Sonntag, 22. Januar 2017

Sie sind nicht tot, sie leben!


"Wenn wir am Sterbebett einer geliebten Seele stehen und sehen, wie alles Irdische so gar nichtig und vergänglich ist, wie Anmut, Schönheit, Bildung, Gescheitheit dahinsinkt, wie alle Herrlichkeit der Welt verwelkt und abfällt gleich einer Blume - was für gewaltige Lehren werden einem da ins Herz hineingerufen. Hast du am Sterbebett deiner Lieben gar inne werden dürfen, dass der treue Herr und Heiland bei ihnen gestanden und ihr Siechbett in ein Siegesbett verwandelt, dass Er ihnen Seine Güte und Freundlichkeit zu schmecken gegeben hat - hast du den Trost, dass sie im Herrn gestorben und nun bei Ihm sind allezeit -, o dann ist dir ein überaus reicher Segen geschenkt, der dich nicht tief genug zur Demut beugen und nicht hoch genug zum Lob und Dank erheben kann. Der Herr weiß, wie lieb du die Deinen hast; Er hat sie zu sich genommen, du sollst sie wiederbekommen, aber freilich nur dann, wenn du selber zu Ihm kommst, Ihm nachfolgst, bei Ihm verharrst bis ans Ende. Du darfst deine Liebsten nur dann wiedersehen und an dein Herz drücken, wenn du in der Gemeinschaft Christi bleibst. Würdest du aber als ein Kind der Welt hinleben und hinsterben, dann müsstest du in die Hölle fahren, und bliebest zugleich ewig geschieden von deinen Lieben, die beim Herrn im Himmel sind. Der Heimgang deiner Lieben soll ein rechtes Heimweh nach oben in dir erwecken, er soll ein neues Band mit der oberen Gemeinde werden. Wer eine herzliche treue Liebe zu seinen Heimgegangenen hat, dem wird ihr Heimgang zu einem Magnet, der seine Seele nach oben zieht, dem wird sein eigenes Sterben leichter. Ja, soll ein Mensch, der mit seinem Herzen droben lebt, nicht oft sehnsüchtig nach dem Tag seiner Abfahrt und Auffahrt ausschauen? Nun, lieber Trauernder, sei stille in deinem Leiden, gehe willig den sauren Weg, den der Herr dich gehen heißt. Seine Wege sind oft krumm und doch gerade. Auch wenn Er nimmt, will Er geben. Deine Lieben, die in Ihm gestorben sind, sind nicht verloren, sondern aufs Beste aufgehoben in Seinen treuen Händen. Sie sind nicht tot, sie leben. Gönne ihnen ihre Ruhe und Seligkeit. Du sollst sie einst mit unaussprechlicher Freude wiedersehen, wenn du dem Herrn nachfolgst. Tue das, so wirst du Trost und Frieden haben hier und ewige Freude dort und mit deinen Lieben Seine Wunderwege, Seine Liebe und Treue preisen."

(Pfarrer Heinrich Guth, 1829-1889)