst du die herrlichen Zedern auf Libanon? Ach, halte inne mit deinen Schlägen und verschone die Gerechten. Aber nein, es darf nicht sein; der Tod trifft mit unwiderstehlicher Kraft die holdseligsten unter unsren Freunden; die Großmütigsten, die Gottesfürchtigsten, die Geheiligsten, die Gesalbtesten müssen sterben. Und warum? Weil der Herr Jesus in seinem hohepriesterlichen Gebet gefleht hat: "Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast." Das ist es, was sie auf Adlers Flügeln gen Himmel trägt. Immer und immer wieder steigt ein Kind des Glaubens von dieser Erde zum Paradies empor; es ist eine Erhörung des Gebets unsres Heilandes. Ein trefflicher alter Gottesmann sagt: "Manchmal arbeiten Jesus und die Seinen einander im Gebet entgegen. Ihr beugt eure Knie im Gebet und sprecht: 'Vater, ich will, dass, wo ich bin, Deine Heiligen bei mir seien.' Christus spricht: 'Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast.' So streitet die Absicht des Jüngers mit derjenigen seines Herrn. Die Seele kann nicht an beiden Orten zugleich sein; der Geliebte kann nicht zugleich bei Christo und auch bei euch sein. Nun, welche von beiden Bitten wird wohl den Sieg davon tragen? Wenn du wählen dürftest; wenn der König von seinem Throne herabstiege und sagte: "Hier sind zwei Bittsteller, deren Anliegen einander zuwiderlaufen, welchem soll ich seine Bitte gewähren?" O, ich bin gewiss, wenn es dich auch einen schweren Kampf kostete, so würdest du doch von deinen Knien aufstehen und sagen: "Herr Jesu, nicht mein Wille, sondern der Deine geschehe." Du würdest deine Bitte um das Leben deines Geliebten dahingehen, wenn du die Gewissheit hättest, dass Christi Gebet es anders will: "Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast." Herr, so nimm sie hin zu Dir.


(c) Charles Haddon Spurgeon, 1834-1892