Donnerstag, 5. November 2015

Wir werden Gewinner sein



"Sterben ist mein Gewinn." (Phil. 1, 21)

Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. Wie bedeutungsvoll folgen hier diese Worte unmittelbar aufeinander: "Leben", "Sterben". Nur drei Buchstaben stehen dazwischen, und wie es in den Worten ist, so ist 's auch in der Wirklichkeit. Wie nah sind Leben und Tod beisammen! Das Leben ist des Todes Vorhof; und unsre Pilgrimschaft auf Erden ist nur eine Reise zum Grab. Der Puls, der unser Dasein fristet, schlägt nur unsren Todesmarsch, und das Blut, das unser Leben erhält, schwemmt es den Tiefen des Todes zu. Heute sehen wir unsre Freunde in der Blüte der Kraft; morgen vernehmen wir die Nachricht ihres Todes. Gestern boten wir dem Starken noch die Hand, und heute drücken wir ihm die Augen zu. Mancher fährt im glänzenden und wohlgepolsterten Staatswagen durch die Straßen, und nach wenigen Stunden bringt ihn die schwarze Leichenbahre zur letzten Ruhestätte aller Lebendigen. O, wie eng ist der Tod mit dem Leben verknüpft! Das Lamm, das jetzt noch auf der Wiese hüpft, wird bald unter dem Messer verbluten. Der Ochse, der auf den Fluren weidet, wird fett für die Schlachtbank. Bäume wachsen, dass man sie fällen möge. Ja, und an noch größere Dinge tritt der Tod heran. Weltreiche entstehen und blühen, sie blühen dem Verfall entgegen, sie erheben sich zum Sturz. Wie oft schlagen wir das Buch der Geschichte auf und lesen vom Werden und Vergehen der Staaten. Wir hören von der Krönung und dem Tode der Könige. Der Tod ist der schwarze Diener, der hinter dem Wagen des Lebens her reitet. Siehe das Leben! Und der Tod dicht hinter ihn!

Aber, Gott sei Lob und Dank! Es gibt noch einen Ort, wo der Tod nicht des Lebens Bruder ist, wo das Leben alleine herrscht; wo dem Wörtlein "Leben" keine Silbe "Tod" mehr nachfolgt. Es gibt ein Land, wo kein Todesröcheln mehr ist, wo kein Trauerschleier mehr gewoben wird, wo keine Gräber mehr geschmückt werden. O seliges Land über den Wolken! Wenn wir dich erreichen wollen, müssen wir sterben. Wenn wir aber nach dem Tode zur Herrlichkeit des ewigen Lebens eingehen, wenn wir  Den, der uns vom Tode errettet und zum Leben berufen hat, dürfen schauen mit diesen unsren Augen als Den, der des Todes Gewalt und die Schlüssel des ewigen Lebens hat, und Ihn lieben und loben dürfen in Ewigkeit: dann dürfen wir ausrufen: "Sterben ist mein Gewinn!"


(Charles Haddon Spurgeon, 1834-1892)