Donnerstag, 19. November 2020

Gott wird abwischen alle Tränen ...

 


Oh Herz, wie musst du dehnbar sein

in diesem einzig' Leben.

Gar manches drängt zur Tür hinein -

sei's Frohsinn oder Traurigsein,

ein Stelldichein zu geben.


Zur Wonne ist die Liebe dir,

sie bringt dich fast zum Bersten.

Ein Quell ist sie, ein Elixier,

sie wärmt und nährt dich für und für,

und tröstet dich im Schwersten.


Doch auch die Trübsal schickt sich an,

die Kammer zu beziehen

mit Schmerz und Tränen im Gespann,

wohl weil sie sich aufs Licht besann,

der Rast nach Kampf und Mühen.


Doch hütest du auch ein Präsent

in deinem Grenzenlosen,

denn ganz in ihrem Element

blüht die Erinnerung. Sie kennt

den Dorn und auch die Rosen.


Du bist von Träumen prall gefüllt,

von solchen, die erstrahlten,

und solchen, die sich nie erfüllt.

Manch' Sehnsucht, die dann ungestillt,

darf sich in dir entfalten.


Du wahrst die Tränen, die geweint,

als jäh ein Abschied nahte. 

Geliebtes Herz, du hast vereint,

was durch den Tod so ferne scheint,

und spielst das Jubilate.


Denn den, den ich verloren wähn',

er bleibt im Herz der meine.

Dort ist's ein ewig' Wiederseh'n,

ein herzlich' Beieinandersteh'n,

im süßen Himmelsscheine ...



(c) Bettina Lichtner

Zarter Schnee


                                                                     unser geliebter Freund im Moment des Abschieds



Leben ist wie Schnee,

du kannst ihn nicht bewahren.

Trost ist,

dass du da warst,

Stunden,

Monate,

Jahre ...


(c) Hermann van Veen

Mittwoch, 18. November 2020

Auf dem Kirchhof


 

Der Tag ging regenschwer und sturmbewegt,

ich war an manch vergess'nem Grab gewesen.

Verwittert Stein und Kreuz, die Kränze alt,

die Namen überwachsen, kaum zu lesen.


Der Tag ging sturmbewegt und regenschwer,

auf allen Gräbern fror das Wort:   Gewesen.

Wie sturmestot die Särge schlummerten,

auf allen Gräbern taute still:   Genesen.



(c) Detlev von Liliencron (1844-1909)


Samstag, 14. November 2020

Tänzer


 

Alles ist vorherbestimmt, Anfang wie Ende,

durch Kräfte, über die wir keine Gewalt haben.

Es ist vorherbestimmt für das Insekt

nicht anders wie für den Stern.

Die menschlichen Wesen, Pflanzen oder der Staub ---

wir alle tanzen nach einer geheimnisvollen Melodie,

die ein unsichtbarer Spieler in den Fernen des Weltalls anstimmt.


(c) Albert Einstein (1879-1955)

Dienstag, 10. November 2020

Bedenkt ...

 


Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang.

Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.

Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich tot entlang

und lass mich willig in das Dunkel treiben.

Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr,

und die es trugen, mögen mir vergeben.

Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur,

doch mit dem Tod der anderen muss man leben.


(c) Mascha Kaléko (1907-1975)