Donnerstag, 22. September 2016

Was verließ er?


"Aber haben Sie Ihren Sohn denn verloren? War er glücklich, und ist er es jetzt nicht mehr? Ist er zu bedauern oder nicht vielmehr zu beneiden? Ich richte zwar diese Fragen an einen geschlagenen Vater, aber zugleich auch an einen Weisen, einen Christen, der es weiß, dass ein Gott Leben und Tod verhängt und ein ewig weiser Ratschluss über uns waltet.
Was verlor er, dass ihm nicht dort unendlich wieder ersetzt wird?
Was verließ er, dass er nicht dort freudig wiederfinden, ewig wieder erhalten wird?
Und starb er nicht in der reinsten Unschuld des Herzens, mit voller jugendlicher Kraft zur Ewigkeit ausgerüstet, eh er noch die Wechsel der Dinge, den bestandlosen Tand der Welt beweinen durfte, wo so viele Pläne scheitern, so schöne Freuden verwelken, so viele Hoffnungen vereitelt werden?
Das Buch der Weisheit vom frühen Tod der Gerechten: 'Seine Seele gefiel Gott, darum eilet er mit ihm aus diesem bösen Leben, er ist bald vollkommen worden und hat viele Jahre erfüllt. Er ward hingerückt, dass die Bosheit seinen Verstand nicht verkehre, noch falsche Lehre seine Seele betrüge.'
So ging Ihr Sohn zu dem zurück, von dem er gekommen ist; so kam er früher und rein behalten dahin, wohin wir später, aber auch schwer beladen mit Vergehungen gelangen. Er verlor nichts und gewann  a l l e s ! 
Es gibt ja eine Welt, wo die Getrennten sich wieder vereinigen, dort werden Sie Ihren Sohn als einen verklärten Engel wiederum umarmen."

(Schiller an den Hauptmann v. Hoven)