Montag, 30. November 2015
Zitat von Pastor Johannes Gossner (1773-1858)
Daran erkennt man die Kinder Gottes: sie haben die Liebe Gottes in sich und die lässt sie nicht zittern vor Grab, Tod und Gericht; denn die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus ...
(Johannes Gossner, 1773-1858)
Mittwoch, 25. November 2015
Lauter Gräber ringsum
In tiefen Schmerzen sind uns wohlmeinende Menschen oft eine Hinderung; sie verletzen uns leicht durch die Art und Weise, mit der sie unsren Schmerz zu lindern suchen. Das Leid über einen geliebten Toten ist ein so geheimnisvolles, dass es von anderen selten ganz verstanden werden kann, und viele Worte verträgt es am wenigsten. Dem wunden Herzen ist die Einsamkeit ein wohltuendes Bedürfnis, und wo möchte es lieber verweilen, als an der Stätte, wo die Toten schlafen? Es gibt ein heiliges Recht des Christen, sich hier der Liebe zu den Heimgegangenen lebendig bewusst zu werden, und das Band einer fortdauernden inneren Gemeinschaft mit ihnen aufs neue zu knüpfen, denn das Wort Gottes lehrt uns in geheimnisvoller Weise diese Leiber als heilige Saatkörner anschauen, die einst zu neuem Leben aufzuwachen berufen sind. Darum gehen wir so gerne auf den stillen Friedhof, und sinnen über dem großen Geheimnis der einstigen Auferstehung.
Wir stehen hier stille; wir schauen umher: lauter Gräber ringsum; wir stehen in einer neuen Welt voll Schlafender. Da ruht ein ganzes Geschlecht, das einst in unsren Häusern wohnte, auf unsren Straßen und Gassen wandelte, das mit seinem Leben unsre Stadt, unsre Kirchen und Schulen, unsre Paläste und Hütten erfüllte; da schlafen sie nun, die einst im Leben gearbeitet, gesorgt, geweint und gejauchzt, die gefürchtet, gehofft und wohl auch gebetet haben; jetzt ist der Gang ihres Lebens zum Stillstand gekommen; die unruhigen Wogen des Außenlebens dringen nicht mehr hinab in ihre stille Kammer; Gewinn und Verlust erfreut und betrübt sie nicht mehr. Im Leben waren sie vielfach getrennt, Reiche und Arme, Hohe und Niedere, Herrschende und Dienende; kaum wusste einer von des andern Dasein: der Tod hat sie zusammen gebettet; ihrer aller Gebein, aus Erde geworden, hat schon angefangen, sich zur Erde wieder aufzulösen.
Aber wir bleiben hier bei dem allgemeinen Eindruck stehen. Hier ist eine Stätte, zu der es uns ganz besonders hinzieht; hier ruhest du, mein geliebtestes Kind, du mein Gatte, mein Vater, meine Mutter, mein Bruder, meine Schwester; wie warst du mir so lieb und wert, als dein Auge mich noch anblickte; wie unendlich beglückt fühlte ich mich durch dein Dasein; ach, wie oft habe ich 's an der Liebe zu dir fehlen lassen, und wie viel treuer wollte ich dich lieb haben, wenn du mir noch auf Erden angehörtest; aber ich weiß, du wirst wieder leben, und ich werde ewig mit dir verbunden sein vor dem Angesicht Gottes!
Aber ich gedenke an dieser Stätte nicht bloß der Meinigen; wie mancher ist unter diesen Schlafenden, den ich kannte, den ich liebte, wenn auch keine Bande des Blutes mich mit ihm verbanden! - Sieh, hier schläft eine Mutter; ihre Kinder leben noch, und tragen ihr Bild in dankbarer Erinnerung; da ruhet der Vater, dessen Heimgang die Familie in so tiefe Not stürzte, und wie hat der treue Gott sich der verlassenen Waisen angenommen, und durch des Vaters Segen ihnen das Haus gebaut! - Sieh, da ist eines Kindes Grab; es war das einzige Kind seiner Eltern, und wie unendlich tief war der Schmerz, als sie mit diesem einen das Glück ihres Lebens auf immer begraben wähnten; und doch hat Gott sie zu trösten gewusst, und verlassene Waisen haben diesen Eltern die Leere ihres Herzens ausfüllen müssen, und mit der Stellung ihres Bedürfnisses, Liebe zu spenden, ihnen zugleich den vollen Frieden zurückgegeben. - Und siehe, der hier an dieser Stätte schläft, war ein frommer Dulder; so lange Jahre hat er mit heißen Schmerzen zu ringen gehabt; der Gang seines Lebens war rau und dornenvoll; oft genug hat er um seine Erlösung geflehet, jetzt ist sie erschienen; nun schlafe in Frieden, du stiller Dulder; Gott hat die Dornenkrone von deinem Haupte genommen; du ruhest nun von deiner schweren Arbeit, aber deine Werke werden dir nachfolgen.
Und sieh', hier auf dieser grünen Stätte soll d e i n Grab gegraben werden: wie ist dir 's zumute, wenn du dir dein letztes Bett ansiehst? Zitterst du? Graut 's dich bei dem Gedanken? Dann bist du noch nicht los von der Welt; o, dann lerne noch an einem andren Grabhügel: sieh, über dieser Gruft ist ein herrliches Denkmal aufgerichtet; der Mann, dessen Gebein hier schläft, war reich, sehr reich; er stand in der Blüte seiner Jahre; alle Welt beneidete ihn; aber der Wurm des Todes nagte an seinem Herzen, und einst, mitten in der Lust und Herrlichkeit seines Genusslebens, trat der Tod in sein glänzendes Prunkgemach, und legte den Verzweifelnden auf das Sterbebett; ach, so schwer es dem reichen Manne werden wollte, von diesem Leben zu lassen - er musste fort, und starb den Tod der Verzweiflung!
Meinst du nicht, dass das Sterben ihm leichter geworden wäre, wenn die Dinge der Welt ihn nicht gehalten und an das Leben gebunden hätten? Ach, liebes Herz, lass dir 's die stille Stätte predigen, dein Leben dem Dienst des Herrn zu weihen, damit du einst getrost könntest deine Seele in Gottes Hand zurückgeben in der freudigen Zuversicht, dass der Inhalt deines Erdenlebens unverloren sein werde für die Ewigkeit!
(J. Müllensiefen, 1865)
Freitag, 20. November 2015
Die Nichtigkeit des Äußeren
"Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe." (Joh. 16, 7)
So sprach Jesus zu Seinen Jüngern, obwohl Er wusste, was für heiße Schmerzen Sein Scheiden bei ihnen erwecken würde. Sie konnten aber dieser Schmerzen nicht entbehren; sie bedurften ihrer für ihren inwendigen Menschen.
Wenn Gott ein teures, geliebtes Leben von unsrem Herzen losreißt, so kann es, so darf es kaum bei uns Zurückbleibenden ohne Schmerzen abgehen. Diese Schmerzen haben eine Mission von oben auszurichten; Gott bedient sich ihrer zu Seinem Werke an unsrer Seele.
Und es ist in der Tat ein ganz eigentümlicher Schmerz, den wir bei solchem Scheiden empfinden, der ein Weh mit sich führt, wie es keinem andren Schmerz eigen ist. Schon die Weise, in der dies Leid zu uns einkehrt, ist eine ganz besondere, in ihrer Art einzige. Dem Tod ging die tödliche Krankheit voran. Wir erkannten sie nicht gleich in ihrer ganzen Bedeutung; wir hofften, ihre Macht durch die größere Macht unsrer pflegenden Liebe brechen zu können. Aber als sie nun immer unzweideutiger auftrat, als wir dem ersten Gedanken in unsrem Inneren begegneten: "Wie, wenn er stürbe?" und wir es noch nicht wagten, diesen Gedanken auszudenken; als dann die sicheren Vorboten des Todes kamen, und wir anfingen, mit Gott um ein geliebtes Leben zu ringen: o wie bange, wie schmerzvoll war in jenen Stunden des Hoffens und Zitterns unsre Seele bewegt und in ihren tiefsten Tiefen aufgewühlt; und als nun der Tod seine kalte Hand auf das liebliche Angesicht gelegt, diese Augen geschlossen, diesen Mund hatte verstummen lassen; als man dann der bleichen Hülle das weiße Totenkleid anzog und sie in den engen Sarg legte; als wir dann das letzte Ruhelager mit Blumen schmückten, und endlich die teure Hülle in die dunkle Gruft hinabsenkten, immer ward der Schmerz in neue Weisen gewandelt; und als wir dann heimkehrten in das öde und verlassene Haus, und den lieben Toten an allen Stätten, wo er zu weilen und zu walten pflegte, vergeblich aufsuchten, da kam uns das ganz eigentümliche Weh dieses Schmerzes erst zum vollen Bewusstsein: es war das Gefühl einer unaussprechlichen Verlassenheit, die uns überkam; es war ein Durchschauen in die Armut und Nichtigkeit dieser Welt, als wäre eine Decke von ihr abgezogen worden, die uns bisher ihr eigentliches Wesen verhüllt hatte. Jetzt war der Zauber zerstört, in welchem sie oft vor uns geleuchtet hatte; es standen die Dinge in ihrer nackten, furchtbaren Blöße vor uns. Was war es um alle diese gerühmten Freuden und Zerstreuungen, nach denen wir uns so oft gesehnt hatten; um den Glanz der Gesellschaften, um das Glück der Bewunderung, die ein schönes Kleid erweckt; was war 's um menschliche Ehre, um den Besitz eines Vermögens, um einen Titel oder um einen Orden?
O, wie schämten wir uns bei dem Gedanken, dass diese Dinge uns jemals hatten reizen und locken können! Und während wir bei jedem sonstigen Verlust nur den Wert des einen verlorenen Gegenstandes in Anschlag zu bringen pflegen, so hatte der Tod, der uns das teuerste Leben vom Herzen gerissen, für uns zugleich die Lust und Herrlichkeit der ganzen Welt mit zertrümmert, so dass wir uns in EINEM Augenblick aller Güter zugleich beraubt dünkten, wie Adam, dem die Eine Sünde das Paradies seines ganzen Lebens gegen die Wüste des fluchbeladenen Ackers umtauschte!
Adam hatte es v e r d i e n t, dass Gott ihm sein Paradies zerschlug, und ihn in eine Welt hinausstieß, wo die Dornen und Disteln ihm zuwuchsen, wo Not und Mühsal aller Art sein Erbteil wurden: hatten wir es minder verdient, wenn an dem Sterbebett eines geliebten Menschen ein ähnliches Gericht Gottes über uns kam, das uns die Blöße unsres Herzens, das Elend unsrer Sünde zeigen wollte?
O, die meisten Menschen, wenn sie sich in solcher Lage befinden, wagen es gar nicht, diesem Gedanken, wenn er an sie herantritt, ins Auge zu sehen; sie weichen ihm aus; sie wollen das überwältigende Gefühl der Armut und Nichtigkeit der Welt nicht Raum gewinnen lassen in ihrem Innern; sie versuchen es auf alle Weise, die vor ihrem Geistesblicke enthüllte Welt wieder mit ihrem früheren Zauber zu umkleiden, an ihrer Lust, an ihrem eitlen Wesen wieder Gefallen zu finden, und darum kommen sie nie zum wahren Frieden, weil sie nicht den Mut haben, den ihnen beschiedenen Kelch der Schmerzen bis auf seine Hefen auszuleeren, und den bitteren Trank das Werk ihrer völligen Genesung vollbringen zu lassen.
Erst unter dem Kreuz Christi haben die Jünger die ganze Tiefe ihrer Sünde erfahren und mit dem Meister sterben gelernt; und wenn bei uns der heiße Schmerz einer Trennungsstunde je geheiligt und verklärt, wenn das heimliche Zittern und Bangen, das die Seele an einem Sterbebett überfällt, jemals gründlich überwunden werden soll; wenn die bängsten Stunden im Leben im Stande sein sollen, ein neues, geheiligtes Freudenleben in uns zu zeugen, dann müssen sie in dem Menschen diesen Entschluss zur Reife, zur völligsten Entscheidung bringen, von jetzt an mit der eitlen Lust der Welt, mit der Sünde des Herzens auf immer zu brechen; von nun an mit ganzem, ungeteilten Gemüt in den Dienst Gottes einzutreten, damit der Geist Gottes Raum gewinne, ein Neues zu schaffen, und über alles Bitten und Verstehen hinaus das Wort Seiner Verheißung erfüllt sehen zu lassen:
"Den Abend lang währet das Weinen, und des Morgens die Freude." (Psalm 30, 6)
(Prediger J. Müllensiefen, 1865)
Freitag, 6. November 2015
Zugvögel
"Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir." (Hebräer 13, 14)
Es sind zwei Wahrheiten, die uns dies Wort ausspricht; sie hängen innig zusammen, wie Ursache und Wirkung: weil wir hier keine bleibende Stadt haben, so suchen wir die zukünftige. Wenn wir hätten, was wir bedürfen, wir brauchten es nicht zu suchen; wenn Gott uns hier unten die Heimat gegeben hätte, da unsres ewigen Bleibens wäre, wir brauchten nach der zukünftigen nicht auszuschauen. Nun aber wird das Herz, das hier unten sich fremd fühlt, nach oben hingewiesen. Viele Menschen nehmen einen Anstoß daran, dass das Wort Gottes immer den Finger nach einer jenseitigen Welt ausstreckt; sie fühlen sich dadurch aus ihrer trägen Ruhe und Sicherheit aufgeschreckt, denn sie bemühen sich, hier unten Hütten zu bauen, und mit Sinnenlust und irdischen Gütern den unter ihren Füßen sich weitenden Abgrund zuzudecken. Aber die Wirklichkeit wird nicht aufgehoben, wenn man das Auge vor ihr verschließt, und früh genug müssen es die Getäuschten inne werden, dass alles Gut und alle Herrlichkeit, an die sie sich so krampfhaft anklammerten, unter ihren Händen zerrinnt, und dass auch des längsten Tages Sonne einmal zur Neige geht. Der Tod, der furchtbare Würger, der die Menschen wie eine Schlachtherde vor sich hertreibt, und aus Hütten wie aus Palästen unerbittlich seine Opfer fordert, er wird früher oder später auch ihnen seine Vorboten senden, die Krankheit oder das Alter, oder er wird umangesagt mitten in die Blüte, mitten in die Lust ihres Lebens eintreten, und der kurzen Täuschung ein furchtbares Ende machen. O, wer könnte doch wohl zu denen gehören wollen, deren ganze Lebenskunst darin besteht, sich das Sterben auszureden, und einer Welt fremd zu bleiben, die doch bestimmt ist, unsere ewige Heimat zu werden? Die menschliche Klugheit lehrt ja selbst die Kinder dieser Welt, in den Jahren der frischen Kraft sich etwas zu erarbeiten, damit sie im Alter, wenn die Gebrechlichkeit des Leibes die Quellen des Erwerbes versiegen macht, nicht darben dürfen: sollten wir nicht dieselbe Klugheit an den Tag leben, und in der Arbeitszeit dieses kurzen Erdenlebens uns Schätze erwerben, die ausreichen, um uns in der jenseitigen Welt vor ewigem Darben zu schützen?
Und sollte es bloß die Not sein, die uns treibt, für eine himmlische Welt uns zuzubereiten; sollten nicht Liebe und Sehnsucht uns dringen, mit geschärften Sinnen des Geistes nach ihr auszuschauen? Liegt nicht in unser aller Seele ein unaussprechlich tiefes Sehnen nach Licht und Freiheit, nach gelösten Schwingen des Geistes, nach vollkommener Seligkeit? Wenn im Spätsommer die ersten kühlen Winde über die Stoppelfelder hinstreifen, und den nahenden Herbst und Winter ankündigen, dann ziehen die Zugvögel nach dem warmen Süden, und entfliehen so den Winterstürmen, denen sie würden erliegen müssen; aber ob schon endlose Räume sie von der neuen, schönen Heimat trennen, sie erliegen doch nicht den Mühen der langen Reise, noch irren sie auf der ungebahnten Straße, denn Gott hat ihre Schwingen stark gemacht, die sie über die Länder dahintragen, und hat ihr Auge geschärft, dass es durch die Lüfte und über die Meere und Wüsten hinweg sie sicher weise zum erstrebten Ziele: sollten wir nicht von ihnen lernen können, und an ihnen Mut fassen, die Schwingen des Geistes auszuspannen, und die Heimat zu suchen, die jenseits der Gräber liegt? Ist es doch der Geist Gottes, der im Herzen die Sehnsucht erweckte nach der himmlischen Gottes-Stadt, und Er sollte ein Bedürfnis nicht zu stillen wissen, das Er der Menschenseele anerschuf?
Darum sollten wir getrost sein, wenn es uns in dieser Erdenwüste bange werden will, wenn Kummer und Sorgen unser Lager umstehen, wenn Tränen und Schmerzen den Blick umdunkeln; das Herz sei empor, das Auge sei himmelwärts gerichtet; wir haben hier keine bleibende Stadt, aber wir eilen der zukünftigen himmlischen entgegen, und Er, der Seinem Volke in der Wüste die Wege bahnte, Er wird auch uns sicher leiten, und Wege finden, da unser Fuß gehen kann.
(Prediger Müllensiefen, 1865)
Donnerstag, 5. November 2015
Wir werden Gewinner sein
"Sterben ist mein Gewinn." (Phil. 1, 21)
Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. Wie bedeutungsvoll folgen hier diese Worte unmittelbar aufeinander: "Leben", "Sterben". Nur drei Buchstaben stehen dazwischen, und wie es in den Worten ist, so ist 's auch in der Wirklichkeit. Wie nah sind Leben und Tod beisammen! Das Leben ist des Todes Vorhof; und unsre Pilgrimschaft auf Erden ist nur eine Reise zum Grab. Der Puls, der unser Dasein fristet, schlägt nur unsren Todesmarsch, und das Blut, das unser Leben erhält, schwemmt es den Tiefen des Todes zu. Heute sehen wir unsre Freunde in der Blüte der Kraft; morgen vernehmen wir die Nachricht ihres Todes. Gestern boten wir dem Starken noch die Hand, und heute drücken wir ihm die Augen zu. Mancher fährt im glänzenden und wohlgepolsterten Staatswagen durch die Straßen, und nach wenigen Stunden bringt ihn die schwarze Leichenbahre zur letzten Ruhestätte aller Lebendigen. O, wie eng ist der Tod mit dem Leben verknüpft! Das Lamm, das jetzt noch auf der Wiese hüpft, wird bald unter dem Messer verbluten. Der Ochse, der auf den Fluren weidet, wird fett für die Schlachtbank. Bäume wachsen, dass man sie fällen möge. Ja, und an noch größere Dinge tritt der Tod heran. Weltreiche entstehen und blühen, sie blühen dem Verfall entgegen, sie erheben sich zum Sturz. Wie oft schlagen wir das Buch der Geschichte auf und lesen vom Werden und Vergehen der Staaten. Wir hören von der Krönung und dem Tode der Könige. Der Tod ist der schwarze Diener, der hinter dem Wagen des Lebens her reitet. Siehe das Leben! Und der Tod dicht hinter ihn!
Aber, Gott sei Lob und Dank! Es gibt noch einen Ort, wo der Tod nicht des Lebens Bruder ist, wo das Leben alleine herrscht; wo dem Wörtlein "Leben" keine Silbe "Tod" mehr nachfolgt. Es gibt ein Land, wo kein Todesröcheln mehr ist, wo kein Trauerschleier mehr gewoben wird, wo keine Gräber mehr geschmückt werden. O seliges Land über den Wolken! Wenn wir dich erreichen wollen, müssen wir sterben. Wenn wir aber nach dem Tode zur Herrlichkeit des ewigen Lebens eingehen, wenn wir Den, der uns vom Tode errettet und zum Leben berufen hat, dürfen schauen mit diesen unsren Augen als Den, der des Todes Gewalt und die Schlüssel des ewigen Lebens hat, und Ihn lieben und loben dürfen in Ewigkeit: dann dürfen wir ausrufen: "Sterben ist mein Gewinn!"
(Charles Haddon Spurgeon, 1834-1892)
Dienstag, 3. November 2015
Das ist schwer, sehr schwer
"Wer nicht absagt ALLEM, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein."
(Lukas 14, 33)
Das ist sehr schwer, im innersten Herzen von den Dingen los zu sein; von dem Besitz, von der Ehre vor der Welt, los sein von den Menschen; an keinen Menschen sein Herz hängen, nicht einmal an Weib und Kind; sie wie geliehene Kleinodien auf dem Herzen tragen, und sie willig von diesem Herzen wieder losreißen, wenn der Herr sein Eigentum zurückfordert ...
(Prediger J. Müllensiefen, 1865)
Montag, 2. November 2015
Weine über dich
"Weinet nicht über die Toten, und grämet euch nicht darum." (Jer. 22,10)
Wer ist mehr zu beweinen? Die noch im gefahrvollen Meer fahren und von den Stürmen und Wellen herumgeworfen werden, oder die, welche schon in dem Hafen der ewigen Ruhe glücklich angekommen sind und das bessere Land erreicht haben?
Die Toten, die im Herrn starben, sind zu beneiden, nicht zu beweinen, denn sie haben erreicht und erlangt, was wir noch mit Gefahr erwarten. Darum ist der Christ gern auf Gottesäckern, die mit Recht diesen schönen Namen tragen, weil da der Same der sterblichen Leiber ausgestreut liegt, dass er ersterbe und dann auferstehe, mit verjüngter Schönheit und Unsterblichkeit. Die Stille, in der die entschlafenen Brüder liegen, hebt das Gemüt hinüber über Grab und Zeit, in die selige, stille Ewigkeit, wo aller Krieg der Leidenschaften, wo alle Unruhe, die den Frieden Gottes stören könnte, ein Ende hat. Geh doch, Lieber, an keinem Gottesacker vorbei, ohne deine entschlafenen Brüder zu besuchen, ohne dich bei ihren Schlafkammern den Gedanken, die sich dir ja von selbst aufdringen werden, zu überlassen. Weine da, aber ja nicht über sie, sondern wenn 's dir weinerlich ist, weine über dich und deine noch pilgernden Brüder. Den selig Heimgegangenen aber schaue mit Sehnsucht nach. Strecke deine Hände aus nach dem Unsichtbaren und ergreife das ewige Leben, das über dem Grabe liegt, und fasse davon in dein Herz auf, so viel du davon hier fassen und aufnehmen kannst. Man sieht Morgendämmerung und spürt Frühlingsluft auf den Gräbern: und das soll sehr gesund sein ..."
(Johannes Goßner, 1773-1858)
Dienstag, 27. Oktober 2015
Geistlicher Liedtext von Fr. Hiller
Ruhet wohl, Ihr Totenbeine,
in der stillen Einsamkeit.
Ruhet, bis das End' erscheine,
da der Herr euch zu der Freud'
rufen wird aus euren Grüften
zu den freien Himmelslüften.
Nur getrost! Ihr werdet leben,
weil das Leben, euer Hort,
die Verheißung hat gegeben
durch sein teuer wertes Wort:
Die in seinem Namen sterben,
sollen nicht im Tod verderben.
Und wie sollt' im Grabe bleiben,
der ein Tempel Gottes war,
den der Herr ließ einverleiben
seiner auserwählten Schar,
die er selbst durch Blut und Sterben
hat gemacht zu Himmelserben?
Jesus wird, wie er erstanden,
auch die Seinen einst mit Macht
führen aus des Todes Banden,
führen aus des Grabes Nacht
zu dem ew'gen Himmelsfrieden,
den er seinem Volk beschieden.
Ruhet wohl, ihr Totenbeine,
in der stillen Einsamkeit.
Ruhet, bis der Herr erscheine
an dem Ende dieser Zeit,
da ihr sollt mit neuem Leben
euch vor Gottes Thron erheben.
(Friedrich Konrad Hiller, 1662-1726)
Montag, 26. Oktober 2015
Grabrede (1864)
Am Grabe einer Greisin
"Suchet den Herrn und lebet." (Amos 5, 6)
Ein Sterbender ist jederzeit ein Prediger der Lebenden, weswegen die Hausgenossen, die Nachbarn und Freunde nie ohne einigen Nutzen für ihre Seele am Sterbelager eines Scheidenden sich versammeln. Hier haben sie die beste Gelegenheit, augenscheinlich wahrzunehmen, wie bald es mit dem sterblichen Menschen zu Ende gehe und was er sei. Auch wie übel man daran tue, die Gnadenfrist verstreichen zu lassen, und die Buße auf jene Zeit aufzusparen, wo der Tod, wie man zu sagen pflegt, auf der Zunge sitzt.
Ein Sterbender ist ein Prediger der Lebenden, deswegen trägt man die Leichen öffentlich über die Straße, damit ein Jeder, der sie vorüber tragen sieht, des Todes sich erinnere; deswegen läutet man die Schiedungsglocke, deswegen stellt man ein Leichenbegängnis an, deshalb das Gepränge; Weihrauch und Weihwasser gemahnen uns, gleich eindringlichen Predigern, an ernste Wahrheiten; desgleichen das dumpfe Rollen der Erdschollen, die der Priester auf den Sarg wirft unter den Worten: Von Erde hast du mich gemacht, mit Fleisch mich bekleidet, o mein Erlöser, erwecke mich am jüngsten Tage!
Das ist auch der Grund, weshalb man in Gegenwart des toten Körpers Leichenpredigten hält, denn diese helfen dem Verstorbenen sehr wenig, mit Ausnahme des Gebetes, das am Ende verrichtet wird. Was soll es auch dem Toten nützen, gelobt zu werden, wenn er dessen nicht wert ist? Ist er schon gerichtet von Gott, ehe wir seine irdische Hülle zu Grabe begleiten?
Darauf aber ist es bei derlei Grabreden abgesehen, dass die Lebenden ermahnt und gebessert werden. Suchet den Herrn, da er noch gefunden werden kann, da ihr noch lebet! "Suchet den Herrn und lebet!" Das predigt uns das Grab mit Donnerworten. Suchet ihn jetzt, da ihr noch lebet, jetzt, wo ihr ihn noch finden könnt; denn es ist zu spät, ihn suchen und finden zu wollen, wenn beim Sterben Verstand, Gedächtnis, Wille und Kraft geschwunden sind.
Dies predigt uns besonders die Vollendete, die wir soeben zur Ruhe eingesegnet haben; denn sie suchte den Herrn zeitlebens, also da er noch zu finden war. Ich sage zu unserer Belehrung und Erbauung:
Wer den Herrn zeitlebens nicht sucht, ist in Sachen seines Seelenheiles blind.
Es bleibt ein Zeichen und auch eine Wirkung der Vorsicht, die rechte Zeit zu gebrauchen wissen; darum sagt man: Die Ameise ist klüger als die Grille, denn diese singt im Sommer und verhungert im Winter, während jene zur Sommerzeit Proviant einsammelt, davon sie im Winter sich nähret. Ja, ich gehe noch weiter und sage: Die Ameise ist auch klüger als viele Menschen; denn anstatt viele gute Werke zu sammeln für jene Stunde, wo die Kälte und die Öde des Todes eintritt, faulenzen sie mit der Grille, lassen es auf die letzte Stunde ankommen und gehen zu Grunde.
Auf derlei Leute wendet der hl. Bernard die Stelle an, wo es im 5. Mose 32, 28 heißt: "Das ist ein Volk ohne Verstand und Einsicht." und (l. c. 29 v.): "O dass sie doch Einsicht und Erkenntnis hätten und ihres Endes gedächten!" Sie gedenken nicht weiter als an das Gegenwärtige, dagegen lassen sie dahingestellt sein den Tod und das Ewige. Wenn sei verstünden, was Gott angeht, sie würden erschrecken vor der Hölle, die Welt verachten und dem höchsten Gut allein anhängen. Wenn sie verstünden, was Gott angehöret, sie würden die Hindernisse eines guten Todes aus dem Wege räumen, die Sünde meiden und verständigerweise und ernsthaft lernen, wohl zu sterben.
Derlei Reden aber sind heutigen Tags vielfach in den Wind gesprochen. Es wird, ich möchte sagen, täglich den Lebenden der Tod, das letzte Gericht, die Zeit der Buße vor Augen gestellt, und dessen ungeachtet achtet man darauf soviel wie nicht. Wie ein blinder tappt man fort, den Schmeichelworten der Welt, Satans oder des Fleisches gibt man Gehör, trauet ihnen, folget ihnen, und aber die Lehre der Frommen, die Predigt der Sterbenden und Toten schlägt man sich aus dem Sinne. Deshalb nenne ich derlei Leute mit Fug und Recht blind, und zwar nicht etwa in einer geringen und unwichtigen Sache, sondern in einer Angelegenheit, von der Seele und Seligkeit der Seele abhangen. Was wäre billiger, als dass man bei Ansehung einer Leiche auf seine Brust schlüge und reumütig betete: Herr, sei mir armen Sünder gnädig! O Gott, gib mir eine glückliche Sterbestunde! Das sind aber jenen Leuten die letzten und geringsten Gedanken und Sorgen. Man zecht und prasset, man putzt sich, scherzt und lacht, während man den Toten begräbt.
O die Blindheit! Wenn anderen Leuten die Augen zugehen, dann sollten sie euch aufgehen. Alles Lob verdient deshalb der hl. Franziskus Borgias, ehemals Herzog von Gandia, der, als er die Leiche der Königin Isabella so ganz entstellt sah, in sich ging und Gott suchte alle Zeit und wie er nur konnte. Ist der Mensch sonst weiter nichts, als solch ein Nest von Würmern, so will ich nimmer den Fürsten, die ebenfalls nur Menschen sind, sondern Gott allein dienen, so will ich sterben lernen, da ich noch Zeit habe, mich auf die Todesstunde wohl vorzubereiten.
Eine christliche Rede! Dagegen nichts Unchristlicheres und Wahnsinnigeres, als dem Rufe des Todes: "Auch du musst sterben, bereite dich auch vor!" den Rücken kehren und sich die Ohren verstopfen! O wie blind handelt, wer nur den Stimmen der Welt folgt, und seinen Lebenslauf in Essen, Trinken, Buhlen, Müssiggehen und irdische Lüste setzt!
Auch betrüget die Welt den Menschen niemals mehr, als wenn sie ihm noch eine lange Zeit verspricht, da er Buße tun kann. Wie diejenigen, welche an der Lunge leiden, sich in der letzten Zeit ihres Lebens am wohlsten fühlen, so ergeht es auch den Weltligen, die, je näher ihnen der Tod steht, desto ferner ihn wähnen. Gott finden ist nicht Sache der Jugend, der Gesundheit, der Kraft, des langen Lebens, sondern Sache der Gnade. Wer nun diese nicht sucht, der hat keine Ursache, sich dieselbe im hohen Alter oder auf dem Sterbebette zu versprechen.
Andächtige! Nehmet euch, was die Vorbereitung auf den Tod und das Gott-Suchen anbelangt, die Verlebte zum Muster. Viele Jahre hatte die Verlebte Gelegenheit, Gott zu suchen und zu finden; diese Gelegenheit ließ sie denn auch nicht unbenutzt vorbeistreichen. Jedes Jahr ihres langen Lebens ist davon ein Zeuge. Durchgehen wir noch kurz der Verewigten Lebenslauf (Darstellung ihres Lebens bis zu ihrem Tode und Hervorhebung der hierher geeigneten Momente, sowie des ganz Individuellen aus dem Charakter oder den Rden der Verlebten etc.). So suchte sie mit jedem Tage reicher zu werden an guten Werken und wie an Jahren so auch an Gnade bei Gott zuzunehmen, bis der Tod dieses Leben mit dem ewigen zu vertauschen gebot.
Lassen wir es von der Vollendeten hier gepredigt sein! Suchet den Herrn, da ihr ihn noch findet! Suchet ihn, da ihr noch lebet, damit ihr fortlebet! Nach dem Tode ist keine Zeit mehr zum Suchen. Ein Toter befindet sich nicht mehr auf dem Wege, sondern in der Heimat, wenn er selig ist. Ist er aber verdammt, so ist er ebenfalls aus dem Wege, und sieht sich außer Stand, etwas Gutes mehr zu wirken, wie wir an dem reichen Prasser sehen. Die Gnadensonne leuchtet uns nur so lange, als unsere Augen offen stehen. Durch einen unglückseligen Tod geschlossen, ist es für uns mit dem belebenden Lichte der Gnade aus. Ich habe einstmals eine Sonnenuhr betrachtet, an der mir besonders der Spruch gefiel: Ich vergehe im Schatten und leuchte mit der Sonne. Diese Sonne ist das Gnadenlicht, das von Gott kommt und auf den Sünder strahlt. Leuchtet das nicht, so kann der Sünder Gott auch nicht finden. Im Tode aber, da sitzen wir im Schatten und das Wirken hat aufgehört.
Lasset uns deshalb, wie der Apostel anrät, Gutes tun, so lange wir Zeit haben! Schließlich aber wollen wir beten zum Troste und für die Seelenruhe der Verlebten, auf dass Gott ihr ihre Fehler vergeben möge, die zu begehen nicht ausbleiben konnten, da selbst der Gerechteste siebenmal des Tages fällt, und die Hingeschiedene ein so hohes Alter erreicht hat. Vater unser .... Ave Maria ... Amen.
(Priester Matthias Heimbach, 1864)
Samstag, 24. Oktober 2015
Nur einmal (von Augustin Wibbelt)
Nur einmal
Alle Kunst fordert Übung. Das Genie ist eine Gabe, aber auch eine Aufgabe, und eine Aufgabe wird nicht gelöst ohne Arbeit und Fleiß. Der Meister fällt nicht vom Himmel, sondern steigt durch Versuche und Probestücke zu Meisterwerken empor.
Nur eine Kunst gibt es, die ohne Übung gekonnt werden muss, und zwar von jedem: dazu ist es noch die wichtigste von allen. Es ist die Kunst zu sterben. Zu sterben, ist keine Kunst; es ist aber eine große Kunst, gut zu sterben, und mancher Tod mag Stümperwerk sein. Wir haben wohl das ganze Leben zur Verfügung, um diese Kunst zu lernen; aber wir können nicht probeweise bloß zur Übung sterben. Nur einmal sterben wir, gleich die erste Ausübung dieser Kunst muss ein Meisterstück sein. Einmal misslungen heißt für immer misslungen. Wohl mancher würde seinen zweiten Tod anders einrichten, wenn er zweimal sterben dürfte. Aber der Tod ist ein Schritt, den wir nicht zurücktun können, und die ganze Ewigkeit hängt an diesem Schritte. Das ist eine recht bedenkliche Sache. Wir müssen gleichsam alles auf einen Wurf setzen, nur dass hier keine Rede sein kann von Glücksspiel und Zufall. Wenn irgendwann im Leben, dann gilt vom Abschluss des Lebens das Wort: Der Mensch ist seines Glückes Schmied. Das ist ein guter Trost bei dieser bedenklichen Sache: nur einmal - aber das Ungefähr hat keine Hand im Spiele, nur Gottes Gnade und Menschenwille; für die erste steht der Herrgott selber ein, für den zweiten müssen wir stehen.
Trotz allem - das Wort "nur einmal" kann die letzte Stunde mit Schrecken füllen; es wird um so schrecklicher sein, je weniger wir damit vertraut geworden sind. Das Wort ist ein wildes Tier, das leicht zu zähmen ist, wenn man es allmählich an sich gewöhnt; man muss sich nur mit ihm abgeben, sich anpassen und einrichten, dann verliert es alle Wildheit. Zuletzt gewinnt das Wort "nur einmal" sogar einen freundlichen Klang. Dann seufzt die Seele erleichtert: Gott sei Dank, nur einmal brauchen wir zu sterben, dann ist es ein für allemal überstanden!
Weil der Mensch nur einmal stirbt, darum soll er es auch wissen, wenn der Tod kommt; er darf nicht überrumpelt werden, wenn es zu verhindern ist. Man lasse ihm die freundliche Hoffnung, damit sie die letzten dunklen Stunden noch ein wenig erhelle; so stark sind nicht viele, dass sie die Hoffnung missen können. Aber man täusche die scheidende Seele nicht über den Ernst ihrer Lage und stehle ihr nicht die kostbarsten Augenblicke. Wer vor dem letzten, einen, großen Schritte steht, von dem so viel abhängt, der hat Anspruch darauf, dass er sehend sei! Es frevelt die Hand, die ihm die Augen verbindet mit einer Lüge. Was glaubt man denn wunders zu tun, wenn man dem Sterbenden den nahenden Tod verbirgt? Man hat ihm höchstens einige ruhige Stunden verschafft, und wenn jemand sagt: das ist viel, so ist zu entgegnen: es ist ein erbärmliches Geschenk für eine unsterbliche Seele, die der Ewigkeit entgegengeht, um für immer selig oder unselig zu werden. Ein Christ erschrickt nicht so sehr vor einer Wahrheit, die er zu seinem Heile nützen kann. Und wenn er erschrickt, dann hat er die Wahrheit vielleicht um so nötiger und ist ohne sie um so schwerer betrogen. Es ist eine egoistische, lieblose und heidnische Schonung, die nur auf die wenigen flüchtigen letzten Momente des Erdenlebens schaut, als wäre der Tod das Ende, wo er doch ein Anfang und eine Entscheidung ist. In Wahrheit ist es nicht eine Schonung, sondern eine unbedachte Grausamkeit.
Es kann freilich sehr bitter sein, einem lieben Kranken mitzuteilen, dass er sich auf den Tod gefasst halten müsse, und vielleicht weiß er es einem zunächst gar nicht zu danken. Danach fragt die wahre Liebe nicht. Die Liebe bringt Opfer und nimmt auch das sehr schwere Opfer auf sich, wenn es sein muss: einer geliebten Seele wehe zu tun. Die Liebe weiß auch die Worte zu finden, die der Wahrheit die verwundende Schärfe nehmen; schon aus ihrer herzinnigen Teilnahme fließt linder Balsam. Die Liebe hilft der scheidenden Seele, nicht bloß, leicht zu sterben, sondern vor allem, gut zu sterben, denn der Mensch hat ja kein zweites Mal zu sterben.
Möge diese Liebe an unserm Sterbebett stehen!
(Augustin Wibbelt, 1862-1947)
Freitag, 23. Oktober 2015
Eins ist im andern
"Ich bin ja bei dir. Fühlst du denn nicht den goldnen Faden, der deine Seele mit der meinen verknüpft hält? Es ist kein weiter Weg vom Sichtbaren ins Unsichtbare, sie sind nahe beieinander und eigentlich nicht zu trennen. Eins ist im andern. Daran denke immer."
(Margarete Müller, 1920)
Donnerstag, 22. Oktober 2015
Die Ohnmacht der Menschen
Die Ohnmacht der Menschen gegenüber dem Tode
Von Alters her suchten die Menschen Trost und Hilfe wider den Tod. Aber in der ganzen Welt findet sich weder das Eine, noch das Andere. Der berühmte Kaiser Hadrian (gest. 138 n. Chr.), der sein Reich trefflich regierte, rief endlich, nachdem er überall Hilfe wider den Tod gesucht, verzweifelnd aus: "Meine liebe Seele, mein süßer Schatz, Gast und Gespielin dieses Leibes, du fährest nun dahin in der Irre an den finstern, kalten und schrecklichen Ort, du wirst mir keine Lust bereiten, wie du pflegtest, und wirst die lange Zeit mir nicht mehr verkürzen." Nicht besser ging 's dem Heiden Aristoteles (gest. 321 v. Chr.), der der Gelehrteste und Weiseste seiner Zeit gewesen. Der fand in seiner Wissenschaft so wenig Trost wider den Tod, dass er zuletzt ausrief: "Unter allen schrecklichen Dingen ist nichts schrecklicher als der Tod."
Man rühmt nun in unserer Zeit so sehr die Fortschritte in der Kunst und Wissenschaft. Wer wollte diese auch leugnen? Aber alle Fortschritte, die der natürliche Menschengeist macht, bringen keine wesentlichen Verbesserungen in der Lage der Menschen hervor, sie können den Tod und das große Elend, das in diesem einen kleinen Wörtchen liegt, nicht zur Welt hinausschaffen. Mit all ihrer irdischen Kunst und Wissenschaft kommen die Menschen nur bis ans Grab, nicht übers Grab hinaus. Hast du alles, was die Welt zu bieten vermag, Reichtum, Ehren, Würden, Fertigkeiten und Kenntnisse in aller Kunst und Wissenschaft, hast du das alles und sonst nichts - dann bist du doch eine arme Kreatur, denn der Tod schlägt dir einmal deinen ganzen glänzenden Glücksbau zusammen, wie im Traum Nebukadnezars der kleine Stein jenen ganzen prachtvollen Koloss, der nur auf schwachen, tönernen Füßen stand, zertrümmerte (Daniel 2).
Ein Simson konnte wohl die Tore Gazas ausheben und forttragen, aber unter allen Mächtigen der Erde findet sich keiner, der die Pforten des Todes forttragen könnte.
(Pfarrer Heinrich Guth, 1829-1889)
Mittwoch, 21. Oktober 2015
Geistlicher Liedtext von Nikolaus Hermann
Wenn mein Stündlein vorhanden ist,
und ich fahr' meine Straße,
so leit' du mich, Herr Jesu Christ,
mit Hülf' mich nicht verlasse!
Herr, meine Seel' an meinem End'
befehl' ich dir in deine Händ';
du wollst sie mir bewahren.
Die Sünde wird mich kränken sehr,
mein Herz wird mich verklagen.
Der Schuld ist viel, wie Sand am Meer,
doch will ich nicht verzagen.
Ich denk' in meiner letzten Not,
Herr Jesu Christ, an deinen Tod.
Der wird mich wohl erhalten.
Ich bin ein Glied an deinem Leib,
des tröst' ich mich von Herzen.
Von dir ich ungeschieden bleib'
in Todesnot und Schmerzen.
Und sterb' ich nun, so sterb' ich dir.
Ein ewig' Leben hast du mir
durch deinen Tod erworben.
Weil du vom Tod erstanden bist,
werd' ich im Grab nicht bleiben.
Mein höchster Trost dein' Auffahrt ist,
die kann die Furcht vertreiben.
Denn wo du bist, da komm ich hin,
dass ich bei dir stets leb' und bin.
Drum fahr' ich hin mit Freuden.
So fahr' ich hin zu Jesu Christ
und lasse nichts mich schrecken.
So schlaf ich ein und ruhe fein,
mein Jesus wird mich wecken.
Er lässet mich im Frieden ruhn,
wird mir die Himmelstür auftun,
und führen mich zum Leben.
(Nikolaus Herman, gestorben 1561)
Sonntag, 18. Oktober 2015
Gerade umgekehrt
"Gott schickt dir die Trübsal nicht, um dich niederzuschlagen, sondern dich aufzurichten; nicht, dass du den Kopf hängen lassen, sondern aufblicken sollst zu dem, von dem sie kommt. Fällt irgend etwas von oben, vom Dache, dir auf den Kopf, so siehst du schnell in die Höhe, woher es komme, wer es dir auf den Kopf werfe. Warum nicht auch, wenn dir der Herr ein Kreuz vom Himmel herab schickt? Wie verkehrt siehst du die Heimsuchung Gottes, das Leiden an, indem du glaubst, jetzt habe der Herr dein vergessen! Gerade umgekehrt: sie soll dir beweisen, dass Gott dein gedenket, dass er dich heimgesucht, bei dir eingekehrt hat, dass er dich lieb habe, und dich auserwählt machen wolle im Ofen des Elends, dass du zu ihm aufblicken sollst."
(Johannes Goßner, 1773-1858)
Freitag, 16. Oktober 2015
Gedicht von Hildegard Peresson
Nichts war umsonst
Wenn wir einmal gehen müssen .... was bleibt?
Ist es die Liebe, die wir in andere Herzen gelegt haben?
Ist es die Hoffnung, die wir anderen Menschen geschenkt haben?
Ist es der Glaube, der uns auf ein Wiedersehen hoffen lässt?
Ist es der Trost, den wir verbreitet haben?
Ist es der Gedanke an unsre Arme, die beschützt haben?
Sind es die schönen Worte, die wir gesprochen haben?
Das alles bleibt.
Nichts war umsonst ....
(Hildegard Peresson)
Geistlicher Liedtext von Viktor v. Strauß
O mein Herz, gib dich zufrieden!
O verzage nicht so bald!
Was dein Gott dir hat beschieden,
nimmt dir keiner Welt Gewalt.
Keiner hindert, was er will;
harre aus, vertraue still.
Geh des Wegs, den er dich sendet;
Er begann, und er vollendet!
Hüllt er dich in Dunkelheiten,
so lobsing ihm aus der Nacht.
Sieh, er wird dir Licht bereiten,
wo du 's nimmermehr gedacht.
Häuft sich Not und Sorg' umher,
wird die Last dir allzu schwer,
fasst er plötzlich deine Hände
und führt selber dich ans Ende.
Wär' auch alle Welt dir feindlich,
rottete sich wider dich -
dank ihm! O der Herr ist freundlich,
Seine Huld währt ewiglich.
Sind auch Trauer, Angst und Leid
seines Segens dunkles Kleid -
dank ihm! Er schickt seinen Segen
auf geheimnisvollen Wegen.
Endlich wird dein Morgen grauen;
kennst du nicht sein Morgenrot?
Darfst du zagend rückwärts schauen,
wenn dich Glut und Sturm bedroht?
Denn auch Feuerflamm' und Wind
Boten seines Willens sind,
und kann 's nur ein Wunder wenden,
auch ein Wunder kann er senden.
O so lass denn alles Bangen!
Wirke frisch, halt' mutig aus!
Was mit ihm du angefangen,
führet er mit dir hinaus.
Und ob alles widersteht,
im Vertraun und im Gebet
bleib am Werke deiner Hände;
so führt er 's zum schönsten Ende.
(Viktor von Strauß, 1809-1899)
Sonntag, 11. Oktober 2015
Geistlicher Liedtext von C. B. Garve
Hier bin ich fremd, wie meine Väter waren.
Wie sollt' ich nicht zur Heimat freudig fahren?
Mir ist mein Bürgerrecht beim Herrn dort oben
schon aufgehoben.
Dort, wo der Fuß des Pilgers nicht mehr gleitet,
dort ist auch mir die Wohnung schon bereitet;
dort ist die Ruh' in ewig süßem Frieden
auch mir beschieden.
Noch wall' ich hier, umhüllt mit Staub und Erde,
gedrückt von Mängeln, Siechtum und Beschwerde;
dort werd' ich unter Engellegionen
gar herrlich wohnen.
Dort wird das dunkle Wort sich hell verklären,
kein Fehl wird mehr den reinen Frieden stören;
dort wird, von Sünde frei, mit neuen Zungen
Gott Lob gesungen.
Zwar Gottes Kinder sind wir schon auf Erden;
doch wer kann 's fassen, was wir dort sein werden?
O Herrlichkeit, in seines Lichtes Reichen
dem Herrn zu gleichen!
Gottlob! Ich bin hier fremd, wie meine Väter;
sie gingen früher heim, ich etwas später;
Gottlob! Ich werde zu der Heimat Freuden
von hinnen scheiden.
(Carl Bernhard Garve, 1763-1841)
Freitag, 9. Oktober 2015
Leiden macht die Seele klein
Wenn Leiden, Versuchungen, Dunkelheiten, Unglück oder was immer für Prüfungen und Heimsuchungen Gottes da sind, um uns zu demütigen, ist es freilich schwer für das arme Menschenherz, es weiß sich nicht mehr zu helfen; doch wenn es aufblickt zu dem, der Alles ordnet, und ohne den uns nichts geschehen und begegnen kann; wenn es zurückdenket, wie oft er schon aus der Not geholfen, die bange Seele getröstet, Freuden auf Leiden gesendet und allezeit einen großen Segen auf große Leiden folgen ließ, so kann es nicht verzagen, und wird, wenn es aushält, am Ende danken für den großen Gewinn, den die Seele dadurch erhalten hat.
Leiden demütigen, machen die Seele klein, gebeugt, führen zur Erkenntnis und zum Bekenntnis der Sünde - und den Demütigen gibt Gott Gnade; den Hoffärtigen widersteht er. Darum muss er zuerst unsre Hoffart, unsern Übermut niederschlagen, damit er den Gedemütigten Gnade erzeigen und sie aufrichten kann. Er sucht und bahnet sich also durch Leiden und Kreuz einen Weg zu unsern Herzen, wenn er sie vor unsrer Hoffart nicht finden kann. Er hat also nur Gnade, Friede und Verherrlichung im Sinn, wenn er dich gleich niedergeworfen, geschlagen oder gedemütigt hat. Er will dich groß und herrlich machen, darum hat er dich klein und niedrig gemacht. Willst du ihm das nicht erlauben? Willst du im wehren? So kann er nichts aus dir machen und du bleibst ein stolzer Narr, indem du den Weg zu deiner wahren Erhöhung fliehst.
(Johannes Gossner, 1773-1858)
Mittwoch, 7. Oktober 2015
Zitat von Joyce Meyer
Wenn wir immer fragen "Warum, Gott, warum?" und alles ergründen wollen, bringt uns das nur durcheinander, es raubt uns den Frieden und letztendlich auch unsere Freude. Willst du dein Leben genießen? Dann höre auf, alles ergründen zu wollen!
(Joyce Meyer)
... und reiße den Hochmut nieder, der sich der wahren Gotteserkenntnis entgegenstellt. Jeden Gedanken, der sich gegen Gott auflehnt, nehme ich gefangen und unterstelle ihn dem Befehl von Christus. (2. Korinther 10, 5 GN)
Dienstag, 6. Oktober 2015
Geistlicher Liedtext von Chr. Neander
Er eilt, der letzte von den Tagen,
die du hier lebst, o Mensch, herbei.
Erkauf' die Zeit und, statt zu klagen,
sie sei zu kurz, gebrauch' sie treu.
Nimm mit erkenntlichem Gemüt
der nahen Stunde wahr; sie flieht.
Getäuscht von eiteln Kleinigkeiten
verlierst du deines Lebens Zweck,
verschiebst dein Heil auf ferne Zeiten
und wirfst so sorglos Jahre weg.
Bist du, zu kühner Sterblicher,
des nächsten Augenblickes Herr?
Einst Ewigkeiten zu besitzen,
dazu lass' dir des Lebens Zeit
als deine kurze Saatzeit nützen
und tu, was dir der Herr gebeut;
er ruft dir menschenfreundlich zu:
Die Zeit fleucht hin! Was säumest du?
Drum eil', errette deine Seele
und denke nicht: ein andermal!
Sei wacker, bet' und überzähle
der Menschentage kleine Zahl.
Gesetzt, dein Ende wär' auch fern,
sei fromm und wandle vor dem Herrn.
Mit jedem neu geschenkten Morgen
erwecke dich zu dieser Pflicht.
Sprich: Dir, o Gott, ist nichts verborgen;
ich bin vor deinem Angesicht
und will, mich deiner Huld zu freun,
mein Leben gern der Tugend weihn.
Erleucht' und stärke meine Seele,
weil ohne dich sie nichts vermag.
Du schenkst, dass ich mein Heil erwähle,
aus Gnaden mir noch diesen Tag.
Was ist nicht jede Stunde wert,
die deine Langmut mir gewährt?
Wohl mir, wenn ich aus allen Kräften
nach wahrer Weisheit hier gestrebt,
in gottgefälligen Geschäften
die Pilgertage durchgelebt
und einst im Glauben sagen kann:
du nimmst mich, Herr, zu Ehren an!
(Christoph Friedrich Neander, 1724-1802)
Montag, 5. Oktober 2015
Das Märchen vom Tränenkrüglein
Es war einmal eine Mutter und ein Kind, und die Mutter hatte das Kind, ihr einziges, lieb von ganzem Herzen, und konnte ohne das Kind nicht leben und nicht sein. Aber da sandte der Herr eine große Krankheit, die wütete unter den Kindern, und erfasste auch jenes Kind, dass es auf sein Lager sank und zum Tod erkrankte. Drei Tage und drei Nächte wachte, weinte und betete die Mutter bei ihrem geliebten Kinde, aber es starb. Da erfasste die Mutter, die nun allein war auf der ganzen Gotteserde, ein gewaltiger und namenloser Schmerz, und sie aß nicht und trank nicht, und weinte, weinte, weinte wieder drei Tage lang und drei Nächte lang ohne Aufhören, und rief nach ihrem Kinde. Wie sie nun so voll tiefen Leides in der dritten Nacht saß, an der Stelle, wo ihr Kind gestorben war, tränenmüde und schmerzensmatt bis zur Ohnmacht, da ging leise die Türe auf, und die Mutter schrak zusammen, denn vor ihr stand ihr gestorbenes Kind. Das war ein seliges Englein geworden und lächelte süß wie die Unschuld und schön wie Verklärung. Es trug aber in seinen Händchen ein Krüglein, das war schier übervoll. Und das Kind sprach: "O lieb Mütterlein, weine nicht mehr um mich. Siehe, in diesem Krüglein sind deine Tränen, die du um mich vergossen hast; der Engel der Trauer hat sie in dieses Gefäß gesammelt. Wenn du nur noch eine Träne um mich weinest, so wird das Krüglein überfließen, und ich werde dann keine Ruhe haben im Grabe und keine Seligkeit im Himmel. Darum, o lieb Mütterlein, weine nicht mehr um dein Kind, denn dein Kind ist wohl aufgehoben, ist glücklich, und Engel sind seine Gespielen." Damit verschwand das tote Kind, und die Mutter weinte hinfort keine Träne mehr. Um des Kindes Grabesruhe und Himmelsfrieden nicht zu stören, um des Kindes Seligkeit willen weinte sie keine Träne mehr, bezwang sie ihren ungeheuern tiefen Seelenschmerz. So stark und mächtig ist Mutterliebe!
(Ludwig Bechstein, 1801-1860)
Sonntag, 4. Oktober 2015
Um den Abend wird es licht sein. (Sach. 14,7)
Manchmal schauen wir erwartungsvoll in die Zukunft, in die Zeit der Tage grauen Alters, und vergessen, dass es um den Abend licht sein wird. Vielen Heiligen ist das Greisenalter die liebste Zeit ihres Lebens. Ein balsamischer Hauch fächelt des Seemanns Wange, wenn er dem Ufer der Unsterblichkeit naht, ruhigere Wellen umtanzen sein Schiff, ihm lächeln liebliche Gegenden zu, Ruhe herrscht um ihn, tiefe, stille, feierliche Ruhe. Verschwunden sind vom Altar des Alters die ungestüm lodernden Flammen des jugendlichen Feuers, aber die wahrere Flamme ernster Gefühle bleibt zurück. Die Pilger haben das Land "Meine-Lust-an-ihr" erreicht, das selige Gefilde, dessen Tage sind wie Tage des Himmels auf Erden. Engel besuchen es, himmlische Lüfte wehen darüber hin, Blüten des Paradieses wachsen darin, und den Luftkreis erfüllt Seraphs-Gesang. Etliche weilen hienieden jahrelang darin, und andre kommen erst wenige Stunden vor ihrem Abscheiden hinein, aber es ist ein Eden auf Erden. Wir dürfen uns wohl nach dem Augenblick sehnen, wo wir uns erquicken dürfen im Schatten ferner lieblichen Gebüsche, und uns sättigen mit der Hoffnung, bis die Zeit des Genusses herbeikommt. Die Sonne erscheint größer, wenn sie untergeht, als wenn sie hoch am Himmel steht, und ein herrlicher Glanz vergoldet alle Wolken, die sie beim Niedersinken begleiten. Mühsale vermögen die Ruhe der lieblichen Dämmerstunde des Alters nicht zu stören. Das Herz sammelt reife Früchte köstlicher Erfahrung zur Erquickung am Abendmahl des Lebens, und die Seele macht sich zur Ruhe bereit.
Des Herrn Volk erfreut sich des Lichts auch in der Stunde des Todes. Der Unglaube bebt und zagt; die Schatten sinken, die Nacht kommt, das Leben neigt sich zum Ende. O nein, ruft der Glaube, jetzt gerade hat die Nacht ein Ende und der wahre Tag bricht an. Das Licht ist gekommen, das Licht der Unsterblichkeit, das Licht von deines Vaters Angesicht. Lege deine Füße auf deinem Bett zusammen, siehe die wartende Schar der seligen Geister! Engel tragen dich hinweg. Lebewohl, Geliebter, du bist weggezogen, du winkst mit deiner Hand. O, nun wird 's Licht. Die Perlentore stehen offen, die goldenen Gassen strahlen im Schimmer des edlen Jaspis. Wir bedecken unsre Augen, aber du siehest das Unsichtbare; Lebewohl, Bruder, bei dir ist 's nun licht um den Abend, bei uns noch nicht.
(Charles Haddon Spurgeon, 1834-1892)
Samstag, 3. Oktober 2015
Geistlicher Liedtext (unbek. Verfasser)
In unsern Nöten fallen wir
voll' Reu' und demutsvoll vor dir
in unserm Jammer nieder,
denn Seuch' und Tod
umgibt uns, Gott,
und würget unsre Brüder.
So viele sanken schon ins Grab
wie unerwartet schnell hinab!
Wie ist um Hülf' uns bange!
O schone noch,
befrei' uns doch
von unserm Untergange!
Arzt, Kunst und Vorsicht retten nicht.
Wir haben keine Zuversicht
als nur zu deiner Güte.
Dem Tod, oh Herr,
gebeut, dass er
nicht weiter schrecklich wüte!
Wir glauben an den Sohn und dich.
Und darum schaue väterlich
auf tief gebeugte Sünder;
Denn du allein
kannst uns befrein;
errett' uns, deine Kinder!
Wir übergeben Volk und Land
in deine treue Vaterhand;
entferne jede Plage.
Erquick uns, Herr,
Allmächtiger.
Gib wieder heitre Tage!
Doch willst du uns noch nicht befrein,
so lass' uns, Gott, geduldig sein
und dir uns ganz ergeben!
Lass, sterben wir,
uns dort vor dir
in deiner Wonne leben.
(unbekannter Verfasser)
Freitag, 2. Oktober 2015
Grabrede (1864)
Am Grabe eines Apothekers
"O Tod, wie bitter ist dein Gedächtnis." (Sir. 41, 1)
Hochansehnliche!
Es unterliegt keinem Zweifel, Ihre Gemüter, verehrte Trauergenossen, sind mit Schmerz und Bitterkeit erfüllt, und wir sehen den wohledlen Herrn N. N. nur mit ganz betrübtem Herzen und mit Tränen befeuchtetem Auge zur Grabesruhe niederlegen.
Gewiss, Hochgeehrteste, ein trauriger Fall! Und wir dürfen überzeugt sein, hätte der Verblichene in seiner Offizin eine Arznei wider den Tod gehabt, ein Mittel, welches ihm die Bitterkeit des Sterbens, und die des Trauerns hätte erspart, gerne würde er es mitgeteilt, gerne würde er es angewendet haben. Das aber geht, wie wir alle wissen, nicht an. Gleichwie in den Gärten kein Kräutlein gegen den Tod gewachsen ist, also ist auch in den Apotheken kein Tränklein gegen denselben anzutreffen. Der bittere Tod hört nicht auf, bitter zu sein. Hat er ja doch selbst Christus den Herrn angegriffen, erst im Ölgarten, wo der Heiland blutigen Schweiß vergoss, sodann am Kreuze selbst.
Gegen die Gewalt des Todes, wenn des Menschen Stunde geschlagen und der Allmächtige gerufen hat, vermag weder Arzt noch Arznei etwas. Alsdann hilft kein Mittel mehr, und wir können, wie auch heute, nur aufseufzen: "O Tod, wie bitter ist das Gedenken an dich einem Menschen, der Friede hat in seinem Wohlstande!" Wie bitter ist das Gedächtnis und die Erinnerung an den Tod! Wie bitter für die hinterlassene Witwe? Wie bitter für die Kinder, wie herb für die Verwandten, für die Freunde? Wie empfindlich für die ganze Gemeinde? Ist es nicht so, geliebte Trauergenossen?
Was soll ich da noch weiter sagen? Womit werde ich euch trösten können? Da ich es für meine Pflicht ansehe, die Betrübten aufzurichten, so habe ich denn beschlossen:
1) die gewiss nicht zu verachtenden Mittel zu nennen, wodurch wir die Bitterkeit des Todes zu lindern im Stande sind; sodann
2) zum Gebrauche dieser schmerzlindernden Mittel aufzumuntern.
I.
Die Heiden haben, wie bekannt, allerlei Dinge ausgedacht, um den Gemütern die Bitterkeit zu benehmen, welche in Folge des Hintrittes unserer teuren Angehörigen einem jeden Menschen erwächst. Einige trösteten sich und andere mit dem Elysium, einer fabelhaften Insel im fernsten Westen, wo die besonders begünstigten Toten in dem erhöhten Genusse der menschlichen Freuden fortleben würden. Andere suchten Trost in einem berühmten, unsterblichen Namen. Welchen Trost jedoch können derlei Märchen und Gedichte bieten im Vergleiche mit der christlichen Glaubenswahrheit, welche uns lehrt, der sterbliche Leib werde wiederum zur Unsterblichkeit auferstehen? O welcher Trost! Und wäre ein Arzneiladen auch noch so reichhaltig, nichts, Geliebte, NICHTS ist in der ganzen Offizin so süß, als das Wort, welches Jesus zu Martha sprach: "Dein Bruder wird wieder auferstehen." (Joh. 11, 23)
O welch ein Trost für die Lebenden, zu wissen, ihre Verwandten werden wiederum auferstehen! Welch ein Trost für die Sterbenden: Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches! Welch eine Ermunterung aber auch, so zu leben, dass man einst glorreich auferstehe! Dieses ist es, was bei Vielen macht, dass die Hände gefaltet werden zum Gebete, die Augen angehalten werden zum Beweinen der Sünden, die Füße zum Kirchengange, die Ohren zum Anhören der Predigt, der Leib zu Bußwerken, der ganze Mensch zum göttlichen Dienste. O süßes Wort! O wohlschmeckende Arznei! Wie wird durch diesen Gedanken das bittere Gedächtnis an den Tod und die Toten gelindert und versüßt!
Darum, Geliebte, nehmet, wenn euch derlei bittere Gedanken quälen, nehmet dieses Linderungsmittel an die Hand: Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches!
Das andere Mittel ist: die Ergebung in den anbetungswürdigen Willen Gottes. Sagen wir mit Hiob: "Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; wie es dem Herrn gefiel, also ist es geschehen; gepriesen sei der Name des Herrn!" (1, 21) Dieses Mittel hat unser Herr und Heiland aus seinem Trauergarten besonders empfohlen. Denn wir wissen, was er uns lehrte, und wie man sich zu verhalten habe, wenn der Tod bevorsteht: "Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!" betete er. (Luk. 22, 42) Dies, Geliebteste, ist ein Universalmittel gegen alle Bitterkeit des Lebens und des Todes.
Der selige, in Gott ruhende Herr N. N. wusste dieses Mittel gar recht zu gebrauchen. Hatte er zu klagen über etwas, was im Leben des Menschen Keinem ausbleibt, sofort dachte oder sprach er: Der Wille des Herrn geschehe! In diesen Willen schickte er sich im Leben wie im Tode. In diesem Willen ertrug er die Leiden seines Krankseins. In diesem Geiste starb er am -------, ergeben und zufrieden mit Gottes Ratschlusse.
Dieses nun: Gottes Wille ist vollbracht worden, und: Er wird wiederum auferstehen, dieses, meine Teueren, muss Sie trösten, es ist das Einzige, was das bittere Gedächtnis des Todes uns versüßen kann.
II.
Wir wissen, wie bitter den Jüngern des Propheten Eliseus der Inhalt jenes Topfes vorkam, von dem sie sagten: "Mann Gottes, der Tod ist im Topfe!" (4. Kön. 4, 40) Bekanntlich hatte einer der Genossen aus Unwissenheit auch einige giftige Kräuter eingesammelt und in dem Topfe mitgekocht. Das Gemüse erhielt aber dadurch sofort einen derartig bitteren Geschmack, dass die Schüler des Propheten augenblicklich beim Verkosten in die obigen Worte ausbrachen. Die Bitterkeit und schädliche Wirkung nun vertrieb Eliseus dadurch, dass er ein wenig Gerstenmehl unter das Geköchte tat. Das gleiche müssen auch wir tun, Geliebte, um die Bitterkeit des Todes und die Schädlichkeit desselben zu beseitigen! Überall ruft man: Der Tod, der Tod, da ist der Tod! In größeren Städten kehrt er täglich, oft zu wiederholten Malen ein. Bald ist es ein geliebtes Kind, das wir begraben, bald ein Vater, bald ein Gatte, eine Mutter, eine Gattin, ein Freund, eine Braut, ein Bruder, eine Schwester, ein Lehrer usw. Überall Anlass zu Leid und Weh, zu Klage und Jammer. Was rat 's da? Was hilfe hier? Was tun? Wie soll man diesen Schmerz lindern, wie solche Bitterkeit versüßen? Wo Rettung, dass man sich nicht selbst zu Tode härmt? Gibt es doch nicht wenige, die sich gar nicht wollen trösten lassen!
Der beste Rat ist wohl dieser, dass man gedenke, um wie vieles es die Seele besser hat im Himmel, als auf Erden. Hier war sie voller Qual, ausgesetzt einem sterblichen, allerlei Krankheiten und Mühsalen unterworfenen Kerkerleben; denn das ist das Leben der Seele im Leibe. Sie hatte zu ringen mit Schmerzen. Nun ist sie frei, aus ist der Krieg, Friede und Ruhe umgibt sie nun, genießt sie nun. Nimmer begehrt die Seele eines selig Verstorbenen zurückzukehren in den Leib, den sie verlassen hat. Zudem wird einst auch der Leib, aber in glorreichem Zustande, sich mit der dahingeschiedenen Seele wieder vereinigen und auferstehen zur ewigen Herrlichkeit. Gewiss, derlei Gedanken sind völlig dazu angetan, alle Bitterkeit des Todes für immer zu verscheuchen.
Die Auferstehung unseres Leibes und seine Vereinigung mit der Seele in glorreichem Zustande, die Ergebung in den hl. Willen Gottes, sowie der Gedanke, dass die Seele nunmehr durch ihre Trennung vom Leibe frei geworden ist von den tausendfachen Qualen ihres irdischen Kerkerlebens und der Herrlichkeit der Verklärten genießt, dieses ist uns, was uns trösten muss, wenn wir den hl. Staub eines teueren Angehörigen mit Staub bedecken.
Fort denn mit der Bitterkeit des Todes! Den Gläubigen wird er süß, denn sie halten fest daran, der selig Vollendete ist am erwünschten Ziele und glücklich, wie ein Wandersmann im grünen Schatten, wie ein Pilger in der Herberge, angekommen am Orte seiner Reise, wie ein Schiffer, der im Hafen eingelaufen ist.
Nun aber lasset uns des Verstorbenen noch im Gebete gedenken und seiner hingeschiedenen Seele zum Troste aufblicken zum Vater aller und sprechen: Vater unser .... Ave Maria .... Amen.
(Priester Matthias Heimbach, 1864)
Donnerstag, 1. Oktober 2015
Gedicht von E. Josephson (1865-1902)
Die Liebe hört nicht auf
Die Liebe hört nicht auf. So viel hört auf:
Manch trautes Glück, das tief ein Herz empfunden,
so viele klangumrauschte Freudenstunden,
doch trägt 's mein Herz im Jubelsturm hinauf:
Die Liebe hört nicht auf.
Die Liebe hört nicht auf, es bleibt der Kern,
mag auch die liebste Hülle kraftlos sinken,
die liebste treuste Hand zum Scheiden winken,
die Seelen leuchten ewig Stern an Stern
vorm Angesicht des Herrn.
Die Liebe hört nicht auf, sie hebt erst an,
sie blüht erst auf bei himmlischen Akkorden,
sie strahlt und duftet an der Heimat Borden,
wie nie sie in dem dunklen, fremden Bann
auf Erden je getan.
O süßer Trost, die Liebe hört nicht auf.
Noch fester will ich Herz an Herz mich schließen.
In lauter Liebestropfen soll zerfließen
mir freudenhell des dunklen Lebens Lauf,
denn Liebe hört nicht auf !
(Elisabeth Josephson, 1865-1902)
Mittwoch, 30. September 2015
Ihr werdet lachen
"Selig seid ihr, die ihr hier weinet; denn ihr werdet lachen." (Luk. 6, 21)
Es ist nur ein einziges Stück, worüber sich ein Mensch zu betrüben hat, nämlich die Sünde. Über was man sich sonst betrübt, ist nicht der Mühe wert. In natürlichen Fällen kann es noch sein, dass man Tränen vergießt; aber Tränen, die das himmlische Liebesfeuer hervorbringt, sind bei uns selten; da doch Jesus Christus selbst mehr als einmal geweint und seine Apostel ihm mit viel Tränen gedient haben.
Es seien heilige oder natürliche oder doch geheiligte Tränen: die Tränen der Seinigen wird Gott von ihren Augen wischen. Wie sanft wird da die Hand Gottes tun. Führen die Tränen so viel Süßigkeit mit, was wird das Abwischen der Tränen sein!
(Johann Albrecht Bengel, 1687-1752)
Dienstag, 29. September 2015
Erzählung von Margarete Müller
Irgendwo blüht eine Wiese, eine wundervoll grüne Wiese im Goldsonnenschein. Ein schmales Weglein führt durch die Wiese. Daran blühen Glockenblümchen. In Trüpplein stehen sie zusammen wie wartende Kinder, und ihre blauen Glöckchen schwingen leise im Sommersonnenwind. In der Wiese jubelt der rote Klee und die weißen Margeriten sind sonnenoffen. Goldsternchen leuchten. Dazwischen stehen die stillen, blassen Kerzen des Wegerichs. Wie ein Fest ist die Wiese, wie ein großes stilles Freuen in ihrer Sonneneinsamkeit. Kein Ton der lauten Zeit stört die Stille. Hinter Bergen verborgen und tiefen, dunklen Wäldern träumt sie ihren stillen, sel'gen Sonnentraum. Ein Muttergotteskapellchen steht auf der Wiese, so klein, dass es nur eben das Bild der Gebenedeiten fasst. Die Türe zum Kapellchen ist allzeit offen. Da sitzt sie, die Holdselige, in ihrem blauen Gewande und hat ihr Kindlein an der Brust, und die blonden Haare legen sich wie ein schwerer goldner Mantel ihr um die Schultern. Ein kleiner, blauer Sternenhimmel ist über ihr. Aber zu ihren Füßen schmiegt sich die Wiese mit den Goldsternchen, wie ein Teppich, grün und goldbestickt. Ein Wandervogel kommt des Wegs daher. Sein Herz ist freudenoffen. Die Laute hängt ihm am grünen Bande über den Rücken. Wie er das Muttergotteskapellchen sieht und darin das Bild der lieben Frau, schreitet er leise über den goldbestickten, grünen Teppich und setzt sich auf die steinerne Stufe zu ihren Füßen. Seine schlanken Knabenfinger greifen in die Saiten. Weich und träumerisch klingt ein altes Marienlied über die Wiese, dass die Blumen lauschen. Von einer tiefen Not singt das Lied.
"Meerstern, ich dich grüße. O Maria hilf! Maria, hilf uns allen in unsrer tiefen Not! Gib ein reines Leben, sich're Reis' daneben. O Maria hilf! Maria, hilf uns allen in unsrer tiefen Not!"
Schwermütig weich, von einer tiefen, wehen Sehnsucht getragen und doch voll wundersamer Süße, ist das Lied. Was weiß der Knab' von tiefer Not?
Ein Weggesell kommt das Wiesenweglein, bestaubt und wandermüd. Er steht still und lauscht und faltet leise seine Hände.
"Woher hast du das Lied, Knabe?" fragt er, als die Töne verklungen sind, nach einem kleinen Weilchen der Andacht.
"Es kommt im Zupfgeigenhansl und ist ein altes Wallfahrerlied. Wollen Sie es lernen? Es ist wunderschön und passt so herrlich in die grüne Wiese und vor das süße Muttergottesbild."
"Lehr es mich, Knabe, es tut wohl und streichelt eine wunde Seele wie mit Mutterhänden."
Weiter ziehen die beiden Wandrer nebeneinander. Vom Waldsaum herüber klingen noch ein paar Töne und verwehen über der Wiese:
"Maria, hilf uns allen in unsrer tiefen Not!"
(Margarete Müller, veröffentlicht 1922)
Montag, 28. September 2015
Geistlicher Liedtext, unbek. Verfasser, um 1692
Ach, was ist doch unsre Zeit?
Flüchtigkeit,
Nebel, Rauch und Wind und Schatten.
Menschen können nicht bestehn.
Sie vergehn
wie die Blumen auf den Matten.
Unser Leben fleucht behende.
Mensch, bedenke doch das Ende!
Menschen sind zerbrechlich' Glas,
nichtig Gras,
Blumen, die nicht lange stehen.
Ach, wie bald wird ihre Kraft
hingerafft,
wenn die Todeslüfte wehen!
Unser Leben fleucht behende.
Mensch, bedenke doch das Ende!
Jugend, die den Rosen gleicht,
die verbleicht.
Ihre Schöne muss verschwinden.
Es vergeht durch Todesnacht
alle Pracht,
die wir an den Menschen finden.
Unser Leben fleucht behende.
Mensch, bedenke doch das Ende!
Menschen sind der Zeiten Spiel
und ein Ziel,
drauf die Todespfeile fliegen.
Die wie schlanke Zedern stehn,
groß und schön,
müssen durch den Tod erliegen.
Unser Leben fleucht behende.
Mensch, bedenke doch das Ende!
Ach, der Tod ist dir gewiss,
drum vergiss
alles Eitle dieser Erden.
Lenke dich zur Ewigkeit
jederzeit,
willst du dort unsterblich werden.
Unser Leben fleucht behende.
Mensch, bedenke doch das Ende!
Schwinge dein Gemüt und Herz
himmelwärts,
wo nicht Tod, nicht Not, nicht Leiden.
Denk an das, was ewig ist,
lieber Christ,
soll dich einst der Himmel weiden.
Unser Leben fleucht behende.
Mensch, bedenke doch das Ende!
(Unbek. Verfasser, um 1692)
Sonntag, 27. September 2015
Der verwandelte Tod
Was ist mit dem Tode?
Ist er der unerbittlich grausame Sohn der Sünde, der als Würgengel durch die Welt schreitet, um die beleidigte Majestät des Herrn zu rächen?
Oder ist er ein Gottesengel, ein Bote des Friedens, der es gut meint mit uns in all seiner Strenge?
Die Heilige Schrift bezeugt es: "Durch die Sünde ist der Tod in die Welt gekommen." Von der Sünde nimmt er auch seine tiefsten Schrecken: "Des Todes Stachel ist die Sünde." Er ist ein Werkzeug der strafenden Gerechtigkeit. Ja, noch mehr, der Feind unserer Seele, der alles Leben hasst, liebt den Tod als die Frucht der Sünde und als eine Handhabe für seine feindseligen Pläne. Er sucht ihn in seinen Dienst zu ziehen: er soll der verwirrten Seele den Rückweg abschneiden und sie in den ewigen Tod stürzen.
Da kam einer, dessen Hände alles verwandelten, was sie berührten. Er verklärte und heiligte das Leben in seinem ganzen Umkreise. Er adelte die Arbeit, indem er selber mit seinen göttlichen Händen mühsam schaffte; er heiligte die Freude und verwandelte das nüchterne Wasser in fröhlichen Hochzeitswein; er weihte das Leiden durch sein Kreuz, das wie das Holz des Moses die bittere Quelle Mara in süßen Segensborn umwandelte; und zuletzt ergriff er auch den Tod mit der Macht seiner Liebe und gab ihm eine hehre Weihe. Der Tod, der sonst vor niemand scheute, wagte es nicht, an diesen Hohen seine Hand zu legen. Er stand und harrte, ob die milde Stimme ihn etwa rufen werde. Und das geschah: der Herr wollte sterben. Auf sein Geheiß nahte sich der Tod mit zitternden Schritten und streckte zagend seine Hand aus. Der Herr aber umfasste ihn in freiem Entschlusse mit beiden Armen und küsste ihn mit dem Kusse des Friedens. Da wurde der Tod verwandelt, aus dem Würger wurde ein Gottesengel.
Wohl behielt er das Amt der Strafe auch fürderhin, aber seine Schrecken wurden gemildert durch den schimmernden Stern der Hoffnung, den der Herr auf das dunkle Stirnband setzte. Zugleich wurde ihm von der Segenskraft verliehen, die vom Kreuze fließt. Die Strafe sollte auch Buße sein, sühnende, läuternde, vollendende Kraft. So geht nun der Tod verwandelt von Golgatha hinweg, ein dunkler Engel, aber doch ein Engel, mit ernsten Augen und strengen Händen, aber mit einem treuen Herzen, das auf unser Heil bedacht ist. In seinem Becher ist Bitterkeit, die Bitterkeit ist Medizin. So weit das Kreuz reicht, so weit ist auch der Tod dem Einflüsse des bösen Feindes entzogen, und das Kreuz reicht über die ganze Welt, wenn nur die Seele selber sich dem Kreuze nicht entziehen will.
Der Tod hat eine Weihe empfangen von dem sterbenden Erlöser und kann selber Weihe erteilen. Wenn die scheidende Seele mit dem Erlöser verbunden ist in Glauben und Liebe, so gewinnt ihr Tod Kraft und Segen aus seinem Tode. Nun ist auch das Leiden und Sterben des unbewussten Kindes nicht ohne Zeck. Wie die unschuldigen Knäblein von Bethlehem dem Herrn im Sterben unbewusst dienten und dafür die Palme des Martyriums erlangten, so trägt das sterbende Kind nach seiner Kraft mit am Kreuze des Herrn. Wie sollte es nicht auch vom Kreuze Segen empfangen!
(Augustin Wibbelt, 1862-1947)
Zitat von Bertha Josephson-Mercator (1861-1906)
"Wir begleiteten unsere alte treue Nachbarin zur letzten Ruhe. Gut, dass ich nichts davon merke, wenn man mich mal so bereden wird - es würde mich sehr genieren. Am liebsten verböte ich es. Aber ich will keinem das Herz eindämmen. Mir kann 's ja gleich sein. Nur trösten möcht' ich meinen Mann und meine lieben Kinder! Möcht' ihnen zuflüstern können: Es wird nicht lang mehr währen, so kommt auch ihr nach Haus! - Und: Die Liebe bleibt!"
(Bertha Josephson-Mercator, 1861-1906)
Freitag, 25. September 2015
Der Segen von Todesgedanken
Der stete Gedanke an Tod und Ewigkeit ist das Gewicht, welches das Uhrwerk unseres Lebens in guten Gang bringt und darin erhält; er bringt heilige Gedanken ins Herz, heilige Reden in den Mund, heilige Werke in die Hände, heilige Wege unter die Füße.
Er treibt die eitlen, hochfahrenden, fleischlichen, weltlichen Gedanken aus. Er lehrt uns Wächter stellen vor die Lippen, unsre Worte abwägen auf der Waage des Heiligtums, dass wir nichts reden, womit wir Gott beleidigen, unser Gewissen verletzen und unserm Nächsten Ärgernis geben; er lehrt uns, lieblich reden, wie Naftali (1. Mose 49, 21): "was wahrhaftig, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet" (Phil. 4, 8).
Er lehrt uns das Irdische gering achten, die Herrlichkeit der Welt für ein glänzendes Nichts taxieren, und bewahrt uns vor dem Esau-Sinn, der um das elende Gericht irdischer Genüsse das himmlische Erstgeburtsrecht verkauft.
Wer ernstlich den Tod bedenkt, ruft sich, wenn Satan, Welt oder das eigene Fleisch zum Bösen locken, das Wort eines alten Kirchenvaters zu: "Wenn du jetzt sterben würdest, würdest du auch noch diese oder jene Sünde tun?" Der Gedanke an den Tod bewahrt auch vor dem Erkalten der Liebe. O wie weh tut 's, an einem Sterbebett oder Grab sich sagen zu müssen: "Der da liegt, den hast du oft betrübt, gekränkt, beleidigt." Dächten wir recht an Tod und Grab, dann ginge es uns viel tiefer zu Herzen, wenn uns der Apostel der Liebe zuruft: "Kindlein, liebet euch untereinander!"
O lieb, so lang du lieben kannst!
O lieb, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
wo du an Gräbern stehst und klagst.
(Pfarrer Heinrich Guth, 1829-1889)
Donnerstag, 24. September 2015
Geistlicher Liedtext nach L. Hennrich
Nun weiß ich, wo du bist
Nun weiß ich, wo du bist.
Es rief dich Jesus Christ
zur ew'gen Ruh' nach droben;
fällt mir 's auch schwer zu loben
und kommt es hart mir an,
was Gott hier hat getan,
schweigt doch mein Herze still
in meines Gottes Will',
schweigt doch mein Herze still
in meines Gottes Will'.
O Herze, sei nicht bang',
es währet nicht mehr lang';
dann wirst du wiedersehen,
den, der so früh musst' gehen.
Vorbei ist dann die Not,
der Schmerz, das Leid, der Tod.
Freude, so tief und rein,
wird dir beschieden sein.
Freude, so tief und rein,
wird dir beschieden sein.
Lebwohl nun, der du bist
im Heiland Jesus Christ
und seiner Gnad' geborgen.
Ich warte auf den Morgen,
an dem der Ruf wird laut:
Der Bräut'gam kommt zur Braut!
Dann gibt 's ein Wiedersehn,
und ewig wird 's besteh'n.
Dann gibt 's ein Wiedersehn,
und ewig wird 's besteh'n.
(nach Ludwig Hennrich, 1894-1949)
Mittwoch, 23. September 2015
Grabrede (1864)
Am Grabe eines nicht im besten Rufe Stehenden
"Zum wenigsten ihr, meine Freunde, erbarmet euch mein!" (Hiob 19, 21)
Andächtige im Herrn!
Der stets geschäftige Tod hat wiederum ein Opfer abgefordert und ist als Bote Gottes unter uns erschienen, den verlebten N. N. vor Gottes Richterstuhl zu rufen. Wir, Geliebte, sollen nicht richten, damit auch wir nicht gerichtet werden, wir sollen nicht urteilen, da den Menschen nichts leichter trügt als der Schein. Der Mensch ist nur das, was er vor Gott ist, nicht was er in den Augen der Menschen gilt. Deshalb soll sich niemand über den Lebenswandel eines Verstorbenen ein Urteil erlauben, wie es ja ein uraltes Sprichwort gibt, welches sagt, man solle von den Toten nichts als nur Gutes reden. Welchen Urteilsspruch der Mensch, wenn er tot ist, von Gott zu gewärtigen hat, wissen wir ja nicht, da wir ihm nicht in der Todesstunde ins Herz sehen konnten, ebenso wenig als in den Tagen, da er noch lebte. Was nun unseren Verewigten angeht, so ließ er mich am ....ten dieses Monats rufen und empfing alle den Sterbenden verordneten hl. Sakramente mit der größten Andacht. (Näheres, was lobwürdig sein könnte).
So starb er mit dem unbedingten Vertrauen auf Gott, den Allbarmherzigen. Doch bevor wir von dieser Stätte gehen, zeigen wir, dass, wenn wir Freunde der Verstorbenen sein wollen, wir ihnen ihre liebsten Wünsche nicht versagen dürfen. Nichts tut weher, als wenn ein Freund dem anderen etwas abschlägt. Deshalb klagt Hiob so ans Herz dringend: "Wenigstens ihr, meine Freunde, erbarmet euch mein!" Ein Gleiches rufen uns auch die armen Seelen im Reinigungsorte zu. Wir aber wollen diese Bitte unserer Freunde nicht überhören, und, uns über sie erbarmend, ihnen zu Hülfe kommen. Denn es ist
unsere Schuldigkeit, unseren hingegangenen Freunden zu Hülfe zu eilen, und ist die Ursache, warum wir solches schuldig sind, jedem einleuchtend.
Niemand steht auf der Welt so ganz verlassen, dass er nicht wenigstens einen Verwandten, einen Freund sein eigen nennt. Auch unser verlebter N. N. zählt dessen mehrere (locus amplif. Dessen Eltern Kinder, Kameraden etc.). An diesen ist es nun vor allen, für den Verstorbenen, falls er noch unserer Hülfe bedürftig wäre, zu beten und beizutragen, dass Gott ihm seine Fehler nachlasse und ihn befreie, wenn er noch von Gottes Anschauung sollte zurückgehalten werden. Von diesen rede ich indessen nicht, denn ich bin überzeugt, sie werden für den Verewigten alles tun.
Aber im allgemeinen findet man es oft, dass der Spruch sich bewahrheitet: Aus den Augen, aus dem Sinne. Und das ist unverantwortlich, dass ein Freund dem anderen nicht beispringt in der Not. Ein guter Freund ist in der Welt unser anderes Ich, unser Ratgeber, unser Wohltäter, unser Beschützer und Helfer, er ist dem anderen das, was die Sonne der Erde ist. Ohne Freund ist alles Wirken eine schwere Arbeit, alles Leben eine Qual. Das war für Hiob das Ärgste, dass er erfahren musste, wie selbst seine Freunde ihn in der Not sitzen ließen. Daher er sagt, wenigstens sie sollten als seine Freunde ihre Schuldigkeit tun.
Indessen hat nicht Hiob allein Ursache, zu klagen, auch viele Seelen im Reinigungsorte führen mit Recht diese alte Klage, wie sie von ihren Freunden im Stich gelassen würden. Sie bitten täglich, sie rufen stündlich: "Wenigstens ihr, meine Freunde, erbarmt euch mein!" Zahlet wenigstens ihr für uns, eure nächsten Freunde, zahlet wenigstens ihr, unsere Erben, Brüder, Schwestern, Schulkameraden etc. für uns, was wir noch schuldig sind. Dieser Ruf ertönt ununterbrochen aus jener Welt herüber und verhallt ungehört. Ein Bruder verlässt den anderen, eine Schwester vergisst die andere, Eheleute, die sich ewige Liebe und Treue zugeschworen, wie vergesslich erweisen sie sich zuweilen!
Als Cäsar ermordet wurde, beteiligten sich vielerlei Leute an dem blutigen Werke. Aber nichts schmerzte denselben mehr, als dass Brutus, sein Freund, sein Schütz- und Pflegling, gleichfalls den Dolch gegen ihn erhoben hatte, er, dem er unendlich viel Gutes getan hatte. Schon lag Cäsar in seinem Blute da, als er die brechenden Augen nochmals auf Brutus heftete und die letzte Kraft anwendend sprach: "Auch du mein Sohn Brutus!" Bist auch du unter den undankbaren, treulosen Freunden! Du hättest mir wenigstens beispringen sollen, der du mein Freund warest.
Diesem Cäsar gleicht so manche arme Seele im Fegfeuer; sie seufzet, ächzet und jammert, sie fleht und bittet um Hülfe, um Rettung, um Barmherzigkeit und Trost. Da geht ein undankbarer Sohn oder eine Tochter am Grabe des Vaters oder der Mutter vorbei und spricht nicht einmal das: Herr, gib ihm die ewige Ruhe u.s.f. Wie? Hörest du nicht die Stimme des Toten: Auch du, mein Sohn! Auch du, meine Tochter! Noch ist das Haus, noch das Vermögen, das ihr von mir geerbt habt, in euren Händen, und mein Gedächtnis aus eurem Herzen! Wahrlich, es trifft zu, was der Dichter sagt:
"Viele Befreundete sind 's, die du zählest, so lange du glücklich;
einsam stehst du indes, trübet der Himmel sich zu."
So lange das Glück anhält, magst du überflüssig Freunde haben; wenn sich dagegen der Himmel deines Glückes bewölkt, alsdann wirst du bald allein stehen. Kein Satz ist wahrer als dieser. Klagt ja schon David: "Meine Freunde und Nächsten haben sich gegen mich aufgelehnt und stellten sich; und entfernt halten sich, die mir zunächst waren" (Ps. 37, 12). Unter diesen Verwandten und Nächsten war aber, wie wir wissen, Absolom, Davids eigener Sohn, der boshafter und hinterlistiger Weise den Achitophel, Davids vorzüglichsten Ratgeber, nebst den edelsten Verwandten, Schwägern, Hausgenossen, Kriegsobersten und Bürgern auf seine Seite gezogen hatte. Dass diese ihm abwendig werden könnten, hätte David wohl nie vermutet: deshalb konnte er auch mit vollem Rechte rufen: Auch du, mein Sohn Absolom! -----
Geliebte im Herrn! Wenn in euch ein guter Blutstopfen echter Freundschaft ist, lasset nie und nimmermehr zu, dass eure Freunde aus der anderen Welt euch zurufen, ohne dass ihr sie erhöret! Ach, es ist hart, wenn eine arme Seele gewahren muss, wie ihre nächsten Freunde über dem Schwelgen und Prassen, über dem Spielen und Tanzen ihrer vergessen. Lasset euch dieses, Geliebte, nicht nachsagen, sondern zeiget gegen eure Toten, dass ihr erkenntlich seid, befehlet ihre Seelen täglich Gott in euren Gebeten an. Er ist der Herr, der sich ihrer erbarmen kann und will, sofern er nur demütig von uns um Barmherzigkeit und Gnade angefleht wird.
Nicht richten sollen wir die Toten, sondern beten, beten um so inniger, je mehr etliche Vorlaute Grund zum Richten und Verdammen zu haben glauben; beten um so anhaltender, je weniger Freunde ein Verblichener auf Erden hat. Nicht strafen, sondern verzeihen soll unser Mund, damit auch Gott verzeihe; denn er will gerne vergeben, deshalb hat er uns das herrliche Gebet gelehrt, in welchem wir ihn Vater nennen dürfen, auf dass wir als Kinder mit vollster Zuversicht uns ihm nahen im Gebete. Tun wir dieses auch jetzt und sprechen wir insgesamt für alle verlassenen Seelen, vorzüglich aber für die Seelenruhe des soeben Bestatteten, das übliche Gebet des Herrn aus ganzer Seele: Vater unser ..... Ave Maria .... Amen.
(P. Matthias Heimbach, 1864)
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