Montag, 30. November 2015
Zitat von Pastor Johannes Gossner (1773-1858)
Daran erkennt man die Kinder Gottes: sie haben die Liebe Gottes in sich und die lässt sie nicht zittern vor Grab, Tod und Gericht; denn die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus ...
(Johannes Gossner, 1773-1858)
Mittwoch, 25. November 2015
Lauter Gräber ringsum
In tiefen Schmerzen sind uns wohlmeinende Menschen oft eine Hinderung; sie verletzen uns leicht durch die Art und Weise, mit der sie unsren Schmerz zu lindern suchen. Das Leid über einen geliebten Toten ist ein so geheimnisvolles, dass es von anderen selten ganz verstanden werden kann, und viele Worte verträgt es am wenigsten. Dem wunden Herzen ist die Einsamkeit ein wohltuendes Bedürfnis, und wo möchte es lieber verweilen, als an der Stätte, wo die Toten schlafen? Es gibt ein heiliges Recht des Christen, sich hier der Liebe zu den Heimgegangenen lebendig bewusst zu werden, und das Band einer fortdauernden inneren Gemeinschaft mit ihnen aufs neue zu knüpfen, denn das Wort Gottes lehrt uns in geheimnisvoller Weise diese Leiber als heilige Saatkörner anschauen, die einst zu neuem Leben aufzuwachen berufen sind. Darum gehen wir so gerne auf den stillen Friedhof, und sinnen über dem großen Geheimnis der einstigen Auferstehung.
Wir stehen hier stille; wir schauen umher: lauter Gräber ringsum; wir stehen in einer neuen Welt voll Schlafender. Da ruht ein ganzes Geschlecht, das einst in unsren Häusern wohnte, auf unsren Straßen und Gassen wandelte, das mit seinem Leben unsre Stadt, unsre Kirchen und Schulen, unsre Paläste und Hütten erfüllte; da schlafen sie nun, die einst im Leben gearbeitet, gesorgt, geweint und gejauchzt, die gefürchtet, gehofft und wohl auch gebetet haben; jetzt ist der Gang ihres Lebens zum Stillstand gekommen; die unruhigen Wogen des Außenlebens dringen nicht mehr hinab in ihre stille Kammer; Gewinn und Verlust erfreut und betrübt sie nicht mehr. Im Leben waren sie vielfach getrennt, Reiche und Arme, Hohe und Niedere, Herrschende und Dienende; kaum wusste einer von des andern Dasein: der Tod hat sie zusammen gebettet; ihrer aller Gebein, aus Erde geworden, hat schon angefangen, sich zur Erde wieder aufzulösen.
Aber wir bleiben hier bei dem allgemeinen Eindruck stehen. Hier ist eine Stätte, zu der es uns ganz besonders hinzieht; hier ruhest du, mein geliebtestes Kind, du mein Gatte, mein Vater, meine Mutter, mein Bruder, meine Schwester; wie warst du mir so lieb und wert, als dein Auge mich noch anblickte; wie unendlich beglückt fühlte ich mich durch dein Dasein; ach, wie oft habe ich 's an der Liebe zu dir fehlen lassen, und wie viel treuer wollte ich dich lieb haben, wenn du mir noch auf Erden angehörtest; aber ich weiß, du wirst wieder leben, und ich werde ewig mit dir verbunden sein vor dem Angesicht Gottes!
Aber ich gedenke an dieser Stätte nicht bloß der Meinigen; wie mancher ist unter diesen Schlafenden, den ich kannte, den ich liebte, wenn auch keine Bande des Blutes mich mit ihm verbanden! - Sieh, hier schläft eine Mutter; ihre Kinder leben noch, und tragen ihr Bild in dankbarer Erinnerung; da ruhet der Vater, dessen Heimgang die Familie in so tiefe Not stürzte, und wie hat der treue Gott sich der verlassenen Waisen angenommen, und durch des Vaters Segen ihnen das Haus gebaut! - Sieh, da ist eines Kindes Grab; es war das einzige Kind seiner Eltern, und wie unendlich tief war der Schmerz, als sie mit diesem einen das Glück ihres Lebens auf immer begraben wähnten; und doch hat Gott sie zu trösten gewusst, und verlassene Waisen haben diesen Eltern die Leere ihres Herzens ausfüllen müssen, und mit der Stellung ihres Bedürfnisses, Liebe zu spenden, ihnen zugleich den vollen Frieden zurückgegeben. - Und siehe, der hier an dieser Stätte schläft, war ein frommer Dulder; so lange Jahre hat er mit heißen Schmerzen zu ringen gehabt; der Gang seines Lebens war rau und dornenvoll; oft genug hat er um seine Erlösung geflehet, jetzt ist sie erschienen; nun schlafe in Frieden, du stiller Dulder; Gott hat die Dornenkrone von deinem Haupte genommen; du ruhest nun von deiner schweren Arbeit, aber deine Werke werden dir nachfolgen.
Und sieh', hier auf dieser grünen Stätte soll d e i n Grab gegraben werden: wie ist dir 's zumute, wenn du dir dein letztes Bett ansiehst? Zitterst du? Graut 's dich bei dem Gedanken? Dann bist du noch nicht los von der Welt; o, dann lerne noch an einem andren Grabhügel: sieh, über dieser Gruft ist ein herrliches Denkmal aufgerichtet; der Mann, dessen Gebein hier schläft, war reich, sehr reich; er stand in der Blüte seiner Jahre; alle Welt beneidete ihn; aber der Wurm des Todes nagte an seinem Herzen, und einst, mitten in der Lust und Herrlichkeit seines Genusslebens, trat der Tod in sein glänzendes Prunkgemach, und legte den Verzweifelnden auf das Sterbebett; ach, so schwer es dem reichen Manne werden wollte, von diesem Leben zu lassen - er musste fort, und starb den Tod der Verzweiflung!
Meinst du nicht, dass das Sterben ihm leichter geworden wäre, wenn die Dinge der Welt ihn nicht gehalten und an das Leben gebunden hätten? Ach, liebes Herz, lass dir 's die stille Stätte predigen, dein Leben dem Dienst des Herrn zu weihen, damit du einst getrost könntest deine Seele in Gottes Hand zurückgeben in der freudigen Zuversicht, dass der Inhalt deines Erdenlebens unverloren sein werde für die Ewigkeit!
(J. Müllensiefen, 1865)
Freitag, 20. November 2015
Die Nichtigkeit des Äußeren
"Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe." (Joh. 16, 7)
So sprach Jesus zu Seinen Jüngern, obwohl Er wusste, was für heiße Schmerzen Sein Scheiden bei ihnen erwecken würde. Sie konnten aber dieser Schmerzen nicht entbehren; sie bedurften ihrer für ihren inwendigen Menschen.
Wenn Gott ein teures, geliebtes Leben von unsrem Herzen losreißt, so kann es, so darf es kaum bei uns Zurückbleibenden ohne Schmerzen abgehen. Diese Schmerzen haben eine Mission von oben auszurichten; Gott bedient sich ihrer zu Seinem Werke an unsrer Seele.
Und es ist in der Tat ein ganz eigentümlicher Schmerz, den wir bei solchem Scheiden empfinden, der ein Weh mit sich führt, wie es keinem andren Schmerz eigen ist. Schon die Weise, in der dies Leid zu uns einkehrt, ist eine ganz besondere, in ihrer Art einzige. Dem Tod ging die tödliche Krankheit voran. Wir erkannten sie nicht gleich in ihrer ganzen Bedeutung; wir hofften, ihre Macht durch die größere Macht unsrer pflegenden Liebe brechen zu können. Aber als sie nun immer unzweideutiger auftrat, als wir dem ersten Gedanken in unsrem Inneren begegneten: "Wie, wenn er stürbe?" und wir es noch nicht wagten, diesen Gedanken auszudenken; als dann die sicheren Vorboten des Todes kamen, und wir anfingen, mit Gott um ein geliebtes Leben zu ringen: o wie bange, wie schmerzvoll war in jenen Stunden des Hoffens und Zitterns unsre Seele bewegt und in ihren tiefsten Tiefen aufgewühlt; und als nun der Tod seine kalte Hand auf das liebliche Angesicht gelegt, diese Augen geschlossen, diesen Mund hatte verstummen lassen; als man dann der bleichen Hülle das weiße Totenkleid anzog und sie in den engen Sarg legte; als wir dann das letzte Ruhelager mit Blumen schmückten, und endlich die teure Hülle in die dunkle Gruft hinabsenkten, immer ward der Schmerz in neue Weisen gewandelt; und als wir dann heimkehrten in das öde und verlassene Haus, und den lieben Toten an allen Stätten, wo er zu weilen und zu walten pflegte, vergeblich aufsuchten, da kam uns das ganz eigentümliche Weh dieses Schmerzes erst zum vollen Bewusstsein: es war das Gefühl einer unaussprechlichen Verlassenheit, die uns überkam; es war ein Durchschauen in die Armut und Nichtigkeit dieser Welt, als wäre eine Decke von ihr abgezogen worden, die uns bisher ihr eigentliches Wesen verhüllt hatte. Jetzt war der Zauber zerstört, in welchem sie oft vor uns geleuchtet hatte; es standen die Dinge in ihrer nackten, furchtbaren Blöße vor uns. Was war es um alle diese gerühmten Freuden und Zerstreuungen, nach denen wir uns so oft gesehnt hatten; um den Glanz der Gesellschaften, um das Glück der Bewunderung, die ein schönes Kleid erweckt; was war 's um menschliche Ehre, um den Besitz eines Vermögens, um einen Titel oder um einen Orden?
O, wie schämten wir uns bei dem Gedanken, dass diese Dinge uns jemals hatten reizen und locken können! Und während wir bei jedem sonstigen Verlust nur den Wert des einen verlorenen Gegenstandes in Anschlag zu bringen pflegen, so hatte der Tod, der uns das teuerste Leben vom Herzen gerissen, für uns zugleich die Lust und Herrlichkeit der ganzen Welt mit zertrümmert, so dass wir uns in EINEM Augenblick aller Güter zugleich beraubt dünkten, wie Adam, dem die Eine Sünde das Paradies seines ganzen Lebens gegen die Wüste des fluchbeladenen Ackers umtauschte!
Adam hatte es v e r d i e n t, dass Gott ihm sein Paradies zerschlug, und ihn in eine Welt hinausstieß, wo die Dornen und Disteln ihm zuwuchsen, wo Not und Mühsal aller Art sein Erbteil wurden: hatten wir es minder verdient, wenn an dem Sterbebett eines geliebten Menschen ein ähnliches Gericht Gottes über uns kam, das uns die Blöße unsres Herzens, das Elend unsrer Sünde zeigen wollte?
O, die meisten Menschen, wenn sie sich in solcher Lage befinden, wagen es gar nicht, diesem Gedanken, wenn er an sie herantritt, ins Auge zu sehen; sie weichen ihm aus; sie wollen das überwältigende Gefühl der Armut und Nichtigkeit der Welt nicht Raum gewinnen lassen in ihrem Innern; sie versuchen es auf alle Weise, die vor ihrem Geistesblicke enthüllte Welt wieder mit ihrem früheren Zauber zu umkleiden, an ihrer Lust, an ihrem eitlen Wesen wieder Gefallen zu finden, und darum kommen sie nie zum wahren Frieden, weil sie nicht den Mut haben, den ihnen beschiedenen Kelch der Schmerzen bis auf seine Hefen auszuleeren, und den bitteren Trank das Werk ihrer völligen Genesung vollbringen zu lassen.
Erst unter dem Kreuz Christi haben die Jünger die ganze Tiefe ihrer Sünde erfahren und mit dem Meister sterben gelernt; und wenn bei uns der heiße Schmerz einer Trennungsstunde je geheiligt und verklärt, wenn das heimliche Zittern und Bangen, das die Seele an einem Sterbebett überfällt, jemals gründlich überwunden werden soll; wenn die bängsten Stunden im Leben im Stande sein sollen, ein neues, geheiligtes Freudenleben in uns zu zeugen, dann müssen sie in dem Menschen diesen Entschluss zur Reife, zur völligsten Entscheidung bringen, von jetzt an mit der eitlen Lust der Welt, mit der Sünde des Herzens auf immer zu brechen; von nun an mit ganzem, ungeteilten Gemüt in den Dienst Gottes einzutreten, damit der Geist Gottes Raum gewinne, ein Neues zu schaffen, und über alles Bitten und Verstehen hinaus das Wort Seiner Verheißung erfüllt sehen zu lassen:
"Den Abend lang währet das Weinen, und des Morgens die Freude." (Psalm 30, 6)
(Prediger J. Müllensiefen, 1865)
Freitag, 6. November 2015
Zugvögel
"Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir." (Hebräer 13, 14)
Es sind zwei Wahrheiten, die uns dies Wort ausspricht; sie hängen innig zusammen, wie Ursache und Wirkung: weil wir hier keine bleibende Stadt haben, so suchen wir die zukünftige. Wenn wir hätten, was wir bedürfen, wir brauchten es nicht zu suchen; wenn Gott uns hier unten die Heimat gegeben hätte, da unsres ewigen Bleibens wäre, wir brauchten nach der zukünftigen nicht auszuschauen. Nun aber wird das Herz, das hier unten sich fremd fühlt, nach oben hingewiesen. Viele Menschen nehmen einen Anstoß daran, dass das Wort Gottes immer den Finger nach einer jenseitigen Welt ausstreckt; sie fühlen sich dadurch aus ihrer trägen Ruhe und Sicherheit aufgeschreckt, denn sie bemühen sich, hier unten Hütten zu bauen, und mit Sinnenlust und irdischen Gütern den unter ihren Füßen sich weitenden Abgrund zuzudecken. Aber die Wirklichkeit wird nicht aufgehoben, wenn man das Auge vor ihr verschließt, und früh genug müssen es die Getäuschten inne werden, dass alles Gut und alle Herrlichkeit, an die sie sich so krampfhaft anklammerten, unter ihren Händen zerrinnt, und dass auch des längsten Tages Sonne einmal zur Neige geht. Der Tod, der furchtbare Würger, der die Menschen wie eine Schlachtherde vor sich hertreibt, und aus Hütten wie aus Palästen unerbittlich seine Opfer fordert, er wird früher oder später auch ihnen seine Vorboten senden, die Krankheit oder das Alter, oder er wird umangesagt mitten in die Blüte, mitten in die Lust ihres Lebens eintreten, und der kurzen Täuschung ein furchtbares Ende machen. O, wer könnte doch wohl zu denen gehören wollen, deren ganze Lebenskunst darin besteht, sich das Sterben auszureden, und einer Welt fremd zu bleiben, die doch bestimmt ist, unsere ewige Heimat zu werden? Die menschliche Klugheit lehrt ja selbst die Kinder dieser Welt, in den Jahren der frischen Kraft sich etwas zu erarbeiten, damit sie im Alter, wenn die Gebrechlichkeit des Leibes die Quellen des Erwerbes versiegen macht, nicht darben dürfen: sollten wir nicht dieselbe Klugheit an den Tag leben, und in der Arbeitszeit dieses kurzen Erdenlebens uns Schätze erwerben, die ausreichen, um uns in der jenseitigen Welt vor ewigem Darben zu schützen?
Und sollte es bloß die Not sein, die uns treibt, für eine himmlische Welt uns zuzubereiten; sollten nicht Liebe und Sehnsucht uns dringen, mit geschärften Sinnen des Geistes nach ihr auszuschauen? Liegt nicht in unser aller Seele ein unaussprechlich tiefes Sehnen nach Licht und Freiheit, nach gelösten Schwingen des Geistes, nach vollkommener Seligkeit? Wenn im Spätsommer die ersten kühlen Winde über die Stoppelfelder hinstreifen, und den nahenden Herbst und Winter ankündigen, dann ziehen die Zugvögel nach dem warmen Süden, und entfliehen so den Winterstürmen, denen sie würden erliegen müssen; aber ob schon endlose Räume sie von der neuen, schönen Heimat trennen, sie erliegen doch nicht den Mühen der langen Reise, noch irren sie auf der ungebahnten Straße, denn Gott hat ihre Schwingen stark gemacht, die sie über die Länder dahintragen, und hat ihr Auge geschärft, dass es durch die Lüfte und über die Meere und Wüsten hinweg sie sicher weise zum erstrebten Ziele: sollten wir nicht von ihnen lernen können, und an ihnen Mut fassen, die Schwingen des Geistes auszuspannen, und die Heimat zu suchen, die jenseits der Gräber liegt? Ist es doch der Geist Gottes, der im Herzen die Sehnsucht erweckte nach der himmlischen Gottes-Stadt, und Er sollte ein Bedürfnis nicht zu stillen wissen, das Er der Menschenseele anerschuf?
Darum sollten wir getrost sein, wenn es uns in dieser Erdenwüste bange werden will, wenn Kummer und Sorgen unser Lager umstehen, wenn Tränen und Schmerzen den Blick umdunkeln; das Herz sei empor, das Auge sei himmelwärts gerichtet; wir haben hier keine bleibende Stadt, aber wir eilen der zukünftigen himmlischen entgegen, und Er, der Seinem Volke in der Wüste die Wege bahnte, Er wird auch uns sicher leiten, und Wege finden, da unser Fuß gehen kann.
(Prediger Müllensiefen, 1865)
Donnerstag, 5. November 2015
Wir werden Gewinner sein
"Sterben ist mein Gewinn." (Phil. 1, 21)
Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. Wie bedeutungsvoll folgen hier diese Worte unmittelbar aufeinander: "Leben", "Sterben". Nur drei Buchstaben stehen dazwischen, und wie es in den Worten ist, so ist 's auch in der Wirklichkeit. Wie nah sind Leben und Tod beisammen! Das Leben ist des Todes Vorhof; und unsre Pilgrimschaft auf Erden ist nur eine Reise zum Grab. Der Puls, der unser Dasein fristet, schlägt nur unsren Todesmarsch, und das Blut, das unser Leben erhält, schwemmt es den Tiefen des Todes zu. Heute sehen wir unsre Freunde in der Blüte der Kraft; morgen vernehmen wir die Nachricht ihres Todes. Gestern boten wir dem Starken noch die Hand, und heute drücken wir ihm die Augen zu. Mancher fährt im glänzenden und wohlgepolsterten Staatswagen durch die Straßen, und nach wenigen Stunden bringt ihn die schwarze Leichenbahre zur letzten Ruhestätte aller Lebendigen. O, wie eng ist der Tod mit dem Leben verknüpft! Das Lamm, das jetzt noch auf der Wiese hüpft, wird bald unter dem Messer verbluten. Der Ochse, der auf den Fluren weidet, wird fett für die Schlachtbank. Bäume wachsen, dass man sie fällen möge. Ja, und an noch größere Dinge tritt der Tod heran. Weltreiche entstehen und blühen, sie blühen dem Verfall entgegen, sie erheben sich zum Sturz. Wie oft schlagen wir das Buch der Geschichte auf und lesen vom Werden und Vergehen der Staaten. Wir hören von der Krönung und dem Tode der Könige. Der Tod ist der schwarze Diener, der hinter dem Wagen des Lebens her reitet. Siehe das Leben! Und der Tod dicht hinter ihn!
Aber, Gott sei Lob und Dank! Es gibt noch einen Ort, wo der Tod nicht des Lebens Bruder ist, wo das Leben alleine herrscht; wo dem Wörtlein "Leben" keine Silbe "Tod" mehr nachfolgt. Es gibt ein Land, wo kein Todesröcheln mehr ist, wo kein Trauerschleier mehr gewoben wird, wo keine Gräber mehr geschmückt werden. O seliges Land über den Wolken! Wenn wir dich erreichen wollen, müssen wir sterben. Wenn wir aber nach dem Tode zur Herrlichkeit des ewigen Lebens eingehen, wenn wir Den, der uns vom Tode errettet und zum Leben berufen hat, dürfen schauen mit diesen unsren Augen als Den, der des Todes Gewalt und die Schlüssel des ewigen Lebens hat, und Ihn lieben und loben dürfen in Ewigkeit: dann dürfen wir ausrufen: "Sterben ist mein Gewinn!"
(Charles Haddon Spurgeon, 1834-1892)
Dienstag, 3. November 2015
Das ist schwer, sehr schwer
"Wer nicht absagt ALLEM, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein."
(Lukas 14, 33)
Das ist sehr schwer, im innersten Herzen von den Dingen los zu sein; von dem Besitz, von der Ehre vor der Welt, los sein von den Menschen; an keinen Menschen sein Herz hängen, nicht einmal an Weib und Kind; sie wie geliehene Kleinodien auf dem Herzen tragen, und sie willig von diesem Herzen wieder losreißen, wenn der Herr sein Eigentum zurückfordert ...
(Prediger J. Müllensiefen, 1865)
Montag, 2. November 2015
Weine über dich
"Weinet nicht über die Toten, und grämet euch nicht darum." (Jer. 22,10)
Wer ist mehr zu beweinen? Die noch im gefahrvollen Meer fahren und von den Stürmen und Wellen herumgeworfen werden, oder die, welche schon in dem Hafen der ewigen Ruhe glücklich angekommen sind und das bessere Land erreicht haben?
Die Toten, die im Herrn starben, sind zu beneiden, nicht zu beweinen, denn sie haben erreicht und erlangt, was wir noch mit Gefahr erwarten. Darum ist der Christ gern auf Gottesäckern, die mit Recht diesen schönen Namen tragen, weil da der Same der sterblichen Leiber ausgestreut liegt, dass er ersterbe und dann auferstehe, mit verjüngter Schönheit und Unsterblichkeit. Die Stille, in der die entschlafenen Brüder liegen, hebt das Gemüt hinüber über Grab und Zeit, in die selige, stille Ewigkeit, wo aller Krieg der Leidenschaften, wo alle Unruhe, die den Frieden Gottes stören könnte, ein Ende hat. Geh doch, Lieber, an keinem Gottesacker vorbei, ohne deine entschlafenen Brüder zu besuchen, ohne dich bei ihren Schlafkammern den Gedanken, die sich dir ja von selbst aufdringen werden, zu überlassen. Weine da, aber ja nicht über sie, sondern wenn 's dir weinerlich ist, weine über dich und deine noch pilgernden Brüder. Den selig Heimgegangenen aber schaue mit Sehnsucht nach. Strecke deine Hände aus nach dem Unsichtbaren und ergreife das ewige Leben, das über dem Grabe liegt, und fasse davon in dein Herz auf, so viel du davon hier fassen und aufnehmen kannst. Man sieht Morgendämmerung und spürt Frühlingsluft auf den Gräbern: und das soll sehr gesund sein ..."
(Johannes Goßner, 1773-1858)
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