Donnerstag, 2. Juli 2015
Gedicht von Heinr. Lambrecht
Die Stufenalter des Lebens
Das Knäblein ruht an der Mutter Brust,
sich weder Leiden noch Freuden bewusst;
es lebt in der Kindheit unschuldigen Welt,
die Geist und Herz noch gefesselt hält.
Dahin, dahin flieht das Leben!
Der Knabe haschet nach jeglicher Lust,
doch schon füllen Träume die junge Brust;
er blicket staunend ins Leben hinein,
und sehnlich wünscht er schon groß zu sein.
Dahin, dahin flieht das Leben!
Dem Jüngling braust in den Adern das Blut,
er stürmt in die Welt mit feurigem Mut;
nichts ist zu erhaben und nichts ihm zu groß,
aus der Ferne lacht ihm das herrlichste Los.
Dahin, dahin flieht das Leben!
Ob Blut und Schweiß in Strömen auch rann,
den Stürmen des Schicksals trotzte der Mann.
Der Eiche gleicht er, vom Sturm nicht entrafft,
wie sie herrlich pranget in dauernder Kraft.
Dahin, dahin flieht das Leben!
In Mitten der Seinen sitzt sinnend der Greis,
es spielen die Enkel im traulichen Kreis;
da sieht er alles sich wieder erneu'n
und lächelt schmerzlich und schlummert ein.
Dahin, dahin flieht das Leben!
(c) Heinrich Gerhard Lambrecht (1812-1898)