Mittwoch, 31. August 2022

Die Linien des Lebens ...


 


Die Linien des Lebens sind verschieden,

wie Wege sind und wie der Berge Grenzen.

Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen

mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.


© Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Dienstag, 30. August 2022

Ich weine euch nach ...

 



Meine Seele nur erfüllet

tiefer namenloser Schmerz,

und der Liebe Trostwort stillet

nicht mehr mein tief bewegtes Herz.


Einsam hier zurück geblieben,

wein' ich den Verlor'nen nach.

Euch, Ihr Teuren, werd' ich lieben,

bis verstummt mein letztes Ach ...


Bis mich dort auf besserm Sterne

meiner Kinder Blick begrüßt.

Keine Trennung nah und ferne,

nur der Wonne Zähre fließt.


Bis mit zartem Engelflügel

sie geschmückt mein Auge sieht,

Blicke sich in Blicke spiegeln,

flüsternd tönt der Harfe Lied.


Wann erscheinst du, heil'ge Stunde?

Bleib, ach bleib nicht gar zu fern!

Zu der Tugend schönem Bunde

glänzet dann der Liebe Stern.



© Dieses lyrische Werk entstammte der Feder eines anonymen Verfassers, der über den Tod seiner Kinder klagte, welche am 3. Januar und am 10. Februar 1835 ins Himmelreich eingingen. Das handschriftliche Original befindet sich in meinem wohlbehüteten, persönlichen Besitz.

Höhere Räume


 

Die Blumen sehnen sich nach Tau

und die Saaten nach Regen;

mit Sehnsucht drängt die Erdenau

sich dem Himmel entgegen.

Die Sehnsucht nach dem Himmelslicht

treibt in die Höh' die Bäume;

dem Christen genügt die Erde nicht,

sein Herz sucht höhere Räume.


© Friedrich Rückert (1788-1866)


Auf dieser schönen Brücke


 

Lass nur die Wetter wogen!

Wohl übers dunkle Land

zieht einen Regenbogen

barmherzig Gottes Hand.

Auf dieser schönen Brücke,

wenn alles wüst und bleich,

gehn über Not und Glücke

wir in das Himmelreich.


© Joseph von Eichendorff (1788-1857)



Montag, 29. August 2022

Der Feind


 

Einen kenne ich,

wir lieben ihn nicht.

Einen nenne ich,

der die Schwerter zerbricht.

Weh! Sein Haupt steht in der Mitternacht,

sein Fuß in dem Staub,

vor ihm weht das Laub

zur dunklen Erde hernieder.

Ohne Erbarmen

in den Armen

trägt er die kindlich taumelnde Welt;

Tod, so heißt er,

und die Geister

beben vor ihm, dem schrecklichen Held.


© Clemens Brentano (1778-1842)


Furchtlos

 




Den Tod fürchten die am wenigsten,

deren Leben den meisten Wert hat.


© Immanuel Kant (1724-1804)

Mittwoch, 24. August 2022

Im Tod ist das Leben

 



Sieh'! Welche lachenden, lieblichen Räume!

Grünender Rasen, blühende Bäume;

jegliches Grab ein Blumenbeet.

Unten die modernden Totengrüfte,

oben die schmeichelnden Frühlingslüfte,

von dem Dufte der Rosen durchweht.


Dürfte man wohl die Verwesung schmücken,

dürfte von Gräbern man Blumen pflücken,

wenn in dem Tode nur wäre der Tod?

Aber weil in dem Tod ist das Leben,

dürfen aus Gräbern sich Blumen erheben,

wie aus Nächten das Morgenrot.



© Franz Theremin (1780-1846)

Montag, 8. August 2022

Verklungene Wonne


 

Müder Glanz der Sonne!

Blasses Himmelsblau!

Von verklung'ner Wonne

träumet still die Au.


An der letzten Rose

löset lebenssatt

sich das letzte, lose

bleiche Blumenblatt.


Goldenes Entfärben

schleicht sich durch den Hain;

auch Vergehn und Sterben

deucht mir süß zu sein.



© Karl Gerok (1815-1890)

Montag, 1. August 2022

Lebensdevise

 



Wenn der Herrgott eines Tages sagt: "Komm zu mir", dann bleibt einem nur das, was man im Leben verschenkt hat.


© Robert Stolz (1880-1975)