Mittwoch, 6. Juli 2022

Bleibt bei dem, der euretwillen ...


Bleibt bei dem, der euretwillen

auf die Erde niederkam,

der, um euren Schmerz zu stillen,

tausend Schmerzen auf sich nahm!

Bleibt bei dem, der einzig bleibet,

wenn auch alles untergeht,

der, wenn alles auch zerstäubet,

siegend überm Staube steht.


Alles schwindet, Herzen brechen,

denen ihr euch hier ergabt,

und der Mund hört auf zu sprechen,

der euch oft mit Trost gelabt,

und der Arm, der euch zum Stabe

und zum Schilde ward, erstarrt,

und das Auge schläft im Grabe,

das euch sorgsam einst bewahrt.


Alles stirbt; das Irdsche findet

in dem Irdischen sein Grab,

alle Lust der Welt verschwindet,

und das Herz stirbt selbst ihr ab.

Irdsches Wesen muß verwesen,

irdsche Flamme muß verglühn,

irdsche Fessel muß sich lösen,

irdsche Blüte muß verblühn. 


Doch der Herr steht überm Staube

alles Irdischen und spricht:

Stütze dich auf mich und glaube,

hoffe, lieb' und fürchte nicht !

Darum bleibt bei dem, der bleibet,

und der geben kann, was bleibt,

der, wenn ihr euch ihm verschreibet,

euch ins Buch des Lebens schreibt.



© Karl Johann Philipp Spitta (1801-1859)

Montag, 4. Juli 2022

Der Tropfen


 

Ein Tropfen fällt, es klingt

das Meer nur leise,

die Stelle wird umringt

von Kreis' an Kreise.


Und weiter, immer mehr;

nun ruht es wieder.

Wo kam der Tropfen her?

Wo fiel er nieder?


Es war ein Leben nur,

und nur ein Sterben,

und kam, auch eine Spur

sich zu erwerben.



@ Wilhelm Wackernagel (1806-1869)