Mittwoch, 24. Juni 2015
Gedicht von Julius Mosen
Der Rehschädel
Einsam lag ich im Walde
im tiefen Schatten da,
als eines Rehes Schädel
im Moos ich liegen sah.
Das zarteste Gehörne
stieg bleich und weiß empor;
der Efeu hielt 's umsponnen,
wuchs überall hervor.
Es brachen große Blumen
aus diesem kleinen Haus,
und aus den Augenhöhlen
sah'n freundlich sie heraus.
So schienen aus dem Schädel
zwei blaue Augen klar;
nicht wusst' ich, ob er lebend,
ob wirklich tot er war.
Ich sprach: Wird Tod zum Leben,
das Leben so zum Tod?
Seid ihr so eng verschwistert,
was hat es dann für Not !
Ob nun, wann ich gestorben,
im hellen Jugendgrün
auf meinem Totenschädel
noch meine Lieder blühn?
(c) Julius Mosen