Samstag, 27. Juli 2019

Die Augen



Es sind die Lebenden,
die den Toten die Augen schließen.
Es sind die Toten,
die den Lebenden die Augen öffnen.


(Slawisches Sprichwort)

Donnerstag, 18. Juli 2019

Sonnenflirren



Da ruhst du also nun im Frieden.
Dein Frieden braucht nicht weiße Tauben.
Wie ist doch Frieden so verschieden.
Den ewigen möcht' ich dir rauben,
weil doch der irdische so flüchtig,
so schwer in Raum und Zeit zu halten,
so vogelfederleichtgewichtig,
nur mit Verträgen zu gestalten.

Ich neide dir die letzte Bleibe.
Mein Hemd füllt weiter seine Taschen.
Die Stunde wirbelt ihre Stäube,
sich Gunst zur Freude zu erhaschen.
Dein Herz aus Regenbogenfarben
lacht über schwarze Malereien
und möchte seine bunten Garben
mit allem Weltengrau vertäuen.

Die Ruhe streichelt zart die Wipfel.
Vorm Grabe bleibt von meinen Plänen
ja weiter nichts als nur ein Tüpfel.
Die Zeit umklammert seidne Strähnen;
sie spürt den kalten Hauch im Nacken.
Der Nachbar zupft die welken Rosen
und reißt mit spitzen Harkenzacken
mich aus Gedankensymbiosen.

Dem Ende liegt ein Zauber inne,
ein Duft von Honigtau und Liebe,
ein Tanz der losgelösten Sinne,
als ob es ewig Sommer bliebe
mit nimmermüdem Sonnenflirren
und daunenweichen Blumenbetten,
wo Sternenfalter lieblich schwirren ....
O, süße zukünftige Stätten!



(c) Bettina Lichtner

Samstag, 13. Juli 2019

Ich muss sterben und weiß nicht wann


Ach lieber Gott und Herr, ich lebe und weiß nicht wie lange. Ich muss sterben und weiß nicht wann. Du, mein himmlischer Vater, weißt es. Wohlan, soll dieser Tag (oder diese Nacht und Stunde) die letzte meines Lebens sein, Herr, so geschehe dein Wille, der ja allezeit und allewege der beste ist. Nach demselben deinem heiligen Willen lass mich allezeit bereit sein, in wahrem Glauben an meinen Erlöser Jesum Christum zu leben und zu sterben. Allein, mein frommer Gott, gewähre mir diese Bitte, dass ich nicht plötzlich in meinen Sünden sterben und verderben möge. Stelle sie mir in diesem Leben zu meiner Bekehrung unter die Augen, damit sie mir nicht am jüngsten Tage zu meiner Verdammnis vorgestellt und zugerechnet werden mögen. Verleih mir, dass ich noch in der Gnadenzeit meine mannigfaltigen schweren Sünden erkenne, bekenne, sie von Herzen bereue, einen festen Vorsatz fasse, mein Leben zu bessern, und auch Vergebung derselben von dir erlange. Alsdann, mein Gott, geschehe dein heiliger Wille; lass mich sterben, wann es dir gefällt, nur gib mir ein sanftes und vernünftiges Ende. Barmherziger Gott und Vater, der du bei deinem Leben geschworen hast, du wollest nicht den Tod des Gottlosen, sondern dass er sich von seinem bösen Wesen bekehre und lebe, Gott Sohn, der Welt Heiland, der du alle, die an dich glauben, bei deiner Wahrheit versichert hast, was sie den Vater in deinem Namen bitten werden, das wolle er ihnen geben, Gott heiliger Geist, der du unserer Schwachheit aufhilfst und wenn wir nicht wissen, was und wie wir erhörlich beten sollen, uns mit unaussprechlichem Seufzen vertrittst, erbarme dich über mich armen Sünder und lass diese meine Bitte Ja, Amen und erhört sein. In deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöst, du getreuer Gott. Amen.


(c) Gebet um tägliche Bereitschaft zum Sterben aus dem Jahre 1894

Freitag, 12. Juli 2019

Ach wie flüchtig ...


Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
ist des Menschen Leben!
Wie ein Nebel bald entstehet
und auch wieder bald vergehet,
so ist unser Leben, sehet !

Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
sind der Menschen Tage!
Wie ein Strom beginnt zu rinnen
und mit Laufen nicht hält innen,
so fährt unsre Zeit von hinnen.

Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
ist der Menschen Freude!
Wie sich wechseln Stund und Zeiten,
Licht und Dunkel, Fried und Streiten,
so sind unsre Fröhlichkeiten.

Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
ist der Menschen Schöne!
Wie ein Blümlein bald vergehet,
wenn ein raues Lüftlein wehet,
so ist unsre Schöne, sehet!

Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
ist der Menschen Glücke!
Wie sich eine Kugel drehet,
die bald da, bald dorten stehet,
so ist unser Glücke, sehet!

Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
ist der Menschen Ehre!
Über den, dem man hat müssen
heut die Hände höflich küssen,
geht man morgen gar mit Füßen.

Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
ist der Menschen Wissen!
Der das Wort könnt prächtig führen
und vernünftig diskutieren,
muss bald allen Witz verlieren.

Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
ist der Menschen Dichten!
Der, so Kunst hat lieb gewonnen
und manch schönes Werk ersonnen,
ist dem Tode nicht entronnen.

Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
ist der Menschen Prangen!
Der in Purpur hoch vermessen
ist als wie ein Gott gesessen,
dessen wird im Tod vergessen.

Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
ist des Menschen Herrschen!
Der durch Macht ist hoch gestiegen,
muss zuletzt aus Unvermögen
in dem Grab erniedrigt liegen.

Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
sind der Menschen Schätze!
Es kann Glut und Flut entstehen,
dadurch, eh wir uns versehen,
alles muss zu Trümmern gehen.

Ach wie nichtig, ach wie flüchtig
sind der Menschen Sachen!
Alles, alles, was wir sehen,
das muss fallen und vergehen;
wer Gott fürcht', wird ewig stehen.


(c) Michael Franck, 1609-1667