Dienstag, 16. August 2016

Eine andere Form des Daseins


Goethe war der Ansicht, "dass kein tüchtiger Mensch je an seiner Fortdauer gezweifelt habe"; ihm war unser Geist der Sonne ähnlich, die bloß unseren irdischen Augen unterzugehen scheint, aber unaufhörlich fortleuchtet. Er sagte zu Eckermann das kühne Wort:
"Wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht länger auszuhalten vermag."
Das war auch ihm der beste Beweis für die Unsterblichkeit, "dass wir sie nicht entbehren können".
Es beglückt dich, wenn du deiner eigenen Ewigkeit inne wirst, das ist das unmittelbare Zeugnis deiner Natur, dass dieser Begriff zu deinem Wesen gehört.
Dass das Erdenleben ein Bruchstück sei, welches unser Denken und Dichten anreizt, Linien zu seiner Ergänzung zu ziehen, dass die Zweckmäßigkeit, welche wir sonst in der Welt gewahren, gerade beim Menschen in ihr Gegenteil umschlage, wenn wir sein Dasein bloß für ein irdisch vergängliches halten, das stand für Herder wie für Kant gleichmäßig fest.

(Moritz Carriere, 1817-1895)