Sonntag, 24. August 2025

Ich werde euch wiedersehen (Johannes 16, 22)


 

Wenn ein guter Vater auf einige Monate verreist, und von seinem Weib und von seinen Kindern Abschied nimmt, so weiß er sich und denen, die er lieb hat, zur Erleichterung des Abschieds nichts Tröstlicheres zu sagen als: "Nach drei Monaten, will 's Gott, sehen wir einander wieder!" Und bei diesem Trost wird es dem Abreisenden und den Zurückbleibenden leichter, die Schmerzen der Trennung zu ertragen.
So, meine lieben Leidtragenden, ist es auch mit dem Sterben! Stirbt irgendein guter Mensch, ein frommer Christ, so tut er gleichsam eine Reise in die Ewigkeit, in ein besseres Land; der Sterbende und die Zurückbleibenden haben nun den süßen Trost: "Wir sehen einander wieder!" Und dieser Trost trocknet manche Träne der noch Lebenden, und erleichtert dem Sterbenden den Abschied ungemein! Denn er kann bei seinem Austritte aus der Welt den Seinigen eben das zum Trost sagen, was der göttliche Erlöser vor seinem Tode seinen Jüngern zu ihrem Trost und ihrer Beruhigung sagte: "Ich werde euch wiedersehen! Wir nehmen nicht Abschied auf immer, wir sehen einander wieder, und dann ist ewig keine Trennung, kein Scheiden mehr!" 
Seht, Christen, so tröstet die Hoffnung des Wiedersehens! So erleichtert sie den gegenseitigen Abschied!
Dass es aber ein Wiedersehen über dem Grabe gebe, daran lassen uns Vernunft und Religion nicht zweifeln. Gott hat das menschliche Herz gebildet, dass es sich sehr oft, besonders in einsamen Stunden nach den Geliebten, die uns in die Ewigkeit vorausgegangen sind, mit unaussprechlichem Verlangen sehnt, und alle die, welche es aufrichtig liebt, ewig zu lieben und zu besitzen wünscht; und diese Sehnsucht, dieser Wunsch ist so groß, und so in unsere Natur verflochten, dass uns selbst bei dem Genuss der Glückseligkeit jenseits des Grabes immer noch etwas fehlen würde, und wir die seligen Himmelfreuden nur halb zu empfinden meinen würden, sofern wir die, welche wir auf Erden so herzlich liebten, nicht wiedersehen, und ohne sie die ewigen Freuden genießen sollten.
Da nun Gott die Sehnsucht nach den geliebten Verstorbenen, und den Wunsch, die Geliebten ewig zu besitzen, so tief in das Herz des Menschen eingegraben und ihm das gegenseitige Wiedersehen und Wiederfinden zu einem wahren Bedürfnis gemacht hat, so können wir wohl daran zweifeln, dass er dieses Bedürfnis auch befriedigen wolle und werde. So, Christen, heißt uns die Vernunft schließen.
Allein was die Vernunft bloß ahnt, das hebt die Religion zur vollen Gewissheit. "Ich werde euch wiedersehen!", spricht Jesus in seiner Abschiedsrede zu seinen Jüngern, "Ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und niemand wird euch eure Freude nehmen!" (Johannes 16, V. 22). Und zur Martha, der Schwester des verstorbenen Lazarus, sagte er: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, wenn er auch gleich gestorben ist." (Joh. 11, 25), d.h. er wird nicht auf immer sterben, sondern durch den Tod ins bessere Leben durchdringen. Und noch vor seinem Hingang in den Tod betete Jesus: "Vater! Mein Verlangen ist, dass die, welche du mir gegeben hast (und zu diesen gehören alle Gläubigen und wahren Christen), auch da mit mir seien, wo ich bin." (Joh. 17, 24)
Es gibt also zufolge dieser Aussprüche Jesu ganz gewiss ein Wiedersehen, Wiederfinden und Wiedererkennen der uns durch den Tod entrissenen Lieben und Teuren! Wir werden in einem besseren Land wieder mit ihnen vereinigt werden, und in der Gesellschaft der heiligen Engel und Auserwählten Gottes gemeinschaftlich mit ihnen - den Geliebten - aus unversieglichen Quellen himmlischer Freuden und Seligkeiten schöpfen und trinken, und dann ewig nie wieder von ihnen geschieden werden.
Diese trostvolle Wahrheit: Es gibt ein Wiedersehen über dem Grabe! -- tröste nun auch euch, liebe Trauernde, über den Hintritt unseres guten N.N., sie tröste vor allem dich, tiefgebeugte Witwe! Dein Mann, mit dem du 25 Jahre deiner irdischen Pilgerfahrt alle Sorgen und Arbeiten, alle Leiden und Freuden teiltest, dem du jetzt, weil er dir alles war, jammernd nachweinst, ist dir nicht auf immer entrissen; du wirst ihn einst dort über dem Grabe wiederfinden und sehen, wirst das Band der Liebe zum zweiten Mal mit ihm knüpfen, das dann kein Tod mehr zerreißen wird.
Diese trostvolle Wahrheit: "Es gibt ein Wiedersehen über dem Grabe!" tröste auch euch, ihr Söhne und Töchter, Brüder und Schwestern, Freunde und Verwandte des Verblichenen! Euer Vater, der immer so rastlos für eure zeitliche und ewige Wohlfahrt arbeitete; euer Bruder, der seine Geschwister so tätig liebte; euer Vetter und Freund, der euch so viel Gutes erwiesen hat, ist euch nicht auf immer entrissen; ihr werdet ihn einst wiedersehen im anderen Leben, und kein Tod wird euch dann wieder von ihm trennen.
Diese trostvolle Wahrheit "Es gibt ein Wiedersehen über dem Grabe!" tröste endlich alle Anwesenden, denen der unerbittliche Tod den Vater oder die Mutter, den Bruder oder die Schwester, den Mann oder das Weib, den Sohn oder die Tochter, oder sonst irgendeine liebenswerte Person von der Seite hinweggenommen hat; ihr habt sie nicht auf immer verloren diese eure Lieben und Teuren; nein! Ihr werdet sie einst wiedersehen, und kein Tod und Grab wird euch dann wieder von denselben scheiden.
Nur, Christen, müssen wir auch das Bedingnis erfüllen, ohne dessen Erfüllung es im anderen Leben kein freudiges Wiedersehen gibt; wir müssen nämlich Gott, unseren Vater im Himmel, kindlich fürchten, und aus kindlicher Furcht vor ihm stets beflissen sein, alles das zu meiden, zu tun und zu leiden, was er will, dasss wir meiden, tun und leiden sollen; denn es gibt nur ein freudiges Wiedersehen über dem Grabe für die Frommen, für die Gottesfürchtigen; dem Lasterhaften und ungebesserten Sünder wird nicht gestattet, das Heiligtum der Gottheit zu betreten, und sich in die Gesellschaft der Guten und Gerechten zu mischen. Schon in diesem Leben, wenn wir zu dem Umgang edler und tugendhafter Menschen zugelassen werden wollen, müssen wir uns erst durch Edelmut, Einsicht und Tugend hierzu empfehlen; noch mehr wird diese Forderung an uns gemacht werde, wenn wir in die Gesellschaft der seligen Geister und der vollendeten Gerechten eintreten wollen.
Darum, Christen, lasst uns den Herrn kindlich fürchten, lasst uns aus kindlicher Furcht vor ihm alles sorgfältig meiden, was Sünde und böse ist, und aus kindlicher Liebe alles freudig tun, was gut und ihm gefällig ist; dann können wir einmal, wenn uns der Tod von unseren lieben Angehörigen trennt, den Trost eines baldigen freudigen Wiedersehens mit uns ins Grab nehmen, und auch den noch Lebenden zurücklassen; weil uns alsdann nichts hindern wird, unter die Scharen der seligen Himmmelsbürger aufgenommen zu werden, wo wir dann unsere Geliebten wiederfinden, und ewig nicht mehr verlieren werden.
Und alldort, Christen, werden wir auch, wie dies uns Gottes Erbarmungen hoffen lassen, unseren lieben und rechtschaffenen N.N. wiederfinden und wiedersehen.



(c) Grabrede, 1824

Samstag, 23. August 2025

Das künftige Leben


 


Die Larve des Hirschhornkäfers baut sich bei der Verpuppung ein größeres Gehäuse, als sie zur Ausfüllung mit ihrem zusammengekrümmten Leibe braucht, damit die dereinst sich entwickelnden Hörner auch noch Platz haben. Was weiß die Larve von ihrem künftigen Leben und ihrer künftigen Daseinsform?

Meint man, dieselbe Macht, die den Hirschhornkäfer und den Menschen schuf, habe dem Käfer Wahrheit in den Instinkt und dem Menschen Lüge in den Glauben gelegt, der ihn sein Leben jetzt schon in Richtung auf das künftige anlegen lässt?


(c) Hans von Rüter (um 1500-1558)

Donnerstag, 21. August 2025

Sei bereit


 


Oft geht man aus

und kommt nicht mehr nach Haus.

Darum, o Mensch, sei jederzeit

auf einen guten Tod bereit.



(alte Grabinschrift)

Die Toten ruhen aus


 

Die Toten ruhen von ihrer Arbeit - nicht allein von der eigentlichen Arbeit, sondern auch von aller Beschwerde und Hitze, von aller Plage und Drangsal, von allem Kummer- und Sorgengefühl, von allen quälenden Gedanken und von allen bangen Träumen des Lebens, von aller Tagesmühe und von allen Nachtschrecken.

O, es ist keiner hinübergegangen, der nicht seine Last, sein Leid und seine Ängste gehabt: denn auf Erden kannst du ja keinen Schritt tun, ohne das Elend anzutreffen; auf deinem Freudenwege steht es plötzlich vor dir; unter Rosengebüschen richtet die dunkle Gestalt unerwartet sich auf, und selbst die fröhliche Jugend entgeht seinen Nachstellungen nicht. Viel, viel hätte der Heimgegangene bei einem längeren Erdenleben noch erdulden müssen, wovon ihn jetzt nichts mehr zu erreichen vermag - in der süßen Sicherheit, an dem Herzen des allmächtigen Vaters, in seinem hellen Himmelreiche.

Die Toten sehen den Tag, die Nacht ist auf ewig vergangen. Lichthell glänzt es ihnen über die unermesslichen Schöpfungen hin, die alle von Wonne blühen. Gott, nach dem sie verlangten in der dürren Wüste, ist nun ganz ihr Labsal und ihr Entzücken; der Erlöser, den sie unaussprechlich liebten, da sie ihn nicht sahen, nun ganz ihr Anschauen und ihr Besitz; die Religion, die sie so hoch verehrten, aus der Ferne zu ihnen hinüberblickend, sind ihre vertrauteste Gemeinschaft.

Gott hat sie gefordert - nach seinem weisen und gnädigen Rate; für sie und für dich war es das Beste, dass sie jetzt schieden. Willst du dem weisen und gnädigen Rate widerstehen - ihrem und deinem Glücke? - Nein, unterwirf dich in Demut und Vertrauen.

Zu seinen Freuden hat er sie gerufen, zu dem, was sie immer suchten, zu dem Höchsten, was ein Menschenherz zu fassen und nicht zu fassen vermag. Lass sie der Freude und bete den an, der ihnen das Höchste gegeben hat. 

Ich kann, sprichst du, die himmlische Freude weder verlangen, noch empfinden, ohne auf Erden zu leiden ---, die Krone der Ewigkeit nicht davon tragen, ohne im irdischen Leben zu kämpfen. Wie die Geduld, so der Ersatz, wie die Arbeit, so der Lohn -- in demselben Verhältnis, aber in viel größerem Maße --, je nachdem ich im Leiden Sanftmut und Demut geübt, Kraft der Ergebung gewonnen, meine Liebe bewährt und gestärkt habe.



(c) Friedrich Ehrenberg (1776-1852)

Es tönt wie Trost


 


Wo düstere Zypressen wehn

am wohlgepflegten Grab,

und wo die schönsten Rosen stehn,

wo Freunde kommen, Freunde gehn ---

da senkt man dich hinab.


Dir singt die Nachtigall im Baum

in milder Sommernacht;

es tönt wie Trost im Friedhofsraum:

des Lebens Lust ist gleich dem Traum,

gestorben heißt ---- erwacht.



(c) Auguste Schmidt (1833-1902)

Samstag, 16. August 2025

Lebewohl


 


Lebt wohl, wir sehn uns wieder.

Lasst uns zur Heimat gehn.

Ihr Freunde und ihr Brüder,

Lebt wohl, Auf Wiedersehn.


Lebt wohl, wir müssen scheiden,

ihr Täler und ihr Höhn

mit euren trauten Freuden:

wir werden schönre sehn.


Lebt wohl, im Herrn verbunden,

den Heimatweg zu gehn.

Ihr, die ihr ihn gefunden:

Lebt wohl, Auf Wiedersehn. 



(c) Christian Heinrich Zeller (1779-1860)

Freitag, 15. August 2025

Die Gnadensonne


 


Wenn ich des Nachts oft lieg' in Not,

verschlossen, gleich als wär' ich tot,

lässt du mir früh die Gnadensonn'

aufgehn: nach Trauern Freud' und Wonn'.

Halleluja.



(c) Johann Heermann (1585-1647)

Weither


 

Wir Gäste der Welt

einander gesellt

durch Tage und Jahre im Reigen ---

wir müssen davon,

wir hören den Ton

weither aus dem ewigen Schweigen.

Und denken es kaum:

Der Herr macht uns Raum

und nennt uns, o Wunder, sein Eigen ....



(c) Wilhelm Horkel (1909-2012)