Dienstag, 11. November 2025

ein und derselbe


 

Darin besteht das Wesen der Tugend,

dass du in Freuden und Leiden

ein und derselbe Mensch bist.



(c) Thomas A. Kempis (1380-1471)

Montag, 10. November 2025

Das Lied des Lebens


 

Flüchtiger als Wind und Welle

flieht die Zeit, was hält sie auf?

Sie genießen auf der Stelle,

sie ergreifen schnell im Lauf:

Das, ihr Brüder, hält ihr Schweben,

hält die Flucht der Tage ein,

schneller Gang ist unser Leben,

lasst uns Rosen auf ihn streu'n!


Rosen, denn die Tage sinken

in des Winters Nebelmeer;

Rosen, denn sie blüh'n und blinken

links und rechts noch um uns her.

Rosen steh'n auf jedem Zweige

jeder schönen Jugendtat.

Wohl ihm, der bis auf die Neige

rein gelebt sein Leben hat.


Tage, werdet uns zum Kranze,

der des Greises Schlaf umzieht

und um sie in frischem Glanze

wie ein Traum der Jugend blüht.

Auch die dunkeln Blumen kühlen

uns mit Ruhe, doppelt süß;

und die lauen Lüfte spielen

freundlich uns ins Paradies.



(c) Johann Gottfried Herder (1744-1803)

Die Zeit ist hin


 

Die Zeit ist hin, du löst dich unbewusst

und leise mehr und mehr von meiner Brust;

ich suche dich mit sanftem Druck zu fassen,

doch fühl' ich wohl, ich muss dich gehen lassen.

Hier steh' ich nun und schaue bang zurück;

vorüber rinnt auch dieser Augenblick,

und wieviel Stunden dir und mir gegeben,

wir werden keine mehr zusammen leben.



(c) Theodor Storm (1817-1888)

Sonntag, 9. November 2025

Die Kapelle


 

Droben stehet die Kapelle,

schauet still ins Tal hinab,

drunten singt bei Wies' und Quelle

froh und hell der Hirtenknab'.


Traurig tönt das Glöcklein nieder,

schauerlich der Leichenchor;

stille sind die frohen Lieder,

und der Knabe lauscht empor.


Droben bringt man sie zu Grabe,

die sich freuten in dem Tal.

Hirtenknabe, Hirtenknabe,

dir auch singt man dort einmal.



(c) Ludwig Uhland (1787-1862)

Über deinem Grabe ...

 




Blüten schweben über deinem Grabe.
Schnell umarmte dich der Tod, o Knabe.
Den wir alle liebten, die dich kannten,
dessen Augen wie zwei Sonnen brannten,
dessen Blicke Seelen unterjochten,
dessen Pulse stark und feurig pochten,
dessen Worte schon die Herzen lenkten,
den wir weinend gestern hier versenkten.

Maiennacht. Der Sterne mildes Schweigen .....
Dort! Ich seh' es aus der Erde steigen!
Unterm Rasen quillt hervor es leise,
Flatterflammen drehen sich im Kreise,
ungelebtes Leben zuckt und lodert
aus der Körperkraft, die hier vermodert,
abgemähter Jugend letztes Walten
letzte Glut verraucht in Wunschgestalten.

Kränze, wenn du lebtest, dir beschieden ...

Knabe, schlaf' in Frieden!


(c) Konrad Ferdinand Meyer (1825-1898)

In jeder Stunde ...


 


Ein Engel ist ohne Namen.

Aber in jeder Stunde kann es sein,

dass er deinen Namen trägt.



(c) Albrecht Goes (1908-2000)