Sonntag, 12. Oktober 2025

Ich hab von ferne ...

 


Ich hab von ferne,

Herr, deinen Thron erblickt

und hätte gerne

mein Herz vorausgeschickt,

und hätte gern mein müdes Leben

Schöpfer der Geister, dir hingegeben.


Das war so prächtig,

was ich im Geist gesehn;

du bist allmächtig,

drum ist dein Licht so schön.

Könnt' ich an diesen hellen Thronen

doch schon von heute an ewig wohnen!


Nur ich bin sündig,

der Erde noch geneigt;

das hat mir bündig

dein heilger Geist gezeigt.

Ich bin noch nicht genug gereinigt,

noch nicht ganz innig mit dir vereinigt.


Doch bin ich fröhlich,

dass mich kein Bann erschreckt;

ich bin schon selig,

seitdem ich das entdeckt.

Ich will mich noch im Leiden üben

und dich zeitlebens inbrünstig lieben.


Ich bin zufrieden,

dass ich die Stadt gesehn,

und ohn' Ermüden

will ich ihr näher gehn,

und ihre hellen goldnen Gassen

lebenslang nicht aus den Augen lassen.



(c) Johann Timotheus Hermes (1738-1821)


Freitag, 10. Oktober 2025

Wenn das Licht erlischt


 

Wenn das Licht erlischt so plötzlich, unerwartet,

das eben noch im Raume freundlich um uns schien,

stehn wir erblindet da, erschüttert, tief umnachtet,

und fühlen keine Hand, die führet uns dorthin,

wo noch ein lichter Strahl die Dunkelheit durchdringt

und den erstarrten Sinnen neues Leben bringt.


Ich meine jenes Licht, das Licht der lieben Augen,

das unsres Lebens Glück, das unsre Sonne war;

wir stehn gebeugt am Grab, kein Trostwort will uns taugen,

und wissen unsre Welt nun aller Hoffnung bar.

Der Glaube ist 's allein, der Gottes Liebe sieht,

auch dann, wenn er der Allmacht Walten nicht versteht.


Wenn das Licht erlischt, das selbst wir sind auf Erden,

ob noch so klein, ja dennoch Licht und Geist von Gott,

dann wird vom Bann befreit das dunkle Auge werden,

der Seele Seligkeit besiegt des Leibes Tod;

das Licht, das nie erlischt, erweckt die toten Lider;

verklärt in ew'gem Glanz, sehn wir die Toten wieder.



(c) August von Nordheim (1813-1884)

Donnerstag, 9. Oktober 2025

Die Sonne ist gesunken


 

Ihr Trauernden, lernt zu sagen: "Ich will den Kelch des Herrn trinken." 

Auch euch ist die Sonne gesunken, nicht die Sonne des irdischen Lebens wie dem Entschlafenen, aber die Sonne alles Glückes an diesem Sarge, und dunkle Nacht des Schmerzes hüllt eure Zukunft ein. Aber schauet: neue Sterne werden euch aufgehen, Sterne der Verheißung, des Glaubens und seliger Hoffnung. Einer unserer größten Dichter, Johann Gottfried Herder, sagt: 

"Es ist ein wohltätiger Schleier, der diese und jene Welt absondert, und nicht ohne Ursache ist 's so still und so stumm um das Grab der Toten. Wahrscheinlich würden wir uns selbst verachten, wenn wir die edleren Wesen kennten. Der Mensch soll in seinen künftigen Zustand nicht hineinschauen, sondern sich hineinglauben." 

Der aber, welcher größer ist als alle, die von der Erde sind, und der allein dem Tode die Macht genommen und unvergängliches Leben ans Licht gebracht hat; der da spricht: "Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.", der spricht zu euch, ihr Trauernden:

"Kommt her, ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch erquicken ... Bei mir sollt ihr Ruhe finden für eure Seelen."

Amen.



(c) Eugen Borgius (1883-1908)


Mittwoch, 8. Oktober 2025

Bleib mir treu

 


Schau hinauf, schau hinauf, vielleicht kannst du mich ja sehn,

vielleicht kannst du mich erkennen in den ewiglichen Höhn,

ob ich aus der Sonne strahle

oder Sternenbilder male ---

schau hinauf, schauf hinauf in die Höhn.


Ich bin da, wenn du willst, es liegt ganz in deiner Hand,

lass mich leben in Gedanken, lad' mich ins geträumte Land,

schmück' im Herzen mir ein Zimmer,

dann verlasse ich dich nimmer,

ich bin da, lad' mich ins Seelenland.


Ach, so sei nicht betrübt, deine Tränen tun mir weh.

Ich käm' gern zu dir geflogen, wenn ich dich so weinen seh'.

Bist du traurig, sollst du lachen

und was Irrwitziges machen,

dass ich nicht so betrübt dich mehr seh'.


Geh zum Grab hin und pflanz' dort den Rosenstrauch für mich,

den im Leben ich so liebte, und dann tröste er auch dich,

lass ihn seinen Duft versprühen,

lass ihn wachsen, lass ihn blühen,

geh zum Grab und pflanz' Rosen für mich.


Und gehst du dann nach Haus, und das Haus erscheint dir leer,

ei, so koch dir einen Tee und hol die Fotoalben her,

sieh, dort lach' ich dir entgegen

von den alten Lebenswegen,

und schon scheint dieses Haus nicht mehr leer.


Bleib mir treu, du mein Lieb', und vergiss mich nie und nicht,

und verliebst du dich einst wieder in ein andres Angesicht,

so bewahr' auch mich im Herzen

zwischen all den hellen Kerzen,

bleib mir treu und vergiss mich nur nicht ....



(c) Bettina Lichtner

Wie das Abendrot


 

Ich möchte hingehn wie das Abendrot

und wie der Tag in seinen letzten Gluten ---

o leichter, sanfter, ungefühlter Tod ! ---

mich in den Schoß des Ewigen verbluten.


Ich möchte hingehn wie der heitre Stern,

im vollsten Glanz, in ungeschwächtem Blinken;

so stille und so schmerzlos möchte gern

ich in des Himmels blaue Tiefen sinken.


Ich möchte hingehn wie der Blume Duft,

der freudig sich dem schönen Kelch entringet

und auf dem Fittich blütenschwangrer Luft

als Weihrauch auf des Herren Altar schwinget.


Ich möchte hingehn wie der Tau im Tal,

wenn durstig ihm des Morgens Feuer winken;

o wollte Gott, wie ihn der Sonnenstrahl,

auch meine lebensmüde Seele trinken.


Ich möchte hingehn wie der bange Ton,

der aus den Saiten einer Harfe dringet,

und, kaum dem irdischen Metall entflohn,

ein Wohllaut in des Schöpfers Brust erklinget.


Du wirst nicht hingehn wie das Abendrot,

du wirst nicht stille wie der Stern versinken,

du stirbst nicht einer Blume leichten Tod,

kein Morgenstrahl wird deine Seele trinken.


Wohl wirst du hingehn, hingehn ohne Spur,

doch wird das Elend deine Kraft erst schwächen,

sanft stirbt es einzig sich in der Natur,

das arme Menschenherz muss stückweis brechen.



(c) Georg Herwegh (1817-1875)

Dienstag, 7. Oktober 2025

Nur zu schade ...

 



Auf dem Grabe steht ein Maulwurfsvertreiber,

und er surrt den ganzen Tag, und er surrt die ganze Nacht,

doch der Maulwurf indes besucht die Leiber,

die der Tod ihm in die Unterwelt gebracht.


Und er nennt sie allesamten seine Freunde,

ist mit einigen per Sie, und mit anderen per Du.

Und in dieser unterirdischen Gemeinde

pfeift ein jeder auf die süße Friedhofsruh.


Und man trifft sich gern zum Tanze der Skelette,

und der Maulwurf macht Musik, dass die ganze Erde bebt.

Alle kommen sie dann aus dem Eichholz-Bette,

manche haben es schon hundertmal erlebt.


Ihre knöcherigen Hände eng umschlungen,

eins, zwei, drei im Walzertakt, und ein Tango obendrauf.

Und wie haben sie aus leichter Brust gesungen,

ihre Fröhlichkeit, die hörte nimmer auf.


"Tod, ach Tod, du hast uns lebenslang verschwiegen,

dass dein Reich so lustig ist, und die Freude ewig währt.

Auferstanden! Wer 's nicht mag, der bleibe liegen!

Nur zu schade, dass man 's oben nie erfährt."



(c) Bettina Lichtner